Die Entwicklung des Historismus am Beispiel Wuppertals

Nur wenigen Städten Westdeutschlands ist es vergönnt auf ein derart reiches Erbe an Bauwerken des Historismus blicken zu können, wie Wuppertal es kann. Dieser Tatsache widmet sich unsere neue Freitags-Serie in "njuuz". -Folge 1.0-

Arrenbergsche HöfeWie bei allen Baustilen der einzelnen Epochen war es üblich, sie rückwirkend zu benennen. Meist waren diese Benennungen deshalb eher negativ ausgelegt. Denn jede Zeit glaubte, dass ihre Architektur den Höhepunkt allen Strebens darstellt. Das konkret vorhergegangene jedoch wurde meist abgelehnt oder gar völlig verdammt.

„Romanisch“ kam vom römischen Reich her und war ein Rückgriff auf dessen Baukunst, die „Gotik“ eine Neuschöpfung und nach den Goten benannt; sie galt in der Renaissancezeit, wie ihr Namensgeber, die Goten, als barbarisch. Die „Renaissance“ stellte wiederum einen Rückgriff auf die Antike dar, während das „Barock“ als Neuschöpfung anzusehen ist, es bedeutet „schiefrunde Perle“, was jedoch bei der Namensfindung eher abfällig gemeint war, man setzte es gleich mit Dekadenz und ausschweifendem Lebensstil. Unter Rokoko verstehen wir eine Weiterentwicklung des Barock, in Grunde noch zu selbigem gehörig. Besonders in England und Nordeuropa vermischte man die Renaissance oft mit klassizistischen Zügen zum sog. „Palladianismus“.

Der „Klassizismus“ selbst ist wiederum ein Rückgriff auf die Antike; aus ihm entwickelte sich der „Historismus“. Einige Kunsthistoriker verstehen den Klassizismus bereits als den ersten Teil des Historismus! Der Begriff „Historismus“ wurde 1938 durch den deutschen Architekten Hermann Beenken geprägt. Bereits in den 1930er-Jahren sah man diesen Baustil zunehmend kritisch, was sich auch in seiner Benennung niederschlug. Der deutsch-britische Kunsthistoriker Sir Nikolaus Pevsner äußerte sich über den Historismus wie folgt: „Historismus ist die Haltung, in der die Betrachtung und Benutzung der Geschichte wesentlicher ist als die Entdeckung und Entwicklung neuer Systeme, neuer Formen der eigenen Zeit!“

*Bautz*; da war das Negativ-Urteil über den Historismus gesprochen!

Die Architekten Hitlers entwickelten irrwitzige Neuplanungen für die deutschen Städte nach dem vermeintlichen „Endsieg“. Man plante besonders in Berlin, Nürnberg, Düsseldorf, München und Linz an der Donau ganze Stadtquartiere niederzureißen, um völlige Neubebauungen durchzuführen. Die Städte sollten nicht mehr eng und kleinteilig, sondern groß, weitläufig und möglichst bombastisch werden. Auch in Wuppertal gab es Planungen, ein völlig neues, geeintes Stadtzentrum im Bereich der Haspeler Brücke zu verwirklichen. Berlin sollte gar seiner historischen Substanz völlig beraubt und als „Germania“ neu errichtet werden. Die abendländisch geprägte Stadt wäre nach und nach einer NS-ideologischen Bauweise geopfert worden.

