22.12.2010Georg Sander
Carsten Gerhardt: „Baudezernent Meyer gehört abgelöst.“
Vermutlich schaffen es nur wenige Vereine, zwei Tage vor Heiligabend eine gut besuchte Mitgliederversammlung auf die Beine zu stellen. Für die Wuppertalbewegung war das jedoch kein Problem, die Plätze in der Pauluskirche waren gut gefüllt.
Wer vermutet hatte, dass der vorweihnachtliche Termin und der klerikale Versammlungsort den Vereinsvorsitzenden Carsten Gerhardt milde stimmen würden, sah sich getäuscht. In seiner Ansprache wechselten sich positive Schilderungen der Aktivitäten der Wuppertalbewegung mit scharfen Attacken in Richtung Rathaus ab.
Zu Beginn verlas Gerhardt ein Grußwort von Oberbürgermeister Peter Jung und konnte sich einen ersten Seitenhieb gegen die Stadt nicht verkneifen. Aus dem OB-Büro sei das Grußwort ohne jeglichen Kommentar als Anhang an eine E-Mail an den Verein gesandt worden.
Jung ließ die Versammlung wissen, dass ihm das Projekt Nordbahntrasse ein wirkliches „Herzensanliegen“ sei. Trotz aller Meinungsunterschiede verbinde Stadtverwaltung und Wuppertalbewegung ein gemeinsames Ziel. Und im Jahr 2013 würden alle stolz auf das Erreichte sein, schrieb der Rathauschef zuversichtlich.
Die Mitglieder nahmen das Grußwort ohne Applaus entgegen. Carsten Gerhardt hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg: „Die Worte hör‘ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ Jung und Stadtkämmerer Slawig seien zwar zweifellos Verfechter der Nordbahntrasse. Aber dahinter stehe ein Beamtenapparat, an dem man sich ständig abarbeiten müsse. Immer wieder würden der Wuppertalbewegung durch die Verwaltung Steine in den Weg gelegt.
Auch die Umweltschützer hatten es der Bewegung im zu Ende gehenden Jahr nicht leicht gemacht. Gerhardt erläuterte noch einmal die Auseinandersetzungen mit dem BUND, der die in den Tunneln beheimatete Fledermauspopulation gefährdet sieht. „Das ist ein reiner Schaukampf, der hier von Seiten des BUND geführt wird.“ Die Fledermäuse hingen schließlich nicht von der Tunneldecke, sondern hielten sich hinter einer 80 cm dicken Ziegelwand auf und seien in keiner Weise durch die Besucher im Tunnel beeinträchtigt. Carsten Gerhardt: „Wir tun mit unseren Projekten mehr für den Artenschutz als der BUND in den letzten 50 Jahren im Tal gemacht hat.“
Die Fertigstellung des ersten zwei Kilometer langen Teilstücks im Sommer habe die Erwartung vieler übertroffen, stellte Gerhardt unter dem Beifall der Mitglieder fest. Zwar habe nicht alles funktioniert, was sich die Wuppertalbewegung vorgenommen hatte, aber man könne sehr stolz auf das Erreichte sein. Die eine oder andere bauliche Panne wie etwa eine missratene Trassenzuführung an der Schleswiger Straße sei inzwischen behoben worden. Mehrfach bedankte sich Gerhardt in seiner Ansprache bei den Ehrenamtlichen des Vereins für ihr Engagement.
Carsten Gerhardt: „Wir haben alles Geld, was wir hatten, ausgegeben.“ Öffentliche Fördermittel seien aber entgegen den Erwartungen noch nicht an den Verein geflossen. Die Stadt habe aktuell und auch in den nächsten zwei Jahren keine Kapazitäten, um die Rechnungen und Baufortschritte zu prüfen. Derzeit werde jede Rechnung von einem externen Gutachter überprüft. Carsten Gerhardt lakonisch: „Die Stadtverwaltung ist grandios im Abgeben.“
Gerhardt schilderte weitere positive wie negative Vorkommnisse des laufenden Jahres. So habe der ehemalige Provider der Vereins-Homepage die Seite bei Ebay versteigern wollen, weil er vergeblich auf eine finanzielle Vergütung seiner Dienstleistung gehofft habe. Gerhardt bekräftigte, dass keiner, der für den Verein arbeitet, mit einer Bezahlung rechnen könne. Am Prinzip der Ehrenamtlichkeit werde nicht gerüttelt. Nachdem der Provider sich zurückgezogen habe, hätten sich fünfzehn neue Anbieter gemeldet, die das Hosting der Website umsonst übernehmen wollten.
