09.11.2020

Ein noch nicht abgeschlossenes Leben

Lesestoff (1): Ein Roman über einen Mann, der sich an seinem Ideal abarbeitet. In einem heiteren Ton geschrieben, nie angestrengt oder besserwisserisch.

In 17 „Steinen“ beschreibt Wolf Christian von Wedel Parlow das Leben von Rick, dessen Schilderung stark autobiographische Züge aufweist. Die „Steine“ sind Episoden aus dessen Leben, die bis auf das einführende Kapitel chronologisch geordnet sind und überdies eingebettet in die Zeitgeschichte hauptsächlich der „1968er-Jahre“, die ja auch die Zeit des Versuchs waren, einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ zu schaffen. Wedel arbeitet aber auch wie in zahlreichen seiner Veröffentlichungen zuvor den Niedergang des deutschen Adels auf, der in der DDR radikal enteignet und zurechtgestutzt, im Westen dagegen über den so genannten Lastenausgleich wieder hochgepäppelt wurde. Auch seine „Verstrickung“ in den Staat und die Verbrechen des deutschen Faschismus wird thematisiert, steht aber nicht im Zentrum. Heute lebt er ja weitgehend in den Spalten des „Goldenen Blatts“.

Wer will, kann das Buch auch als kurze Einführung in die Volkswirtschaftslehre lesen, über die der Autor an der bergischen Universität gearbeitet hat. Dem Rezensenten ist zum ersten Mal in seinem Leben eine Ahnung hochgekommen, was ein Unterdruck ist (siehe S. 124).

Aber darum geht s nicht in der Hauptsache, auch nicht um den Vergleich von zwei Lebensentwürfen, denen von Rick und von Hans. Rick hat einen Traum, wollte in der Bundeswehr Karriere machen und dann „in Afrika“ Entwicklungshilfe leisten. Vorher noch wollte er sich als Friedenssoldat im Libanon beweisen. Hans dagegen verwirklicht seinen afrikanischen Traum, auch wenn er dafür einen hohen Preis zahlt und am Ende „als Wrack“ heimkehrt.

Man erfährt eine Menge über das Scheitern gut gemeinter oder nicht zu Ende gedachter Konzepte, armen Bauern in heißen Ländern zu helfen, was die Landflucht aber offenkundig nicht aufhalten kann – jedenfalls nicht alleine. Und schmunzeln muss man schon, wenn man liest, dass Frauen in Afrika, zumindest aus der Sicht des „Alten mit den eingefallenen Wangen“, die mühsame Arbeit des Wasserholens missen und stattdessen mit den Männern streiten und mit nichts mehr zufrieden sind (S. 128). Es gibt ja neuerdings Handpumpen, auf die die Entwicklungshelfer so stolz sind.

So ungerecht geht es in der Welt zu.

Doch kehren wir zurück in die Bundesrepublik, genauer genommen in das Tal der Wupper oder noch konkreter auf den Katernberg. Wo man sich in einem Restaurant gegenüber dem Fernsehturm trifft, am Westfalenweg. Und grübeln mit Rick und dem Autor (oder dem Autor und Rick), was dieser aus dem „alten St.-Georgs-Komplex“ gemacht hat: Hat er die „Sicherheit eines Hörsaals der sengenden Hitze, dem Fieber vorgezogen“, wie es auf S. 168 und auf dem rückwärtigen Cover heißt?

Ja und nein. Rick lebt, und ein Gesamtbild, wie es eine kluge Rezensentin eingefordert hat, kann der Autor nicht liefern, solange er auf diesem Planeten herumspaziert und auch bisweilen aus dem Gleichgewicht gerät („Stein I“, S. 9). Abgerechnet wird zum Schluss, und „die“ Biographie schreibt die Nachwelt.

Klage führen möchten wir über den Titel, der den Namen eines Getränks wiedergibt, das buchstäblich ein einziges Mal in dem Roman auftaucht. Vielleicht wäre die Zwiebel passender gewesen, die er, bevor die Geschichte startet, aus Henrik Ibsens „Peer Gynt“ zitiert Und aus Dantes „Göttlicher Komödie“. „Die Natur ist witzig“, sagt der berühmte Norweger. Wolf Christian von Wedel Parlows „Cola in Kadugli“ auch.

MATTHIAS DOHMEN

Wolf Christian von Wedel Parlow, Cola in Kadugli. Roman, Halle (Saale): Mitteldeutscher Verlag 2020, ISBN 978-3-96311-388-8, 168 S., Euro 16,00, www.mitteldeutscherverlag.de.

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