Hitlers erträumter Endsieg kam nicht, statt dessen seine totale Niederlage 1945. Hitler, Göring, Goebbels und Co verließen die Bühne der Geschichte. Albert Speer, Helmut Hentrich, Arno Breker, Herman Giesler und weitere Architekten der NS-Zeit aber blieben tätig und bauten die junge Bundesrepublik wieder auf. Sie waren zwar ideologisch entschärft, aber immer noch geprägt vom Ideal einer völlig neuen, großräumigen Stadt! Für sie galten Expressionismus, Art déco und alle anderen aus dem Jugendstil hervor gegangenen Richtungen der klassischen Moderne als „entartet“. So wandte man sich in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg nahezu ausschließlich dem Bauhaus-Stil und später dann dem Internationalen Stil zu. In Wuppertal war es Friedrich Hetzelt, der Erbauer von Görings Carinhall und der Gestapo-Zentrale in Berlin, der hier sein architektonisches Unwesen trieb. Wuppertal bescherte er u. a. in den 1960er-Jahren den neuen Döppersberg, wie wir ihn weitestgehend noch heute vorfinden, im Rahmen der „autogerechten Stadt“. Durch die Zerstörungen des 2. Weltkrieges, aufgrund des Wirtschaftswunders und den bewussten kompletten Bruch mit der Vergangenheit war es zur damaligen Zeit möglich, die Städte der Bundesrepublik Deutschland in bis dahin fast ungekanntem Ausmaß zu verfremden. Hinzu kam die Trennung von Wohn-, Arbeits- und Einkaufsarealen, die große Auto-Rennstrecken innerhalb der Städte nötig machten.

Nun sollte sie also gebaut werden, die autogerechte, moderne, demokratische und rationale Stadt! Da waren die Gründerzeitensembles nur im Weg. Also wurde tüchtig abgerissen und umgestaltet. In einem Bildband der 1970er-Jahre über Düsseldorf gab es Vergleichsfotografieren zur Schadowstraße (Haupteinkaufsmeile in Düsseldorf). Das Bild der alten gründerzeitlichen Kaufhäuser war mit „Steingewordene Schauergeschichten“ untertitelt, während das Foto der Nachkriegs-Schadowstraße als „Moderner Einkaufsboulevard mit Flair“ beschrieben wurde. Ich habe versucht diesen Flair auf dem Bild mit der Lupe auszumachen, aber leider: Fehlanzeige!

Städte wie München, Wiesbaden oder Wien, die weniger zerstört waren, galten mit ihren großflächigen historischen Vierteln zur damaligen Zeit als rückständig und hässlich. Auch Wuppertal, wo trotz des 2. Weltkrieges und des „Wirkens“ von Baudezernent Hetzelt, einiges an Historismus erhalten geblieben war, galt in Nordrhein-Westfalen stets als langweilig und hässlich und wurde gerne belächelt. „Da möchte man ja nicht wohnen!“

In Wien herrschte in den 1960er Jahren ein derartige Tristesse vor, und es war in manchen Bezirken so sehr heruntergekommen, dass deshalb sogar erheblich höhere Selbstmordraten zu verzeichnen waren. Das im Kriege kaum zerstörte Königreich Belgien hatte bei uns lange Zeit den Ruf, schmutzig und rückständig zu sein. In Deutschland hatte gründerzeitliche Bebauung oft den Ruf, nur von der „Unterschicht“ bewohnt zu werden, dort hielt man sich lieber ferne. Wo Neubauten nicht möglich waren, sollte die Eternitplatte den Stuck kaschieren, ruinierte aber in Wirklichkeit die Bausubstanz. Ähnlich dem heutigen übersteigerten Hang zur Dämmung! Ganze Quartiere sollten in Nordrhein-Westfalen noch abgerissen werden, u. a. die Bonner Südstadt oder auch die Elberfelder Nordstadt.

In den 1980er Jahren setzte ein zaghaftes Umdenken ein, und in den 1990er Jahren fand man es schon schicker, historisch zu wohnen. Städte wie Wien, München, Leipzig, Wiesbaden blühten auf. Aus Stadtbild-Sicht kam die deutsche Wiedervereinigung genau zum richtigen Zeitpunkt! Wie geglückt sind heute die Sanierungen in Leipzig, Dresden, Potsdam, Berlin oder Schwerin! Und wie scheußlich wären sie wohl, hätte es bereits 1970 die Wiedervereinigung gegeben… Wie wohl der Dresdner Neumarkt dann aussähe?! Und die Frauenkirche…!? Oder die Spandauer Vorstadt in Berlin? Auch in Wuppertal kam es zu einem Umdenken, inzwischen ist man eher stolz auf seine Nordstadt, auf das Briller Viertel, den Arrenberg oder Wichlinghausen, auch wenn noch sehr viel Handlungsbedarf besteht. Leider stellt das demütige Wuppertal sein Licht immer noch zu sehr unter den Scheffel! Eine positive und freche Eigenwerbung traut man sich hier noch nicht, obwohl es schon erste, sehr gute Entwürfe (!) dafür gegeben hat.

