Buch des Monats Februar: Angelika Zöllners „Freitags geh ich zu ihr“

„Verborgenen Schätzen“ ist sie auf der Spur, die Wuppertaler Autorin, die der schwerkrank-dementen Ex-Oberstudienrätin A. regelmäßig Besuche abstattet.

Frau A., der die WZ zu ihrem hundertsten Geburtstag ein paar Zeilen widmet, ist auch als Künstlerin hervorgetreten und hat sich im deutsch-französischen Schüleraustausch engagiert. Doch nun ist sie hinfällig, auf Dauer bettlägerig, kennt so recht niemanden mehr, reagiert aber auf Kinderverse und -lieder, auf Zitate aus der Bibel oder Werken von Schriftstellern, die ihr vertraut waren. Oder schreibt man besser: sind?

Man sieht Frau A. in ihrem Sterben aus dem Blickwinkel Angelika Zöllners zu: ohne eine Spur von Voyeurismus, eher mit Empathie. Und begreift einiges von der schweren Arbeit hauptberuflicher Altenpfleger, die sich nicht selten bewusst sind, dass sie es mit Personen und nicht mit Sachen zu tun haben. Die Würde des Menschen ist antastbar.

Es ist ein berührendes Buch entstanden, das ungefähr ab Seite 100 noch einmal mächtig Fahrt aufnimmt, als sich die Besucherin einiger Schriftstücke, Notizen, Briefe sowie Ansichts- und Eintrittskarten der hindämmernden Frau A. annimmt und sie sichtet. Später wird die Berichterstatterin sie zurückgeben, und es ist zu hoffen, dass die Stücke aus dem Nachlass nicht das Schicksal vieler Hinterlassenschaften teilen, nämlich letzten Endes dem Reißwolf oder der Müllverbrennung übereignet zu werden.

Der Leser erfährt en passant eine Menge über Wuppertal, eine Schule im Westen der Stadt, über die Verbindungen Wuppertals mit dem französischen St. Etienne sowie – vielleicht erstmalig in der Literatur – über die „Lesefreuden“-Initiative des örtlichen Verbandes der Schriftsteller.

Zu Recht schreibt Regine Radermacher, selbst examinierte Pflegerin, Zöllner nehme den Leser „mit auf eine Reise zu jenen verborgenen Schätzen einer alten Lady“, zu Schätzen, die „nur ein geduldiger und interessierter Zuhörer aufzuspüren vermag“ (Vorwort, S. 7). Dahinter steht das Bedürfnis, „etwas lernen zu wollen vom erfüllten Leben und Sterben“ der Protaginistin: „Als Leser werden wir Zeugen von berührenden Reflexionen über Abschied und Tod und einem großen Erstaunen über das innere Erleben eines sterbenden Menschen.“ Vorangestellt finden wir als Motto einen Satz des schwedischen Regisseurs Ingmar Bergman: „Altwerden ist, wie auf einen Berg steigen. Je höher man kommt, desto mehr Kräfte sind verbraucht, aber um so weiter sieht man.“

So nebenher sieht man in Zöllners halbdokumentarischem Tagebuchroman in bedeutende Werke der deutschen Literatur (Peter Bamm, Lenz, Rilke, Werfel, Zuckmayer, Stefan Zweig) und macht Bekanntschaft mit Autorinnen und Autoren, die sich mit Nahtoderfahrungen beschäftigt haben, darunter die Wuppertaler Ehrenbürgerin Stella Baum (Der verborgene Tod).

Vielleicht hätte man die wenn auch zentrale „kuriose Hutgeschichte“ etwas kürzer fassen können – womöglich lebt sie aber von den immer wieder neuen Wendungen. Zöllner ist ein Werk gelungen, das man zum Kanon der Wuppertal-Literatur wird zählen müssen.

 

MATTHIAS DOHMEN

 

 

Angelika Zöllner, Freitags gehe ich zu ihr. Von den Besuchen bei einer alten Dame, Berlin: Beggerow 2017, ISBN 978-3-423-14374-5, 282 S., Euro 11,90, www.beggerow-verlag.de, www.angelika-zoellner.de.

 

 

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