12.10.2023Helge Lindh
„Schichtwechsel“ – der Aktionstag für neue Perspektiven
Die Troxler-Haus Werkstätten nehmen wieder am „Schichtwechsel“ teil,
einer Initiative der BAG WfbM (Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten
für behinderte Menschen). Dieses Jahr findet der Schichtwechsel am
12.10.2023 statt. Ziel ist, Arbeitnehmer:innen und Werkstattbeschäftigten
durch den eintägigen Tausch der Arbeitsstelle einen Perspektivwechsel
zu ermöglichen. Um mit Klischees aufzuräumen und eine neue Sicht auf
das Thema Teilhabe zu schaffen – eine bereichernde Aktion mit nachhaltiger
Wirkung für alle Beteiligten!
Helge Lindh, Bundestagsabgeordneter der Wuppertaler SPD, ist 2023 Schirmherr
für den „Schichtwechsel“ in den Troxler-Haus Werkstätten. Selbstverständlich
nimmt er auch selber am „Schichtwechsel“ teil! Zum Thema der beruflichen Inklusion
sagt Helge Lindh:
„Die UN-Behindertenrechtskonvention ist geltendes Recht und es stellt sich nicht
die Frage ob wir sie umsetzen wollen – wir müssen! Es ist peinlich für Deutschland,
dass unser Land bis zum heutigen Tage gegenüber anderen Ländern weit
zurückbleibt und damit universales Recht in Deutschland immer noch nicht gilt.
Umso wichtiger sind Aktionen wie der „Schichtwechsel“ die uns alle zwingen
zu begreifen, dass Teilhabe am Arbeitsmarkt kein Almosen ist, sondern unsere
verdammte Pflicht und Schuldigkeit. In einer freien demokratischen Gesellschaft
haben
alle Menschen die gleiche Würde und den Anspruch darauf, würdevoll
ihren Möglichkeiten entsprechend arbeiten zu können und sich verwirklichen zu
dürfen. Der „Schichtwechsel“ erinnert uns daran, endlich mal unsere Komfortzone
zu verlassen und einen Perspektivwechsel vorzunehmen.“
Fragen an Helge Lindh
Die jungen Menschen mit Behinderung aus dem beruflichen Bildungsbereich
der Troxler-Haus Werkstätten haben die Schirmherrschaft von Helge
Lindh genutzt, ihre Fragen, die sie bewegen, unserem politischen Vertreter
in Berlin zu stellen:
Simon: Warum braucht die Bürokratie in Deutschland im Vergleich zu anderen
Ländern so lange?
„Die deutsche Bürokratie ist schon so etwas wie eine eigene Gewalt, über Jahrhunderte
gewachsen und durch nichts zu stören. Mittlerweile ist es so, das Bürokratie
vielem im Wege steht, belastet und Prozesse und wichtige Entscheidungen
verzögert. Wir brauchen sie, weil ein Rechtsstaat eine ordentliche Verwaltung
braucht – aber keine Bürokratie, die sich verselbstständigt hat und Menschen das
Leben schwerer macht.“
Jasemin: „Ich finde es wichtig, dass Kinder im Rollstuhl gut in ihre Wohnung
kommen. Das ist finanziell bestimmt schwierig. Was können Sie als
Politiker dafür tun?“
„Wir als Politiker müssen uns viel mehr als in der Vergangenheit darum kümmern,
dass in Deutschland künftig barrierefreier Wohnraum Normalität ist – davon sind
wir Lichtjahre entfernt. Das liegt daran, dass Deutschland viel zu spät die Bedeutung
von Barrierefreiheit erkannt hat, aber auch Gesetze im Bereich Bauen und
unsere Bauordnungen der Barrierefreiheit im Wege gestanden haben. Die politische
Aufgabe ist es daher, die Gesetze und auch die Forderungen so zu organisieren,
dass Bauunternehmen künftig selbstverständlich barrierefrei bauen. Davon
profitieren im Übrigen alle, auch Menschen, die nicht im Rollstuhl sitzen, weil
es viel bequemer ist. In einer barrierefreien Wohnung zu leben bedeutet auch,
dort alt werden zu können.“
Johanna: „Was haben Sie als Politiker für Hobbys?“
„Das Klischee stimmt: Mein Beruf ist mein Hobby, work-life-balance gibt es bei mir
nicht. Viel Berufliches vermischt sich mit Privatem. Und wenn man meint, privat
zu sein, wird man doch wieder auf den Beruf angesprochen. Trotzdem versuche
ich, Konzerte zu besuchen, spazieren zu gehen und möglichst kein American
Football-Spiel im deutschen Fernsehen zu verpassen.“
Luisa: „Wieso werden Flüchtlinge abgeschoben, wenn sie sich in Deutschland gut integriert haben?“
„Luisa hat viel mehr verstanden als so manche Politikerinnen und Politiker. Es ist
vollkommen richtig und macht überhaupt keinen Sinn, gut integrierte Flüchtlinge –
auch solche, die noch nicht anerkannt sind – abzuschieben. Ich selber habe das
Chancen-Aufenthaltsrecht verhandelt, welches Menschen ermöglicht – jene, die
sich gut integriert haben, sich um ihren Unterhalt selber kümmern und ihre Identität
geklärt ist – in Deutschland bleiben können, auch wenn sie noch nicht anerkannt
wurden. Verbesserungen im Bleiberecht sind dringend notwendig – es nützt
niemandem, Menschen abzuschieben, die längst Teil dieser Gesellschaft sind.“
Aleksander: „Was passiert mit den Fördergeldern für Inklusion? Wieso gibt
es in Wuppertal nicht mehr Barrierefreiheit? Zum Beispiel selbst öffnende
Türen?“
„In Deutschland gibt es Milliarden an Fördergeldern. Im Bereich Inklusion brauchen
wir aber noch mehr Förderung! Es liegt aber auch daran, wie wir Fördergelder
organisieren. Arme Städte wie Wuppertal haben oft nicht die Mittel, eigenes
Geld zur Verfügung zu stellen, so dass viele Fördergelder nicht abgerufen
werden können – ein strukturelles Problem. Wir benötigen also mehr Fördermittel
und ein besseres System, welches ärmeren Städten ermöglicht, mehr Geld in
Barrierefreiheit zu investieren.
