Buch der Woche: Ein finnisches Epos über die Kraft der Hoffnung

Ein Juwel der europäischen Literatur: Volter Kilpis „Albatros“ ist endlich ins Deutsche übersetzt. Der Wuppertaler (und Wiener) Arco-Verlag setzt einmal mehr Maßstäbe.

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Ganz große Literatur kommt einem Rezensenten nicht alle Tage unter die Augen. Um so großartiger ist der Versuch des Verlegers Christoph Haacker zu bewerten, einen hierzulande dem gemeinen Publikum völlig unbekannten Autor zu präsentieren. Ein schmuckes Bändchen, gerade einmal hundert Seiten, ein gut einordnendes Vorwort, ein moderater Preis: Die bestmögliche Ergänzung für den Gabentisch.

Die Geschichte: Ville aus Vaasa träumt davon, vom Buchhalter („Soll ich mein Leben lang an einem fremden Pult für einen Hungerlohn sündigen und unschuldige Menschen betrügen“, fragt er sich) zum großen Reeder aufzusteigen, setzt alles auf ein Pferd, indem er mit seinem ganzen Geld und mit Krediten einen Frachter kauft, schuftet als Ladenschwengel Jahr um Jahr und geht jeden Tag zum Kai … um einmal mehr enttäuscht zu werden: sein Schiff kommt nicht zurück, ja es fehlt sogar jegliche Nachricht, egal von wo auch aufgegeben.

Doch dann legt die Albatros an der Reede an. Aber erbärmlich sieht es aus, und die lange Zeit des Wartens („Sieben Jahre waren also vergangen … haargenau wie bei Jakobs Brautwerbung“) scheinen sich nicht gelohnt zu haben. Indes: Der erste Eindruck täuscht. Voll beladen ist der Kahn mit allem, was bestellt war, die Truhen, gut verschlossen, bergen Scheine und Münzen schwer zählbaren Ausmaßes. Der Busenfreund Kalle hat eiserne Disziplin walten lassen und die Weisheit berücksichtigt, dass Vermögen „durch Einnahmen … nicht durch Ausgaben“ zusammenkommt. „Auch der Reeder begriff, dass er den Eimer zum falschen Brunnen getragen hatte.“ KILPI_Umschlag_PRINT.indd

Schließlich hat Ville wieder Boden unter den Füßen und gewinnt neuen Mut: „Wer außer mit hat an die Rückkehr der Albatros geglaubt? An seinem Glauben wird ein Mann gemessen, und wer sich am Glauben festklammert mit Zähnen und Klauen, mit den Widerhaken seiner Gedanken und der Kraft von Herz und Nieren, der zieht sich aufs Trockene, wenn er je an ein trockenes Ufer gelangt!“

Die von Gabriele Schrey-Vasara glänzend übersetzte Geschichte der Albatros ist eine der beiden so genannten Binnenerzählungen aus Kilpis monumentalem Werk „Alastalon salissa“ (In der guten Stube des Hofes Alasto) von 1933, das in Finnland ähnlichen Kultstatus genießt wie Aleksis Kivis „Die sieben Brüder“. 60 Jahre nach seinem ersten Erscheinen votierten in Helsinki mehr als 100 Künstler, Wissenschaftler und Kritiker für Kilpis Hauptwerk als bestes literarisches Werk seit der Unabhängigkeit Finnlands im Jahre 1917.

Das Vorwort schrieb Pirjo Lyytikäinen, Literaturprofessorin in Helsinki, die ihre Promotion über „Alastalon salissa“ geschrieben hat. Der Autor werde oft mit James Joyce und Marcel Proust verglichen, schreibt sie. Sein Epos sei „sowohl eine Art Seemannsgeschichte als auch eine Allegorie auf das Leben des Menschen und insbesondere auf den Weg des Künstlers: eine weitläufig an den schriftstellerischen Weg des Autors angelehnte Künstlernovelle“. Prachtvolle Bilder von Augen, „die wie an Stielen wachsen“, funkelnden Augen, „in denen so viel Lachen stand, wie in die kleinen Augäpfel passte“, oder des Pfeffers, der in seinen Augen Feuer schlug, „und der Bart stand ihm in allen Richtungen des Kompasses vom Gesicht ab“, schlagen den Leser in den Bann. Einen großen Romancier gilt es, endlich auch hierzulande zu entdecken.

MATTHIAS DOHMEN

Volter Kilpi, Die Albatros, Wuppertal: Arco 2014, ISBN 978-3-938375-56-3, 104 S., Euro 12,00, www.arco-verlag.com.

 

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