Buch der Woche: Band II von Ursula Langkau-Alex’ Standardwerk

Das trieb die Exilierten um: „Welche sozialen Schichten in Deutschland sind bündnisfähig und auch willig, gegen den Nationalsozialismus aufzustehen?“ (Seite 587). Die Autorin rekurriert hier auf Georg Bernhard, aber mit der Frage beschäftigten sich alle, denen die Volksfront wichtig war.

Generell: Die Sopade, also der Prager SPD-Exilvorstand, hintertrieb die Einheitsfrontbestrebungen aus dem eigenen Lager und lehnte 1936 „jede organisatorische Verbindung mit Kommunisten, insbesondere Abmachungen und Vereinbarungen mit kommunistischen Vertretern oder Organisationen über gemeinsame Aktionen“ ab (zit. auf S. 10) – und erhob einen Führungsanspruch im antifaschistischen Widerstandskampf (S. 9), wie es die KPD ihrerseits tat, deren politischer Konzeption „der Kampf gegen die Sozialdemokratie inhärent“ war (S. 586). Außer Spesen nichts gewesen?

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Eine solche Bilanz zu ziehen, ist zu kurz gegriffen (und Ursula Langkau-Alex tut es auch nicht). Maßgebliche Vertreter der beiden großen Arbeiterparteien und der Zwischengruppen, von denen die SAP im selben Jahr feststellen musste, dass sie „nur noch mit der opportunistischen KPD und der reformistischen SPD die Einheitspartei zustande bringen könne; beide seien eben doch nicht tot“ (Willy Brandt, Diamant, Enderle, Walcher und Wassermann – S. 490), diskutierten die verschiedensten Bündniskonzeptionen, die nicht selten auf eine „ideelle Bundesgenossenschaft“ hinausliefen, in „der Liberale und Stahlhelmer, der Kommunist und Katholik, der Gewerbetreibende, Arbeiter und Bauer sich auch praktisch miteinander verbünden können“ („Das Neue Tage-Buch“, zit. S. 29). Apodiktisch formulierte Heinrich Mann: „Die Opposition umfasst alle, die nicht Pg’s oder ihre Kundschaft sind“ (zit. S. 30). Bedeutende, nicht immer konstruktive Beiträge lieferten die KPO, die IKD, der ISK, die Revolutionären Sozialisten (RS) und die bereits erwähnte Sozialistische Arbeiterpartei.

Leidenschaftliche Diskussionen entbrannten etwa um die Forderung des Schriftstellers Ulrich Becher, der an die „Christen und Sozialisten des Abendlandes“ appellierte: „Einigt Euch um Gottes willen!“ (S. 25). Bemühungen gab es auch, der – scharf antikommunistischen – Schwarzen Front Otto Strassers die Hand hinzustrecken: In der „Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands“, einer Art Konkurrenzbündnis zur Volksfront, spielte Wenzel Jaksch eine führende Rolle (u. a. S. 18), der später in der Bundesrepublik Vorsitzender des Bundes der Vertriebenen wird.

Bewegte Zeiten. Immer wieder tauchte der Streitpunkt auf, „ob Innerdeutschland oder der Emigration die Vorreiterrolle bei der Bildung einer breiten Front gegen das NS-System zukomme“ (S. 57). Leidenschaftlich diskutiert wurde die Frage, welches Gesicht die zweite deutsche Demokratie haben müsse. In einer Formulierung Willi Münzenbergs sollte sie „nicht das Gesicht von Weimar, sondern das kämpferische Gesicht von Madrid tragen“. Und: Sie sei „heute einzig und allein“ die Alternative zur faschistischen Diktatur und eben nicht die „Sowjetdemokratie“ (S. 578).

Kämpfe und Intrigen, Theorien und Theoreme, Leidenschaft und Winkelzüge breitet Ulla Langkau-Alex vor dem Leser aus – bis hin zu Persönlichem wie über Walter Ulbricht, der „so etwas wie einen sechsten Sinn für sich verändernde Konstellationen“ besaß (S. 349) und in der Einschätzung der Lage, so als er im November 1936 von „Stagnation und selbst Rückgang“ des deutschen Widerstandes sprach, die Lage „weitaus pessimistischer – und auch realistischer“ einschätzte als Wilhelm Pieck und andere (S. 512).

 

MATTHIAS DOHMEN

 

Ursula Langkau-Alex, Deutsche Volksfront 1932-1939. Zwischen Berlin, Paris, Prag und Moskau. Bd. II: Geschichte des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront, Berlin: Akademie 2004, 590 S. (zu Verlag, alt und neu, sowie der Verfügbarkeit siehe www.njuuz.de vom 17.5.).

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