Luisa: „Wie kann man Kinder besser im Internet schützen? Zum Beispiel
wenn Videos von ihnen verbreitet werden?“
„Doxing und Mobbing sind eine große Gefahr für unsere Gesellschaft. Es dient
dazu, andere fertig zu machen. Schüler und Schülerinnen werden verletzt. Um
dem zu begegnen, sind eindeutige Regeln und härtere Strafen notwendig. Es darf
kein Zweifel bestehen, dass dies ein gesetzeswidriger Straftatbestand ist, aus
dem Konsequenzen gezogen werden müssen. Wir brauchen auch einen besseren
Opferschutz, mit besserer Beratung und einer möglichen Entschädigung. Auch
rechtlich muss es möglich sein, gegen Täterinnen und Täter vorzugehen. Außerdem
fehlt es an Solidarität – es ist zum Spiel geworden, andere durch das Internet
zu schädigen – stattdessen sollte man sich schützend vor die Opfer stellen und
ihnen zur Seite stehen.“
Pia: „Warum haben die Schwebebahnen und Busse in Wuppertal immer so
viele Störungen?“
„Die Schwebebahn hat vor allem deshalb Störungen, weil sich bei der Einführung
technische Probleme seitens des Herstellers gezeigt haben. Leider gibt es nun
mal nicht viele Unternehmen, die Schwebebahnen bauen. Bei den Bussen hat es
vor allem finanzielle Gründe. Aber noch schlimmer ist es eigentlich bei der Bahn.
Insgesamt haben wir zu wenig für unsere Infrastruktur getan.“
Angela: „Was tun Sie in Wuppertal für die Umwelt und gegen den Klima– S4/4
wandel?“
„Ehrlicherweise müsste ich noch mehr tun. Meine eigene Ökobilanz ist ganz okay,
ich habe kein Auto, nutze öffentliche Verkehrsmittel und Mitfahrgelegenheiten,
gehe viel zu Fuß. Meine Ernährungsgewohnheiten müssten allerdings verbessert
werden und ich müsste auch im Alltag schauen, wie ich mich noch mehr für die
Umwelt einsetzen kann. Neben dem Privaten unterstütze ich mit Nachdruck eine
klare Politik für Milderung von Klimaschäden und gegen die Erderwärmung in
Verbindung mit sozialen Maßnahmen. Es ist wichtig, alle Menschen, ob arm oder
reich, bei dem Thema mitzunehmen.“
Justin: „Was machen Sie für Nachhaltigkeit?“
„Ich verzichte bewusst auf ein Auto, nutze öffentlichen Nahverkehr und setze auf
kluge, klimafreundliche Systeme. Des Weiteren unterstützen wir zum Beispiel
Kulturveranstaltungen, die bewusst auf Nachhaltigkeit achten – Reisen und Müll
reduzieren und nachhaltige Arbeitsverhältnisse schaffen. Außerdem unterstützen
wir das Von der Heydt Museum bei der Durchführung nachhaltiger, klimafreundlicher
Ausstellungen.“
Aleksander: „Was ist ihr liebstes Fortbewegungsmittel?“
„Es war das Rennrad. Leider kam dann die Politik und ich wurde etwas faul,
nehme mir aber vor, es wieder zu benutzen. Am liebsten gehe ich zu Fuß, am
häufigsten nutze ich die Deutsche Bahn.“
Mohammad: „Wieso gibt es in Wuppertaler Bahnhöfen so wenige Aufzüge?“
„Generell in deutschen Bahnhöfen gibt es zu wenig Aufzüge! Das musste ich
selber leidvoll erfahren, als ich mehrere Monate auf Krücken durch Deutschland
reisen musste. Es ist eine Katastrophe! Oft funktionieren die Fahrstühle nicht oder
es gibt keine – eine Beleidigung von Menschen mit Gehbehinderung und Rollstuhlfahrern!
Völlig inakzeptabel. Der deutsche Staat und die Bahn haben viel zu
spät mit Sanierungen begonnen. In Wuppertal kommt hinzu, dass die Bahnhöfe
oft sehr alt sind und die Stadt selbst nicht die Mittel hat. Besonders schlechte
Bedingungen für Barrierefreiheit – aber gerade in ärmeren Städten sollte Barrierefreiheit
sichergestellt werden. Also: Mehr Aufzüge für Wuppertal!“
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