Immer mehr Menschen und Bürger sind die Tristesse ihrer Stadtbilder überdrüssig. Die Banalität der Möchtegern-Bauhaus-Moderne wird zunehmend als negativ wahrgenommen. Zur Verteidigung muss man natürlich sagen, dass es Unterschiede in diesem Stil gibt, und dass natürlich auch zahlreiche positive Beispiele im modernen Städtebau existieren, auf die man auch in der Zukunft nicht verzichten möchte. Sonst wären wir nicht anders als Professor Hetzelt! Aber die Seelenlosigkeit und Rationalität vieler deutscher und europäischer Großstädte lässt einen manchmal zweifeln, und es wächst überall der Wunsch nach Identität und Schönheit. Wo man hinschaut haben Bildbände à la „Elberfeld um die Jahrhundertwende“, „Solingen um 1900“, „Das alte Barmen“ etc. Hochkonjunktur. Der österreichische Künstler und Architekt Friedensreich Hundertwasser kritisierte den europäischen Städtebau in seinem: „Verschimmelungs-Manifest gegen den Rationalismus in der Architektur“

Kommen wir also auf den Eingang dieses Artikels zurück: eine Stilepoche dauerte in der Regel 125 Jahre. Die Moderne begann um 1910/25, sie geht also langsam ihrem Ende entgegen! Es wäre nicht unmöglich, und das behaupten auch einige Kunsthistoriker, dass die nächste größere Stilepoche wieder einen Rückgriff auf bereits Gewesenes – in neuer Weise – bringen könnte. Erste Anzeichen dieser Epoche künden sich bereits an. Historisierendes Bauen gibt es bereits – z. B. am Neumarkt zu Dresden, bei den flankierenden Bauten neben dem Brandenburger Tor in Berlin, oder den Siedlungen des „New Urbanism“ in Skandinavien, den Niederlanden oder im Potsdamer Kirchsteigfeld und auch die Entdeckung der Loft-Wohnungen „Leben und Arbeiten in alten Fabriken“, z. B. am Arrenberg in Wuppertal-Elberfeld (siehe Foto: „Arrenbergsche Höfe“). Beliebt ist ferner eine Symbiose aus alt und neu. Auch die zahlreichen Rekonstruktionen – Berliner Schloss, Potsdamer Stadtschloss, Rathausfassade Wesel, Altstadt Frankfurt, etc. lassen darauf schließen und hoffen. Vielleicht wäre die neue Stilrichtung aber auch eine Fortsetzung oder Weiter-Interpretierung des Art déco…?! Man darf gespannt sein!

Auch für Wuppertal böten sich Rekonstruktionen oder Neuplanungen an. Interessant dafür wäre z. B. der Kirchplatz in Elberfeld, wo einige minderwertige Häuser und Baulücken existieren, ebenso einige ältere Bauten, denen man leider den Stuck abgeschlagen hat. Hier könnte eine Symbiose aus alt und neu entstehen, auch ist Stuck rekonstruierbar! Eine interessante Vorstellung wäre auch die Rekonstruktion der alten „Kaufhof“-Fassade am Neumarkt. Absolut notwendig aber ist eine Renovierung des Concordia-Palais in Barmen. So schön Nordstadt oder Arrenberg sich entwickeln, so wenig positives tut sich in den Zentren. Immerhin wird mit dem Neuen Döppersberg ein erstes positives Signal einer Reurbanisierung der City gesetzt.

In der Serie „Historismus“ in Wuppertal möchten wir die Entwicklung dieses Baustils vom Klassizismus bis zum Jugendstil an einigen Bauwerken unserer Stadt dokumentieren.

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Kommentare

  1. Stefan sagt:

    Sehr schöner Artikel. Gibt es auch einen Autor?

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