15.02.2024WI-News
Allen Unkenrufen zum Trotz: 2023 war ein erfolgreiches Energiewendejahr
Wer erinnert sich noch an die Kommentare mancher selbsternannter Energieexperten und an die Horrorszenarien der Boulevardpresse von vor einem Jahr? Es wurden Ängste geschürt und Zweifel gesät: Wenn Deutschland aus der Atomkraft aussteige, würde es zu Stromausfällen kommen oder „Klima-Killer-Kohlekraftwerke“ müssten in nie geahnten Mengen Strom produzieren. Zudem würde Deutschland angeblich abhängig vom Braunkohlestrom aus Polen und vom Atomstrom aus Frankreich. Der nationale Atomausstieg würde zu riesigen Atomstromimporten führen und wäre besonders klimaschädlich. Zu allem Überfluss käme es auch noch zu enormen Kostensteigerungen.
Was ist eigentlich von all diesen Schreckensvorstellungen ein Jahr später übrig geblieben und wie kommt es, dass die Kritiker vom vergangenen Jahr nun so seltsam verstummt sind? Die Antwort ist schnell gegeben: Von allen Vorhersagen – insbesondere von einflussreichen Lobbyisten – ist ein Jahr später nichts, aber auch gar nichts übriggeblieben. Ganz im Gegenteil! Es ist an der Zeit, mit ein paar Fakten der Angstmacherei entgegenzuwirken.
Beginnen wir mit dem größten Angstthema: Strom wird unbezahlbar oder zumindest teurer. Tatsache ist, dass sich der Börsenstrompreis am EPEX-Spotmarkt für Deutschland/Luxemburg von Dezember 2022 bis Dezember 2023 erheblich reduziert hat. Waren im Dezember 2022 noch 251,62 Euro pro Megawatt im Day-Ahead-Handel fällig, musste dafür im Dezember fast nur ein Viertel so viel bezahlt werden, nämlich 68,52 Euro. An der Börse ist Strom damit so günstig wie zuletzt im Sommer 2021. Das schlägt sich zwar für viele aktuell noch nicht auf den Haushaltsstrompreis nieder, denn der Börsenstrompreis kommt mit Zeitverzögerung bei den Haushalten an. Wer aber den Versorger wechseln möchte oder einen neuen Stromvertrag abschließen muss, bekommt heute deutlich bessere Konditionen als vor einem Jahr.
Auch der zweite Angstmacher ist schnell widerlegt: Deutschlands Klimabilanz wird sich verschlechtern, weil wir mehr Kohlestrom erzeugen.
Tatsache ist, dass die Verstromung von Kohle nach einem aus Versorgungssicherheits-Gründen notwendigen vorrübergehenden Anstieg in 2022 nach wie vor auf dem Rückzug ist. Seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1990 wurde noch nie so wenig Strom aus Kohle erzeugt wie jetzt. Der in Kohlekraftwerken erzeugte Strom verliert regelrecht rasant an Bedeutung und ging nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes im 3. Quartal 2023 um 47,3 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal zurück.
Laut einer aktuellen Analyse von Agora Energiewende liegt darin auch ein Grund, weshalb in Deutschland im letzten Jahr 24 Prozent weniger Strom konventionell erzeugt wurde und zwar 247 Terawattstunden. Damit verbunden ist ein sehr erfreulicher Rückgang der durch die Stromerzeugung verursachten CO2-Emissionen, die um 18 Prozent auf 177 Millionen Tonnen CO2-Äq sanken. Selbst die vermeintlich billige Stromerzeugung aus der heimischen Braunkohle blieb nach Berechnungen der AG Energiebilanzen um rund 25 Prozent unter dem Vorjahresniveau.
Man muss schon sehr lange zurückschauen, um ein Jahr mit derart geringer Kohleverstromung zu finden. Professor Dr.-Ing. Bruno Burger vom Fraunhofer ISE hat dankenswerterweise eine gesamtdeutsche Rückschau zur Stromerzeugung aus Kohle erstellt und dabei die erstaunliche Feststellung gemacht, dass zuletzt 1959 so wenig Kohlestrom erzeugt wurde wie heute. Zur zeitlichen Einordnung: 1959 war der kürzlich verstorbene Franz Beckenbauer 14 Jahre alt und wechselte vom SC 1906 München zum FC Bayern München in die C-Jugend.
Ebenso hat sich die dystopische Vorhersage, dass in Deutschland eine Stromlücke entstünde, nicht bewahrheitet – die Lichter gehen nicht aus!
Fakt ist, dass der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch auf einem neuen Rekordniveau gelandet ist und im ersten Halbjahr 2023 bei 52 Prozent lag. Dazu hat vor allem der Ausbau der Windenergie an Land einen Beitrag geleistet, aber auch der Rekord-Ausbau der Photovoltaik mit rund 14 Gigawatt installierter Kapazität. Allein der Anteil der Windenergie an der Stromerzeugung hat gegenüber dem bisherigen Rekordjahr 2020 im Jahr 2023 noch einmal um mehr als zehn Prozentpunkte zugelegt.
Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien stieg laut aktuellen Berechnungen der vom Umweltbundesamt veröffentlichten Zahlen der Arbeitsgruppe Erneuerbare Energien-Statistik von 254 Terawattstunden in 2022 auf 268 Terawattstunden in 2023 an. Allein die Windenergieanlagen an Land (ohne Offshore-Windenergie) erzeugten vergangenes Jahr mehr Strom als alle Braun- und Steinkohlekraftwerke zusammen! Das kann man als energiewirtschaftliche Zeitenwende bezeichnen. Zudem wurden im ablaufenden Jahr so viele neue Genehmigungen für Windenergieanlagen erteilt wie nie zuvor. Diese werden sich in den nächsten Jahren in reale Zubauten deutlich machen.
Nicht bewahrheitet hat sich auch, dass Deutschland nun in erheblichem Umfang Strom importieren muss. Grund dafür ist – neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa –, dass 2023 insgesamt allgemein weniger Energie und auch weniger Strom gebraucht wurde. Dafür sind Fortschritte in der Energieeffizienz, aber teilweise auch ungewollte Produktionsrückgänge in der Grundstoffindustrie verantwortlich. Nach Angaben der Bundesnetzagentur sank der Stromverbrauch aus dem Netz um 5,4 Prozent auf knapp 460 Terawattstunden. Der Primärenergieverbrauch lag nach ersten Berechnungen der AG Energiebilanzen sogar um 7,9 Prozent unter dem des Vorjahres; in der Folge sind die CO₂-Emissionen 2023 um erfreuliche zehn Prozent gegenüber 2022 gesunken.
Zwar gingen die erheblichen Stromexporte vorheriger Jahre zurück, weil Frankreich weniger Probleme mit seinen desolaten Atomkraftwerken hatte als in 2022 und die Kohlestromerzeugung in Deutschland aufgrund der gestiegenen Emissionshandelspreise an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt, von einer großen Importabhängigkeit kann aber keine Rede sein. Über das Jahr gesehen sind Im- und Export von Strom nahezu ausgeglichen, insbesondere mit Frankreich und Polen. Wenn man sich dann noch anschaut, woher der importierte Strom kommt, wird klar, dass Solar- und Windstrom nicht nur besonders klimafreundlich, sondern auch noch besonders günstig ist. Zwar hätte Deutschland seine fehlenden Strommengen durch inländische Kohlekraftwerke leicht selbst decken können, es war aber schlicht preiswerter, klimafreundlichen Strom aus Dänemark und Norwegen zu beziehen, als die eigenen Kraftwerke arbeiten zu lassen. Statt Strom aus polnischen Kohlekraftwerken zu importieren, wird mit erneuerbaren Energien (auch aus Deutschland) sogar weiterhin dreckiger Braunkohlestrom aus Polen vom Markt verdrängt – dies geschah freilich nicht aus Klimaschutzgründen. Kohlestrom ist schlicht zu teuer, um im Wettbewerb gegen Wind- und Sonnenstrom mithalten zu können. Die Veränderungen in der Import- und Exportbilanz zeigen zudem, dass der europäische Stromverbund funktioniert, zum Wohle der Verbraucher*innen.
Die Energiewende ist und bleibt eine Erfolgsgeschichte, die allen Unkenrufen zum Trotz auch in 2023 fortgeschrieben wurde. Denn als Fazit des Jahres 2023 kann entgegen manchen dystopischen Vorhersagen von vor einem Jahr festgehalten werden: Der Atomausstieg ist vollendet, Erneuerbare decken mehr als 50 Prozent der Stromerzeugung ab und Kohlestrom ist weiter auf dem Rückzug. Die Lichter sind nicht ausgegangen und Strompreise sowie klimaschädliche Emissionen sinken deutlich. Es gibt aus wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Sicht somit keinen vernünftigen Grund, den Transformationsprozess deutlich zu verlangsamen oder gar gänzlich zu stoppen – wie es in politischen Kreisen zum Teil gefordert wird. Ganz im Gegenteil: Nun ist es geboten, aus den Erfahrungen der Vergangenheit abgeleitet mit einer ordentlichen Portion Zuversicht den Ausbau erneuerbarer Energien und die Steigerung der Energieeffizienz weiter zu forcieren. Hinzu kommen Möglichkeiten, durch eine ambitionierte Kreislaufwirtschaftsstrategie Beiträge zum Klimaschutz zu leisten. Bürokratische Hürden abbauen und ökonomische Anreize setzen sind dabei wichtige Grundpfeiler einer zukunftsorientierten Politik. Denn trotz aller Erfolge ist die Energiewende kein Selbstläufer, sondern bedarf stetig neuer Anstrengungen. Vor allem ist eine bessere Kommunikation und eine stärkere Integration sozialer Belange notwendig, damit die ökonomische und ökologische Vernunft nicht von Lautsprechern mit vermeintlich einfachen Antworten übertönt werden.
Um die Ziele der Energiewende zu erreichen, muss sie noch stärker als bisher zum Mitmachprojekt für alle werden und energie- und klimapolitische Maßnahmen entsprechend so gestaltet sind, dass alle teilhaben können. Nutzen erklären, klimaverträgliches Verhalten in der Breite möglich machen, Bedenken aufzunehmen und soziale Ungleichgewichte vermeiden (etwa durch eine Kombination von Fördermaßnahmen und einem fairen Klimageld) ist das Gebot der Stunde statt eine Rückkehr zu alten fossilen oder sogar nuklearen Strukturen.
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