Brief an das Jobcenter wegen defizitärer Umsetzungspraxis zu Computern

Beim Jobcenter Wuppertal läuft mal wieder so einiges schief

Offener Brief an die Geschäftsführung des Jobcenters Wuppertal AöR zur defizitären Umsetzungspraxis auf digitale Endgeräte

Anfang Februar verkündete Arbeitsminister Heil (endlich) den Anspruch auf digitale Endgeräte für Kinder ALG-II-beziehender Familien. Um Informationen darüber zu bekommen, wie dieser Anspruch umgesetzt wird, haben wir an das Jobcenters Wuppertal eine Anfrage gestellt und die Problematik in unserem letzten Newsletter vom 07.02.2021 thematisiert. Am 8. Februar gab es dann von Seiten des Jobcenters und der Verwaltung eine Pressemitteilung.
Nachzulesen ist diese hier:   https://t1p.de/bwf1

Nach der Entscheidung des Arbeitsministeriums und den Berichten in der Presse, haben sich viele Familien, Schulen und Schulsozialarbeiter hoffnungsvoll an das Jobcenter gewandt. Das Ergebnis ist leider ziemlich ernüchternd.

Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass im Jobcenter Wuppertal viel unternommen wird, um die Umsetzung der Ansprüche zu erschweren, zu verkürzen oder gar zu vereiteln.

Uns haben Beratungsanfragen erreicht, in denen die Ansprüche aktuell ganz oder mit dem Hinweis, digitale Endgeräte würden nur von den Schulen zur Verfügung gestellt, verneint wurden.  In einem Formular, das vom Jobcenter Wuppertal aktuell benutzt wird, wird abgefragt, ob im Haushalt ein internetfähiges Smartphone zur Verfügung stünde. An anderer Stelle wurde der Anspruch auf ein Gerät pro Haushalt begrenzt oder nur ein Betrag von 150 Euro zugestanden.

Aus diesem Grund haben wir vom Verein Tacheles kurzfristig einen offenen Brief an das Jobcenter Wuppertal geschrieben, um die Geschäftsführung auf die Umsetzungsprobleme aufmerksam zu machen. Wir fordern darin neun Änderungen, die sofort umgesetzt werden müssen.

Den offenen Brief veröffentlichen wir an dieser Stelle:

Offener Brief an die Jobcenter Wuppertal AöR Geschäftsführung
Zur defizitären Antragsbewilligungspraxis des Jobcenter Wuppertal zu digitalen Endgeräten

Sehr geehrter Herr Lenz,
sehr geehrte Damen und Herren,

den Verein Tacheles haben alleine diese Woche eine Reihe Beratungsanfragen von Leistungsbeziehenden, Schulen und Schulsozialarbeiter*innen zur defizitären Antragsbewilligungspraxis hinsichtlich digitaler Endgeräte für den Distanzunterricht erreicht.

Die dort aufgetauchten Fragen passen so gar nicht mit den von Ihnen in der Öffentlichkeit getätigten Aussagen überein.

Sie haben in Ihrer Pressemitteilung vom 8. Februar 2021 mitgeteilt, dass Sie es sehr begrüßen, dass Familien, die ALG II-Leistungen beziehen nun endlich den Anspruch auf digitale Endgeräte hätten und dass jetzt „pro Schülerin bzw. Schüler ein Zuschuss bis zu 250 Euro (Tablett, PC, Laptop, Zubehör) und weitere 100 Euro für einen Drucker vorgesehen“ sei.

Wie sich für uns zeigt, sieht die Realität bei Anträgen und Anfragen, die bereits nach dem Erlass des Ministeriums gestellt wurden, leider völlig anders aus.

1. so wurde beispielsweise in einem uns vorliegenden Fall gesagt, es kämen „max. 150 EUR pro Haushalt für digitale Endgeräte in Betracht“ und das auch nur wenn „der Haushalt über kein geeignetes digitales Endgerät verfüge“.

2. In anderen Fällen gab es vom Jobcenter Wuppertal erstellte Formulare, in denen von den Antragstellenden erfragt wird, ob „im Haushalt ein internetfähiges Smartphone vorhanden ist“. Neben der Tatsache, dass es sich hier um eine unzulässige Datenerhebung handelt, stellt sich die Frage, was passieren würde, wenn das bejaht würde – werden dann digitale Endgeräte abgelehnt?

  1. Ebenso liegen uns Fälle und Aussagen von Leistungsberechtigten vor, in denen mündlich der Anspruch auf digitale Endgeräte abgelehnt und darauf verwiesen wurde, sie müssten diese von den Schulen erhalten, vom Jobcenter gäbe es nichts.

