20.04.2025Voon
Wahnsinn – wenn der Frieden in die Jahre kommt

Ein kühler, sonniger Samstagmorgen am Wuppertaler Hauptbahnhof: Rund 120 Menschen sind dem Aufruf des Wuppertaler Friedensforums zum Ostermarsch gefolgt und versammeln sich vor der goldenen Fassade des Modetempels Primark.
Nur wenige Fahnen flattern in der kühlen Brise: Eine blau-weiße Fahne mit der Friedenstaube, eine Fahne der Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie und eine blassrote Fahne der Kommunistischen Partei. Eine Fahne der Partei „Die Linke“ ist nicht zu sehen, dafür lässt das BSW sein lila-rotes Banner wehen. Die übergroße Fahne der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands mit Hammer, Sichel und Buch hängt schlaff – wo die proletarischen Massen fehlen, genügt offenbar massenhaft roter Stoff.
Drei gut gelaunte junge Männer der Kommunistischen Partei halten ein großes Plakat hoch: „Streiks vorbereiten statt Krieg unterstützen“ – ob das als Wunsch oder Befehl gemeint ist, bleibt angesichts der holprigen Grammatik offen. Daneben trägt eine Frau unauffällig eine Palästina-Flagge auf dem Rücken.
Es folgt ein vertrauter Mix aus Liedern und Reden. Doch der Frieden scheint heute zu wichtig, um ihn der freien Rede zu überlassen: Die Beiträge werden brav vom Blatt oder Smartphone abgelesen – mit den bekannten Phrasen, Floskeln und Versatzstücken einer in die Jahre gekommenen Friedensbewegung und ihren oft eigentümlichen Weltbildern.
Markus vom Friedensforum Wuppertal macht es vor: Der Ukraine sei ein Putsch aufgezwungen worden, die NATO wolle mit dem Ukrainekrieg Russland schwächen. Israel führe einen genozidalen Krieg gegen Palästina, man fordere ein Ende aller Waffenlieferungen. Und: Die Jugend der Welt sitze in einem Boot. Wo die Älteren sitzen, bleibt offen.
In weiteren Reden schallen Worte wie „durchgeknallt“, „Wahnsinn“, „brandgefährlich“ über den Platz – aufgewärmt mit dem Pathos der Stunde Null: „Mütter, sagt Nein!“
Die Mütter aber sagen an diesem Tag nicht Nein, sondern strömen mit ihren Kindern ins nahe Kaufhaus; auf der Bahnhofstreppe grölen ein paar junge Männer mit Bierflaschen in der Hand. „Kanonenfutter für morgen“, bemerkt einer der Demonstranten und lacht.
Der Applaus der überwiegend älteren Teilnehmer bleibt verhalten. Mehr Leben kommt in die Menge, wenn zwischen den Reden Sänger Rudi Rhode die Oldies des Pazifismus mit seinem Akkordeon anstimmt: „Meine Söhne geb’ ich nicht“, „Knockin’ on Heaven’s Door“ und „Yankee-Dollar“. Ohne den schurkischen Uncle Sam, so scheint es, gibt es an diesem Tag kein echtes Gemeinschaftsgefühl mehr. Im Rhythmus der Musik wippt die erste Reihe im Takt der altbekannten Lieder, hier und da bewegen sich Hüften, nicken Köpfe. „Gut singt der Mann“, sagt eine Mutter zu ihrer Tochter und zieht sie schnell mit ins Primark-Kaufhaus.
Das Wort der Stunde scheint „Wahnsinn“ zu sein – der Krieg ist Wahnsinn, die Aufrüstung ist Wahnsinn, die Politik ist wahnsinnig. Dem Wahnsinn nicht fern sind auch manche Meinungen der Teilnehmer: Die Bevölkerung in Gaza liebe die Hamas. Man müsse mit der PFLP zusammenarbeiten. Eine Sache, die Stalin falsch gemacht habe, eine der wenigen, sei… .
Spätestens an diesem Punkt möchte man nicht weiter wissen, welche Weltbilder, Verschrobenheiten und Verhärtungen sich hier am Karsamstag im Zeichen der Friedenstaube versammeln, um von der eigenen Verblendung auf den Wahn des politischen Gegners zu schließen.
Dann ist es vorbei mit allem Wahnsinn. Eine Rednerin wünscht noch „Frohe Ostern“. „Hätten ein paar graue Köpfe weniger sein können“, sagt ein Teilnehmer und lacht. Die Demonstration löst sich auf. Wahnsinnig schnell.
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