“Die Streichung des Zuschusses bedeutet die Schließung der ‘börse’”
Petra Lückerath übernahm 2003 die Geschäftsführung und Programmleitung des Kultur- und Kommunikationszentrums ‚die börse‘. Sie lebt in ihrer Geburtsstadt Wuppertal und ist Mutter zweier Söhne.
Frau Lückerath, der Sozialdezernent hat bekannt gegeben, dass der städtische Zuschuss für ‚die börse‘ in Höhe von 190.000 Euro komplett gestrichen werden soll. Welche Auswirkungen hätte das für Ihr Haus?
Der Zuschuss setzt sich aus einem Betriebskosten- und einem Investitionskostenzuschuss zusammen. Die 11.000 € Investitionskosten fließen schon länger nicht mehr komplett, im letzten Jahr gar nicht. Die Streichung des Betriebskostenzuschusses bedeutet die Schließung der ‚börse‘. Das ist auch so gewollt, nach der politischen Entscheidung über den Vorschlag will Dezernent Stefan Kühn den Vertrag mit dem Verein Kommunikationszentrum Wuppertal e.V. kündigen, der die Rahmenbedingungen für die Tätigkeit im Gebäude Wolkenburg 100 regelt.
Sehen Sie Möglichkeiten, die Mittelkürzung über Sponsoring oder erhöhte Eintrittspreise zu kompensieren?
Nein, wie in der ersten Frage beschrieben, soll das auch gar nicht versucht werden.
Wieviele Arbeitsplätze wären von einer Schließung betroffen?
In der ‚börse‘ gibt es derzeit über 6 Angestellte, verteilt auf vier Stellen, 2 Auszubildende (Veranstaltungstechniker, Veranstaltungskauffrau) und eine Jahrespraktikantin im Qualifizierungsjahr, die im August ihre Ausbildung bei uns beginnen soll. In der Gastronomie sind 2 Angestellte und ein Auszubildender, darüber hinaus zahlreiche Aushilfen, Honorarkräfte und ehrenamtlich Tätige. Mit unseren Kulturprojekten fördern wir Wuppertaler Künstler und Kulturschaffende in beträchtlicher Höhe, für Einige sind die Honorare existentiell.
Warum braucht Wuppertal ‚die börse‘?
In den letzten Jahren gab es durchschnittlich 70.000 Nutzerinnen und Nutzer der ‚börse‘, hier die Zahlen aus dem Geschäftsbericht 2008, die von 2009 sind etwas geringer bei leicht veränderter Verteilung.
Anzahl | BesucherInnen | |
Konzerte | 44 | 10937 |
Theater und Kleinkunst | 72 | 4951 |
Tanz, Bewegung, Musik | 14 | 803 |
Weiterbildung, Gruppen, Proben | 744 | 9433 |
Hauseigene Musikevents, Parties | 82 | 19431 |
Vermietungen/Kooperationen | 62 | 22520 |
Insgesamt | 1018 | 68075 |
Diese Zahlen machen deutlich, wie viele Wuppertaler die vielfältigen Angebote der ‚börse‘ nutzen. Gruppen und Initiativen finden hier seit Jahren ein Zuhause. Der börsenchor, das Junge börsen-Ensemble, das Seniorentheater Raureif, die attac Gruppe Wuppertal, der Seniorenschwoof und die Togo-Initiative sind nur einige Beispiele. Wir geben den Menschen Raum, im wörtlichen und übertragenen Sinn. Für Jugendliche ist ‚die börse‘ oft der erste Ort, wo sie mit Kultur in Berührung kommen. Das geht vom einfachen Partybesuch bis zur Teilnahme an Tanz- und Theaterprojekten mit professioneller künstlerischer Leitung. ‚Die börse‘ hat ja eine lange Geschichte als kulturelle Ideenschmiede, im letzten Jahr wurde das 35-jährige Jubiläum gefeiert.
