Ein zerstörtes Leben

Unser Buch des Monats: Dem „Operettenkönig“ Paul Abraham hat Klaus Waller ein faszinierendes Denkmal gesetzt.

Wer weiß das noch: Seine „Regentschaft“ währte nur gut zwei Jahre: „Für diese Zeit war Paul Abraham der nach Aufführungszahlen und wohl auch nach Einnahmen erfolgreichste Operettenkomponist der Welt“ (Seite 7). Franz Lehár nannte ihn den „Kronprinzen“ seines Genres, seine Werke waren in Deutschland, Europa, ja sogar Australien omnipräsent. Doch deutet sich eine Renaissance an, erlebten doch sein „Ball im Savoy“ 2013 an der Komischen Oper Berlin und „Roxy und ihr Wunderteam“ 2014 im Dortmunder Opernhaus ihre Wieder- beziehungsweise ihre deutsche Erstaufführung. Wiederentdeckt wird der begnadete Musiker auch in Österreich.

Abrahams Weg führte von Budapest über Wien nach Berlin, wo er mit dem erwähnten „Ball im Savoy“ 1932/1933 einen unglaublichen Erfolg einfuhr. „So hatte man das Berliner Operettenpublikum höchstens bei Auftritten von Richard Tauber (Dein ist mein ganzes Herz) in Lehár-Operetten jubeln sehen“ (S. 96). Am 24. Dezember 1932 schrieb die „Vossische Zeitung“: „Es hat manche glänzende Aufführung im Großen Schauspielhaus gegeben: eine glänzendere jedenfalls nicht“ (zitiert auf S. 96). Einen guten Monat später musste der Komponist Deutschland verlassen, und seine Werke dürfen nicht mehr gespielt werden. Wenn dennoch Melodien von ihm im Rundfunk auftauchten, wurde ihr Urheber ignoriert, oder sie wurden unter falschem Namen veröffentlicht (S. 102).

Der Regisseur Géza von Cziffra beschrieb es in seinen Erinnerungen („Kauf dir einen bunten Luftballon“, München 1975) so:

Als Paul Abraham 1933 Berlin verlassen musste, weinte er: „In dieser Stadt wollte ich sterben.“ „Das kannst du immer noch, Paul“, sagte ich zu ihm. „Wenn der Spuk vorbei ist, kommst du einfach zurück.“ „Aber warum muss ich fort?“, seufzte er. „Nur weil ich beschnitten bin?“ (zit. auf S. 100).

Widerwillig trat der gebürtige Ungar die Flucht an. Die Stationen hießen Wien, Budapest, dann Paris, schließlich Havanna, dann New York. Havanna deshalb, weil eine direkte Einreise von Frankreich in die USA nur möglich gewesen wäre, wenn ein US-Amerikaner gebürgt hätte, im Zweifelsfall fünf Jahre für den Exilanten aufzukommen und wenn – bittere Ironie – die deutschen Behörden Abraham ein polizeiliches Führungszeugnis ausgestellt hätten.

Nun sitzt das Genie in New York, als einer von mehr als 100.000 deutscher und österreichischer Juden, denen es gelang, in die Neue Welt zu gelangen. Rund ein Fünftel von ihnen lebte in New York, konzentriert auf einen Stadtteil zwischen Hudson River und Harlem River, der bitter-ironisch DasVierte Reichgenannt wurde, wo es „Wiener Lokale“ gab wie „Lublo’s Palmgarten“, das „Casino-Café“, das „Alt-Wien“ oder das „Old Europe“ oder auch das Kabarett „Broadway Fiaker“, auch „Wiener Fiaker“ genannt. Einige wenige kamen gut über die Runden, andere, zu denen Abraham gehörte, lebten in zunehmend bitterer Armut.

Der einst gefeierte Superstar landet, als Folge einer nicht kurierten Syphilis, in einem Irrenhaus, wo er mit 14 anderen Kranken in einem Raum vegetiert. Ein paar Jahre später kehrt er nach Deutschland zurück … und wird entmündigt.

Die Geschichte dieses Ausnahmemusikers, der Operette in der Weimarer Republik, die letzten Jahre der ersten deutschen Demokratie und den verloren gegangenen Kampf der Antifaschisten präsentiert Waller in einem packenden Werk, das überdies zahlreiche Anhänge umfasst wie Lebensdaten, Auflistung der Operetten Abrahams, eine Filmographie, 15 Seiten „verwendete und weiterführende Materialien“ und – sehr nützlich – eine Personenregister. Für eine Neuauflage wäre zu bedenken, die Kästen zu den einzelnen Operetten im Inhaltsverzeichnis gesondert aufzuführen, drei oder vier englische Zitate zu übersetzen, in wenigen Fällen Quellenangaben zu präzisieren und den einen oder anderen Druckfehler abzustellen.

Aber noch viel mehr zu Abraham, auch viele Angaben, Faksimiles, Fotos usw. usf., die über das Buch weit hinausgehen, finden sich in der vom Autor Waller gepflegten und verantworteten Homepage www.paul-abraham-bio.de. Chapeau, Monsieur!

 

MATTHIAS DOHMEN

 

Klaus Waller, Paul Abraham. Der tragische König der Operette – Eine Biographie, Norderstedt: book on demand 22017, ISBN 978-3-7431-4328-9, 240 S., Euro 14,90, www.klaus-waller.de.Auch als E-Book erhältlich.

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