15.08.2023WI-News
Nationale Wasserstoffstrategie: Wichtig, aber noch zu vage und unvollständig
Die strukturierte Weiterentwicklung der erstmals 2020 vorgestellten Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) mittels Zielbildern und Handlungsfeldern durch die Bundesregierung ist ein wichtiger Schritt. Wasserstoff und seine Derivate – also auf grünem Wasserstoff basierende, gasförmige oder flüssige Energieträger, wie Methan, Ammoniak und Methanol – sind essentielle Bausteine für die klimaneutrale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Eine ambitionierte Fortführung des Strategieprozesses ist daher unerlässlich – und hat nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Angriffskriegs von Russland gegen die Ukraine und den damit verbundenen Auswirkungen auf die Energiemärkte weiter an Bedeutung gewonnen.
Vor diesem Hintergrund wollen wir Aspekte hervorheben, die bei der Umsetzung und künftigen Weiterentwicklung der Wasserstoffstrategie besondere Beachtung finden sollten:
Die heimische Produktion von Wasserstoff sollte zugunsten von Wertschöpfung und Versorgungssicherheit weiter gestärkt und durch eine konkrete, nachhaltige und auf faire Partnerschaft ausgerichtete Importstrategie ergänzt werden.
Positiv hervorzuheben am aktuellen Entwurf ist die angestrebte Verdoppelung der nationalen Elektrolysekapazität auf zehn Gigawatt. Ein ambitionierter, heimischer Markthochlauf ist eine wesentliche Grundlage für die beanspruchte globale Führungsposition im Bereich der Wasserstofftechnologien und bietet hohe inländische Wertschöpfungspotenziale. Zudem nehmen Elektrolyseure eine wichtige Ausgleichsfunktion im zukünftigen Energiesystem wahr, dessen Umbau mit den Beschlüssen des Osterpakets der Bundesregierung aus dem Jahr 2022 zum beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich schneller als bislang vorangetrieben wird. Vor diesem Hintergrund sollte die Bundesregierung auch das Ambitionsniveau bei der heimischen Wasserstoffproduktion anheben und prüfen, inwieweit sich die Ausbauziele noch steigern lassen. Dies gilt umso mehr, da sich der in Aussicht gestellte Anteil heimischer Erzeugung (30 bis 50 Prozent des Gesamtbedarfs laut NWS-Update) mit zehn Gigawatt Elektrolyse-Leistung kaum erreichen lassen dürfte. Hierfür bedarf es Anlagenauslastungen, wie sie auf der Basis von Strom aus erneuerbaren Energien in Deutschland nicht erzielbar sind – zumindest, wenn die Elektrolyseure wie geplant ihre systemdienliche Funktion wahrnehmen sollen.
Unabhängig davon ist klar, dass wir aufgrund der begrenzten Potenziale in Deutschland auf Wasserstoffimporte angewiesen sein werden. Hierfür bedarf es einer klugen und auf Resilienz ausgerichteten Importstrategie. Basierend auf den Erfahrungen der letzten Jahre hinsichtlich der vielschichtigen Verletzlichkeit von Lieferketten sollte eine ambitionierte und gut abgestimmte europäische Wasserstofferzeugung den verstärkten Aufbau inländischer Kapazitäten ergänzen – und dies auch über das Jahr 2030 hinaus. Aktuelle Studien belegen, dass wir in Deutschland und Europa konkurrenzfähige Produktionsstandorte für grünen Wasserstoff haben und sich die vermeintlichen Kostenvorteile von globalen „Sweet Spots“ durch den aufwändigen Transport schnell ausgleichen. Mit Blick auf die angekündigte Importstrategie sollte sich die Bundesregierung daher bei Bezügen aus Übersee vor allem auf Derivate fokussieren und für reinen Wasserstoff auf die Erzeugung im europäischen Verbund setzen.
Sehr begrüßenswert ist das Commitment, den Aufbau internationaler Wasserstoff-Partnerschaften mit einer sozial-ökologischen Gesellschafts- und Wirtschaftstransformation in den Lieferländern zu verknüpfen.
Wasserstoffimporte dürfen nicht zu neokolonialen Strukturen in den Partnerländern führen und nicht zu deren Lasten gehen, sondern sowohl Energiewende als auch Wertschöpfung bei beiden Handelspartnern voranbringen. Wie die Bundesregierung dieser Ambition konkret nachkommen will, bleibt bisher noch offen, ist aber für die dauerhafte gesellschaftliche Akzeptanz und eine nachhaltige Entwicklung entscheidend.
Offene Fragen gibt es auch in vielen anderen Bereichen, in denen essentielle Bausteine bislang nur angekündigt sind – von der Importstrategie, über ein Wasserstoff-Beschleunigungsgesetz bis hin zum Speicherkonzept. Hier muss die Bundesregierung nun zeitnah und konkret nachliefern.
Es ist richtig, dauerhaft nur auf grünen Wasserstoff zu setzen und den Beitrag von blauem beziehungsweise türkisem Wasserstoff nur auf den absolut nötigen Umfang für den Hochlauf zu begrenzen.
