11.03.2014Astrid Schau
Kultursensible Altenpflege
Die Bewohnerinnen und Bewohner Wuppertals bringen ganz unterschiedliche kulturelle Hintergründe mit. Das sollte sich auch in der sozialen Infrastruktur widerspiegeln, beispielsweise in Alten- und Pflegeheimen. Für Lebenszeiten sprach ich mit Ralf Krause, Heimgeschäftsführer des Multikulturelles Seniorenzentrum „Haus am Sandberg“ in Duisburg. Ein Modell für Wuppertal?
Zwischen Duisburg und Wuppertal liegen keine Welten, sondern nur ein paar Kilometer Autobahn. Viele der Ansätze, die Ralf Krause beschreibt, finden sich auch in Wuppertaler Alten- und Pflegeheimen, denn der Übergang zwischen einer empathischen und einer kultursensiblen Pflege ist fließend. Das vorliegende Interview bietet eine erste Orientierung. Ein Gespräch mit dem Leiter einer Wuppertaler Einrichtung ist geplant und folgt.
Was bedeutet „multikulturell“ für Sie als Leiter des „Hauses am Sandberg“?
Ralf Krause: Neben alten und pflegebedürftigen Menschen aus der Nachbarschaft zählen zu unseren Bewohnerinnen und Bewohnern viele Menschen islamischen Glaubens, die mitunter ein wenig weiter weg von unserem Haus gelebt haben. Für das Pflegepersonal und die Heimleitung bedeutet „multikulturell“ vor allem eine kultursensible Betreuung und Begleitung unserer Bewohner. Im Grunde geht es darum, die einzelne Bewohnerin, den einzelnen Bewohner in seinen Wünschen und (auch religiösen) Bedürfnissen ernst zu nehmen. Der kulturelle Hintergrund ist dabei ein Faktor unter vielen.
Wie wirkt sich dieses Konzept im Heimalltag aus und weshalb lässt sich eine kultursensible nur schwer von einer allgemein empathischen Pflege abgrenzen?
Ralf Krause: Ein einfaches Beispiel: Unsere muslimischen Bewohner wünschen sich, von Menschen ihres Geschlechts gepflegt zu werden. Wir versuchen, dies zu ermöglichen, stoßen allerdings angesichts des Mangels an männlichen Pflegekräften an Grenzen. Viele alte Damen und Herren ohne Migrationshintergrund genieren sich genauso. Wenn eine Bewohnerin, ganz gleich welcher Herkunft, sich lieber von einer Frau waschen lässt, bemühen wir uns selbstverständlich, diesem Wunsch nachzukommen.
Weshalb bevorzugen alte und pflegebedürftige Einwanderer der ersten Generation und ihre Angehörige das „Haus am Sandberg“?
Ralf Krause: Sowohl die christliche als auch die islamische Gesellschaft in Deutschland säkularisiert sich immer mehr. Dennoch ist es vielen Familien türkischer Herkunft wichtig, dass sich die alte Generation halal ernähren kann, also nach den islamischen Speisevorschriften. Wir bieten jeden Tag ein Gericht ohne Schweinefleisch und dessen Nebenprodukte wie beispielsweise Gelatine an. Ein weiterer Aspekt ist sicher die Sprache. Eher altersbedingte Erkrankungen wie Demenz bringen es mit sich, dass sich die Bewohner zunehmend auf die Sprache ihrer Kindheit zurückziehen. In der Begleitung ist es wichtig, diesen Schritt nachvollziehen zu können. Unsere Mitarbeiter sprechen Türkisch und weitere Sprachen, je nach ihrem eigenen kulturellen Hintergrund. Wenn jemand sich in dieser Hinsicht weiterbilden will, fördern wir das.
Sie haben die Säkularisierung bereits angesprochen. Welche Rolle spielen religiöse Angebote in Ihrem Haus?
Ralf Krause: Seelsorger unterschiedlicher Konfession besuchen unsere Bewohner regelmäßig, darunter auch ein Hodscha. Da sie ihre Besuche dokumentieren, können wir nachvollziehen, dass die allermeisten unserer Bewohner diese Gespräche schätzen. Dabei muss es nicht unbedingt um Gebete und religiöse Inhalte gehen. Vielmehr bietet sich so eine weitere Möglichkeit zum persönlichen Gespräch. Wir haben einen islamischen Gebetsraum und laden unsere Bewohner alle zwei Wochen zu einem christlichen Wortgottesdienst in unseren großen Veranstaltungsraum ein. Diese Angebote sind beliebt, wohl auch, weil sie dazu beitragen, den Tag zu strukturieren.
Wie gehen Sie im „Haus am Sandberg“ mit der letzten Lebensphase, dem Sterben, um? Wie mit trauernden Angehörigen und Bewohnern?
Ralf Krause: So individuell wie die Männer und Frauen, die hier miteinander wohnen, sind auch ihre Wünsche und die ihrer Angehörigen am Lebensende. Wir gedenken einmal im Jahr unserer Verstorbenen. Manche Angehörige nutzen die Gelegenheit gerne, andere bleiben weg. Ebenso ist das Bedürfnis nach Nähe in den Tagen des Sterbens von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich ausgeprägt. Wir bemühen uns, jeder einzelnen Bewohnerin bis zuletzt gerecht zu werden. Dabei nehmen wir sehr bewusst und sichtbar Abschied. Der Transportsarg oder, leider immer häufiger, Leichensack wird durch dieselbe Tür getragen, durch die der Verstorbene früher einmal eingezogen ist.
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