Im Anschluss nahm Gerhardt erneut das Rathaus unter Beschuss. Auf Beanstandungen des Regionalverbandes Ruhr an den von der Stadt veranlassten Baumaßnahmen im Tunnel Schee habe die Stadt in den zurückliegenden fünf Monaten nicht reagiert, schildert Gerhardt sichtlich empört und fordert unter dem Applaus der Vereinsmitglieder: „Baudezernent Meyer gehört abgelöst.“
Die Schließung des Tunnels Engelnberg durch die Stadt kritisierte Carsten Gerhardt scharf. Den Tunnel bezeichnete er als absolut sicher und auch für Fledermäuse bestehe dort keine Gefahr.
Der Zeitplan der Wuppertalbewegung sei von der Stadt einfach „ausgesessen“ worden: „gelesen, gelacht, gelocht.“ Die Stadt reagiere überhaupt nicht mehr auf neue Vorstöße der Wuppertalbewegung. Anfang November habe man erneut einen Versuch unternommen. Der Verein habe alle Punkte aufgeführt, die zwischen Wuppertalbewegung und Stadt noch offen seien. Es sei ein Fehler gewesen, die Presse in den Verteiler zu nehmen, räumte Gerhardt ein, denn daraufhin habe die Stadt dem Verein eine Antwort schlicht verweigert.
Auch weitere Sitzungen seien ergebnislos verlaufen oder von der Stadtverwaltung im Vorfeld abgesagt worden. Zuletzt sei ein für heute (23.12.) angesetzter Termin gestrichen worden, weil die Stadt vor weiteren Gesprächen einen „Projektsteuerer“ einstellen wolle. Mit diesem Steuerer sei frühestens im März zu rechnen, was die Fertigstellung der Trasse, die einmal für 2009 vorgesehen war, weiter verzögern werde, befürchtet Gerhardt und legte nach: „Es gibt keinen Zeitplan bei der Stadt, noch nicht einmal in der allergrößten Granularität.“ Vorstandsmitglied Olaf Nagel verbringe aber in jeder Woche sechzig Stunden damit, sich mit „schwachsinnigen Anforderungen“ (Gerhardt) wie den von der Stadt geforderten Gutachten herumzuschlagen.
Aus dem Publikum erfuhr Gerhardt viel Zustimmung. Allerdings wurde auch die Frage gestellt, ob der Kommunikationsstil der Wuppertalbewegung mit der Stadt richtig sei. „Muss da nicht von seiten der Wuppertalbewegung ein anderer Auftritt erfolgen?“ wollte ein Mitglied wissen. Carsten Gerhardt erwiderte, er sei für Vorschläge dankbar.
Pauschalkritik aus dem Publikum in Richtung Rathaus machte sich Gerhardt nicht zu eigen: „Es gibt auch ungemein konstruktive Mitarbeiter bei der Stadt, da fliegen intern auch die Fetzen. Aber es kommt nicht von ungefähr, dass sich in der Stadt nichts bewegt und dass Wuppertal beim Dynamik-Ranking auf Platz 100 von 100 Städten landet.“
Nach dem Bericht des Vorsitzenden erläuterte Christa Mrozek das Erscheinungsbild (Corporate Design) und die Kommunikationspolitik für die Nordbahntrasse. Neben den klassischen Medien setze man auf eigene Veranstaltungen wie Filmvorführungen und das Trassenfest. Plakate und Autoaufkleber seien geplant. Der Internetauftritt sei überarbeitet worden; die neue Webpräsenz sei aktueller und informativer als vorher. Das Informationsangebot solle weiter ausgebaut worden. Schließlich spiele auch der neue Trassenkalender mit Fotos von Uwe Schinkel und anderen Fotografen eine große Rolle . Mit einer Postkartenserie soll in aller Welt für die schönen Seiten Wuppertals geworben werden. Ein Faltplan über die Trasse ist ebenso in Arbeit wie ein Internetforum, auf dem Bürger miteinander und mit der Wuppertalbewegung diskutieren können.
Mit der Vorstellung weiterer Projekte und der Darstellung der Rolle der Nordbahntrasse im regionalen Trassenverbund richtete die Versammlung dann den Blick weiter nach vorne.
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Fotos: Georg Sander
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