Buch der Woche: Jochen Rauschs Erzählband „Rache“
Jochen Rausch „versteht“ seine Helden und seine Antihelden. Er bringt sie uns nahe, ob es nun der biedere Beamte ist, der einen üblen Sexualstraftäter im Gerichtssaal erschießt, ob es der Mensch ist, der an einem bestimmten Punkt der Entwicklung an nichts mehr anderes denken kann als „an das Leben, das er verpasst hat“ (Seite 62), und einen unsympathischen, wenn nicht widerwärtigen Stasispitzel totfährt, ob es der schrullige Kommunist, der im Übermaß der Polizei Hinweise gibt auf Personen, die Verkehrsverstöße begehen („Hilfssheriffs. Die gibt’s in jedem Viertel“, S. 226), oder ob es ein Jan Heinen ist, der in der titelgebenden Geschichte mal so seinem treuen Hund den Schädel einschlägt („Kein Hund, keine Frau. Game over“, S. 257), der Erzähler entwirft aus jeweils wechselnden Perspektiven, mit denen zusätzlich Spannung erzeugt wird, verrückte, beklemmende, immer packende Geschichten, die man nicht aus der Hand legt, bevor man das Ende kennt.
Unter den jeweiligen Titel steht in Klammern der Ort der Handlung, und das kann Heringsdorf sein, Florida oder Wermelskirchen. Wuppertal wird auch genannt. Die Probleme dieser Welt sind zweifellos international. Die Zeit, sagte der Ex-Gerichtsreporter in einem längeren Interview, die Zeit heilt eben nicht alle Wunden: Oft „ist es dann ein furchtbarer Mangel an Liebe, der Menschen widerfahren ist. Was aber nicht heißt, dass jeder Mensch, der eine unglückliche Kindheit hatte, nun zu einem Mörder oder Rächer werden muss. Aber umgekehrt ist es eben seltener, dass ein Mensch, der sehr viel Liebe erfahren hat, dann plötzlich irgendwann zu einem gnadenlosen Killer wird“ (www.berlinverlag.de/buecher/buch-blog/rache-isbn-978-3-8270-1265-4/interview-mit-jochen-rausch/BlogPost/lesen).
Sinniges schreibt er mit dem ihm eigenen Humor auch über den Journalismus, der ja bei den besten seiner Zunft Beruf und Berufung in einem ist. „Ein bisschen Fantasie hilft ja immer als Journalist“, lesen wir auf S. 44. Und wie oft grübelt man über dem Einstieg in einen Bericht: „Ein Reporter ist ja immer froh über ’ne Idee für den ersten Satz“ (S. 35).
Und dann darf auch erwähnt werden, dass der Programmchef des WDR-Jugendsenders „Eins Live“ sprachmodernistischen Spielereien abhold ist, keine Großbuchstaben in einem Wort versteckt, kein gendermäßiges großes I und den Plural von Story nur mit einem abschließenden S bildet und aus dem y eben kein ie macht. Bislang ist Rausch, der auch Musik kann, literarisch mit einem Band Erzählungen, „Trieb“ (2011), und dem Roman „Krieg“ (2013) hervorgetreten. Nun also „Rache“. Wir sind gespannt auf den nächsten Wurf und empfehlen fürs erste elf Mal Spannung.
MATTHIAS DOHMEN
Jochen Rausch, Rache. Storys, Berlin: Berlin-Verlag 2015, ISBN 978-3-8270-1265-4, 285 S., Euro 19,99, www.jochenrausch.com, www.berlinverlag.de.
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