Über diese Zeit sind viele Wuppertaler der ‚börse‘ treu geblieben, manche sind heute in Seniorenprojekten oder Generationen übergreifenden Projekten aktiv oder besuchen zum Teil gemeinsam mit ihren Kindern unsere Veranstaltungen. Kulturveranstaltungen gibt es an vielen Orten in Wuppertal, aber eine solche Vielfalt mit so starker aktiver Beteiligung gibt es nur in der ‚börse‘.
Getragen von ehrenamtlichem Engagement durch den Verein Kommunikationszentrum Wuppertal e.V. sehen wir nach wie vor unsere Aufgabe darin, kulturellen Initiativen von Bürgern einen Raum bieten, Nachwuchs in allen kulturellen Sparten zu fördern, Treffpunkt für Communities zu sein, kulturelle Bildungsangebote zu fördern und kulturelle Angebote auf dem Weg zur Kommerzialisierung zu stützen. Diese Arbeit erfolgt alters-, nationalitäts- und schichtenübergreifend.
Sie haben angekündigt, sich mit einer Unterschriftensammlung wehren zu wollen. Planen Sie weitere Protestaktionen?
Wir haben in den ersten drei Tagen schon 1200 Unterschriften gesammelt und es werden stündlich mehr. Wir werden von Wuppertalern angerufen, die uns nach Listen fragen, damit sie uns beim Sammeln helfen können. Per e-mail gehen zahlreiche Solidaritätsgrüße und Unterschriften ein. Wir sind dabei, auf der Homepage www.dieboerse-wtal.de die Möglichkeit zur digitalen Unterschrift einzurichten.
Wir sind Mitglied im Bündnis „Wuppertal wehrt sich“ und werden weiter gemeinsame Aktionen durchführen. Es gibt zahlreiche Treffen zum Thema Haushaltssicherungskonzept in der Stadt, wir sind dabei. Ein großer Aktionstag wird der 27. März sein. Am Welttheatertag wollten wir ursprünglich nur unsere Bühnen für die zahlreiche geplanten Theateraktivitäten zur Verfügung stellen, jetzt wird im ganzen Haus kreativ gegen die Sparpläne demonstriert werden. Weitere Aktionen mit Künstlerinnen und Künstlern sind in der Planung, besonders groß ist das Angebot von Musikern und Bands, sich lautstark am Protest zu beteiligen. Aktuelle Informationen gibt es dann auf unserer Homepage, den Wuppertaler Medien oder auch bei njuuz.
Dass Wuppertal dramatisch sparen muss, ist bei den großen Parteien unumstritten. Nur über das Wie und Wo gibt es unterschiedliche Meinungen. Wo würden Sie den Rotstift ansetzen?
Zum jetzigen Zeitpunkt auch in verantwortlicher Position an keiner Stelle. Solange es keine Perspektive für die Stadt gibt, wie es nach den ersten Streichorgien weiter gehen soll und was am Ende noch von Wuppertal übrig bleibt, würde ich mich weigern.
Der Sozialdezernent hat sich entschieden, die Zuschüsse der Stadt an die verschiedenen sozialen Einrichtungen nicht pauschal zu kürzen, sondern klare Schwerpunktsetzungen vorzunehmen. Halten Sie das für richtig?
Es ist nicht meine Aufgabe, mir den Kopf des Dezernenten zu zerbrechen, ich leite ein Kultur- und Kommunikationszentrum, was schwer genug ist. Zu den Schwerpunktsetzungen kann ich nur sagen, dass die immer subjektiv sind. Allerdings kann der Dezernent mit der Vernichtung der ‚börse‘ gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: er spart den Zuschuss und schafft eine lästige Konkurrenz zum eigenen städtischen Haus der Jugend aus dem Weg, das ja gerade als Veranstaltungshaus optimiert wird.
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Lesen Sie hier die Reaktion von Sozialdezernent Stefan Kühn.
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Die Fragen stellte Georg Sander.
Fotos: Petra Lückerath, ‚die börse‘
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