Mit der Produktion von Wasserstoff aus Erdgas sind je nach verwendeter Technologie und Erdgasquellen weiterhin nennenswerte bis erhebliche CO2-Emissionen verbunden. Selbst, wenn es gelingt, Technologien mit sehr hohen – und heute noch nicht üblichen – CO2-Abscheideraten zur Anwendung zu bringen, können die Methan-Emissionen in der Vorkette (Produktion und Transport) nicht vermieden werden. In der Konsequenz sind insgesamt deutlich höhere Treibhausgas-Emissionen als für grünen Wasserstoff zu erwarten, die vermutlich auch den angestrebten EU-Grenzwert übersteigen dürften. Die Lebensdauer der Produktionsanlagen passt zudem nicht zum Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger, der vor dem Hintergrund der Zielsetzung Treibhausgasneutralität spätestens 2045 notwendig ist. Dies wird voraussichtlich zu Lock-in-Effekten beziehungsweise Stranded Investments führen.
Für eine sichere und effiziente Versorgung ist wichtig, den Einsatz von grünem Wasserstoff (und Derivaten) – zumindest in der Hochlaufphase auf die wirklich nötigen Anwendungen, die ansonsten nicht sinnvoll CO2-neutral transformiert werden können – zu fokussieren. Dazu gehören die Stahl- und Chemieproduktion sowie die Stromerzeugung (Reservekraftwerke) sowie gegebenenfalls der Schwerlastverkehr. Innovative Anwendungen wie die H2-basierte Stahlproduktion sollten im Vordergrund stehen, da sie die höchsten Synergieeffekte bezogen auf Treibhausgasreduktion und industrielle Wertschöpfung versprechen. Ein breiter Einsatz von Wasserstoff und Derivaten in Gebäuden und im Straßenverkehr ist dagegen ineffizient und kostenintensiv und sollte daher auch aufgrund der absehbaren physischen Knappheiten von Wasserstoff nach heutigem Kenntnisstand nicht verfolgt werden.
Die Wasserstoffstrategie sollte klar zwischen Wasserstoff und seinen Derivaten trennen und zeitnah um eine eigene Strategie zu Wasserstoffderivaten ergänzt werden.
In der Strategie werden Wasserstoff und Wasserstoff-Derivate oft zusammen angesprochen, obwohl es sich dabei um verschiedene Produkte mit teils sehr unterschiedlichen Eigenschaften und für verschiedene Anwendungszwecke handelt. Derivate, wie beispielsweise grünes Ammoniak oder sogenannte E-Fuels werden anders hergestellt, transportiert und gelagert sowie (weiter)verwendet als Wasserstoff. Zudem sind sie als Folgeprodukte immer teurer als Wasserstoff. Daher werden sie künftig vorrangig in außereuropäischen Ländern produziert und weit überwiegend von dort importiert. Hierfür wäre eine eigene nationale (Import-)Strategie vorteilhaft, wie sie etwa bereits vom Land Nordrhein-Westfalen für synthetische Kraftstoffe erstellt wurde. Jedenfalls ist es irreführend, einen „Gesamtwasserstoffbedarf von 95 bis 130 Terawattstunden“ anzugeben, wenn dieser auch nennenswerte, jedoch nicht bezifferte Bedarfe an Derivaten enthält.
Fazit
Die Fortschreibung der nationalen Wasserstoffstrategie geht in die richtige Richtung, sie bedarf allerdings an vielen Stellen weiterer Konkretisierung und sollte zeitnah durch eine Importstrategie ergänzt werden.
Weiter mit:
Vgl. hirrzu auch „Fraunhofer“
https://www.isi.fraunhofer.de/de/blog/2023/europa-energiesystem-2050-wasserstoff-industrie.html
Auszug:
„Laut Studie würden in Deutschland unter kostenoptimaler Betrachtung keine nennenswerte Produktion von grünem Wasserstoff stattfinden, da andere Länder bessere Produktionsbedingungen haben. Sollte Deutschland demnach auf eine eigene Produktion von grünem Wasserstoff verzichten?
Tobias Fleiter: Wichtig ist bei der Interpretation der Studie, dass die Szenarien von einem rein techno-ökonomisch optimierten Aufbau des CO2-neutralen Energiesystems in Europa ausgehen, also ohne jegliche politischen und gesellschaftlichen Einschränkungen in der Umsetzung. Diese Studie ist insofern auf keinen Fall eine Prognose und kann auch nicht direkt Vorlage für die Politik sein. Sie kann aber in die Entwicklung von Strategien einfließen. Und da ist die zentrale Botschaft für die EU und ihre Mitgliedstaaten, dass die Integration des europäischen Systems (über den Strom- und Wasserstoffhandel) Kostenvorteile gegenüber nationalen Lösungen mit sich bringt.
Dass die Produktion von grünem Wasserstoff an Standorten mit hohem Potenzial für Wind- und Solarenergie kosteneffizienter ist, sollte niemanden überraschen. Trotzdem muss die Politik abwägen, inwiefern sich beispielsweise Deutschland vom (europäischen) Ausland abhängig machen möchte und sollte….“
Fazit: Produktion und Lebenshaltung in Deutschland wird teurer, Wettbewerbsnachteile kumulieren sich.