    Diese bei uns ankommende Realität hat rein gar nichts mit dem zu tun, was Sie wohlklingend in den Medien verkündet haben. Der Verein Tacheles erwartet daher, dass die Verwaltungspraxis des Jobcenters Wuppertal unverzüglich geändert wird.

    Wir fordern Sie auf folgende konkreten Schritte unverzüglich umzusetzen:

  2. Es sind alle Mitarbeitenden des Jobcenters darüber aufzuklären, dass der Anspruch auf digitale Endgeräte besteht und es von Seiten des Jobcenters eine Hinwirkungspflicht gibt, dafür Sorge zu tragen, dass bedürftige Menschen die ihn zustehenden Leistungen unverzüglich erhalten.
  3. Es ist klarzustellen, dass jede/r Schüler*in, der/die eine Notwendigkeitsbescheinigung der Schule vorlegt, Anspruch auf ein Gerät hat und der Anspruch nicht pro Haushalt besteht.
  4. Wird ein Antrag auf digitale Endgeräte gestellt und ist die Notwendigkeit durch Schulbescheinigung glaubhaft gemacht worden, müssen keine Kostenvoranschläge mehr eingereicht werden, sondern die Leistung ist unverzüglich zu gewähren.
  5. Das Jobcenter hat bei Bedarfen nach § 21 Abs. 6 SGB II grundsätzlich immer in Vorleistung zu treten. Eine Vorleistung durch die Leistungsberechtigten ist in den meisten Fällen nicht machbar und sie zu verlangen, ist rechtswidrig.
  6. Das Jobcenter hat bei Haushalten ohne digitale Endgeräte und Drucker den Gesamtbetrag von 350 EUR auszuzahlen und den Menschen maximale Dispositionsfreiheit zu geben, ohne kleinkariert hinterher zu prüfen, ob beim Drucker gespart und stattdessen ein besserer Laptop gekauft wurde.
  7. Von der Vorlage von Quittungen hat das Jobcenter abzusehen, zunächst weil es dafür keine Rechtsgrundlage gibt, aber auch, weil es den Leistungsberechtigten mit Empathie und Zutrauen, dass die das Richtige für ihre Kinder tun werden, zu begegnen hat.
  8. Ein Antrag auf digitale Gräte und eine Schulbescheinigung ist auf der Webseite des Jobcenters zum Download zur Verfügung zu stellen. Die Formulare sind hinsichtlich der angesprochenen Punkte zu modifizieren.
  9. Die Verwaltungspraxis des Jobcenters ist unverzüglich umzustellen, jeder Tag des Fehlens von digitalen Endgeräten ist ein Tag mehr des Abgehängt-Seins armer Schülerinnen und Schüler.

Das Jobcenter Wuppertal muss außerdem klarstellen, dass alle Auszubildenden, Schülerinnen und Schüler oberhalb des 25. Lebensjahres und Sprachkursteilnehmer*innen, die ihre Kurse mangels digitalen Endgeräts nicht besuchen können, auch einen solchen Anspruch haben.

Sehr geehrter Herr Lenz, Sie stehen als Leiter in der Verantwortung, es muss sofort etwas passieren.  Hier helfen keine schönen Worte, sondern Ihr Fachreferat Recht muss angewiesen werden, das Gesetz umzusetzen, nach dem die „Leistungsträger dafür Sorge zu tragen haben, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden“, wie § 2 Abs. 2 SGB I es vorschreibt. Die bisherige Realität orientiert sich eher daran, wie Ansprüche maximal verkürzt werden können.

Wir sehen Ihrer Stellungnahme entgegen und

verbleiben mit freundlichen Grüßen

Download des offenen Briefes: https://t1p.de/h6u4

Antragsvordrucke und Schulbescheinigungen können von unsrer Webseite downgeloadet werden, der Link ist hier: https://tacheles-sozialhilfe.de/startseite/aktuelles/d/n/2739/

Sollte es weitere Probleme bei der Realisierung der Ansprüche auf digitale Endgeräte geben, steht der Verein Tacheles selbstverständlich mit Rat und Tat, bzw. mit Beratung zur Seite. Informationen zur Beratung, zum Zugang, Zeit und Modalitäten in der Corona-Zeit gibt es hier:  https://tacheles-sozialhilfe.de/startseite/aktuelles/d/n/2623/

Es ist in unseren Augen immens wichtig, dass Schülerinnen und Schüler aus einkommensschwachen Haushalten nicht weiter abgehängt werden!

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