Die Unvollendete

Ein dickes Ding: Jürgen Neffes Karl-Marx-Biographie, bei Bertelsmann erschienen, hält weniger, als sie verspricht.

Die Verlage überschlagen sich dieses Jahr mit Büchern von und über Marx. Es gibt die von uns an dieser Stelle rezensierte Neuausgabe des „Kapitals“ durch Thomas Kuczynski, auf die auch an dieser Stelle nachdrücklich hingewiesen sein soll, es existieren eine große Anzahl von Büchern über den großen Philosophen, Ökonomen und Theoretiker der damals jungen Arbeiterbewegung, und ein Kölner Verlag gibt sogar einen Kriminalroman heraus, der den berühmtesten Sohn Triers im Titel führt (wird demnächst besprochen).

Ein Riesenstart für Jürgen Neffe: ARD und ZDF präsentierten ihn real und auf einer überdimensional großen Leinwand während der Leipziger Buchmesse. Interviewer war Großrezensent Denis Scheck, der das Buch auch in den höchsten Tönen lobte. Doch leider hält es nicht so viel, wie er versprach.

Man erfährt eigentlich nichts, was man nichtschon vorher gelesen hat. Auffällig und störend beim Lesen sind die – der Begriff ist bewusst gewählt – altklugen und ständig daherkommenden Analogien. Ein Beispiel: „Wie ihre Wiedergänger im 20. Jahrhundert, die 1968er, verstehen sich die 1848er als Systemkritiker“ (S. 29). Auch die Tatsache, dass der Autor Friedrich Engels mit wenigen Sätzen abserviert („es besteht der Verdacht, dass ihm“, Marx, „der Gefährte“ an einem bestimmten Punkt „nicht bis zum Ende folgen konnte“, S. 589), spricht nicht für Neffe, dessen Literaturverzeichnis zwar ellenlang ist, aber im Text und den Fußnoten nur in wenigen Fällen als wirklich benutzt bezeichnet werden kann. Die Ehepaare Marx und Ruge als „Vormärzkommunarden an der Seine“ zu charakterisieren, ist wohl auch sehr weit hergeholt.

Neffe weist an mehreren Stellen seines Biographiewälzers darauf hin, dass Marx in vielen Fragen seiner Zeit weit voraus war und in Sachen Bankenallmacht und Umweltzerstörung offenkundig heute noch aktuell ist: „Sind seine Vorhersagen der Globalisierung und ihrer Folgen nicht in einer Weise eingetroffen, dass man sich beim Lesen der Texte mehr als hundertsiebzig Jahre später die Augen reiben möchte?“, fragt er sich und den Leser auf S. 19.

Das Verwenden von Originaltönen ist ja schön – mitunter allerdings wirken ellenlange Zitate aus Briefen etwa zwischen Karl Marx und dessen Vater oder zwischen Marx und Jenny ermüdend. Positiv: die knapp 60 Fotographien, die dem Band beigegeben sind.

Gerade einmal sechzehn Trauergäste versammelten sich an Marx’ Grab, an dem „Männerfreund“ Friedrich Engels die Worte sprach: „Sein Name wird durch die Jahrhunderte fortleben und so auch sein Werk“ (zit. auf S. 24). Und noch so manchen Biographen überleben.

MATTHIAS DOHMEN

 

Jürgen Neffe, Marx. Der Unvollendete, München: Bertelsmann 2017, ISBN 978-3-4570-10273-2, 656 S., Euro 28,00, www.bertelsmann.de.

 

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