„Etwas Besseres als den Tod findest du überall“

Eine aus der Feder von Birgit Lahann stammende Biographie des „Störenfrieds“ Rolf Hochhuth, der den legendären „Stellvertreter“ schrieb, ist unser Buch der Woche.

Es war, 1963, ein Megaskandal, der den Autor über Nacht bekannt machte. Das „christliche Trauerspiel“ hatte sein Autor „Der Stellvertreter“ genannt, gemünzt auf den Stellvertreter Gottes auf Erden, also den Papst in Rom. Realer Hintergrund ist der Augenzeugenbericht des SS-Mannes Kurt Gerstein, der Zeuge von Massenhinrichtungen von Juden mit Zyklon B wird und daraufhin den Nuntius zu überzeugen versucht, dass die katholische Kirche gegen den Irrwitz der Vernichtungslager zu protestieren habe. Doch der Diplomat winkt ab. Durchaus, wie später Jesuitenpater Ricardo Fontana erfahren muss, im Sinne von Pius XII.

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Lahann_Hochhuth

Die Ereignisse der 1968er-Jahre werden verständlicher, wenn man weiß, wie Hochhuths Drama, einem Katalysator gleich, die Revolte beschleunigte. Unermesslich war der Skandal, und Hochhuth musste sich eine lange Reihe von Verbalinjurien führender bundesdeutscher Politiker anhören. Die Inszenierung durch Erwin Piscator löste, so hat es der Verfasser des entsprechenden Beitrages in wikipedia beschrieben, „die bis dahin größte und weitreichendste Theaterdebatte der Bundesrepublik Deutschland“ aus. Weltweit wurde das Stück aufgeführt bis hin zum Broadway, mit Zeitverzögerung auch im Ostblock, und in einer Veröffentlichung des Jahres 1975 wurden 7.500 Rezensionen oder andere Beiträge zu dem Stück gezählt, dessen Veröffentlichung der ursprünglich damit befasste Verlag Rütten & Loening dann doch nicht durchzog. Für Rowohlt wurde es dann ein Riesenerfolg.

Mit leiser Ironie sagt Hochhuth, der am 1. April seinen 85. Geburtstag feiern konnte, er sei im Unterschied zu Frank Wedekind, der wegen eines satirischen Gedichts über Kaiser Wilhelm II. zu sechs Wochen Haft verurteilt wurde, „nur verrissen“ worden. Von Wedekind stammt der hübsche Spruch:

„Ein Schriftsteller, wo er politisch auch schreibt,
in Deutschland ein Schuft unter Schurken bleibt“ (zitiert auf Seite 372).

Sehr detailliert arbeitet die Autorin in zahlreichen Gesprächen mit Hochhuth dessen einzelne Lebensstationen und Schaffensperioden ab. Persönlich ausgesprochen eitel, hat er zeitlebens den Mächtigen getrotzt. Als Kind liebte er bereits der Brüder Grimm „Stadtmusikanten“: „Da spricht der Esel den klassischen Satz: Komm mit, etwas Besseres als den Tod findest du überall auf der Welt. Und das ist auch irgendwie meine Maxime geworden: Rebellieren gegen politisches, soziales und künstlerisches Unrecht“ (S. 371).

Interessant auch, was ihm zu Marc Aurel, Jakob Burckhardt und vor allem zum alten Theodor Fontane einfällt, aber auch zur DDR, die ihn oft eigenwillig interpretierte. Alles in allem: Der 1940 geborenen Journalistin und Autorin Lahann, die 25 Jahre für den „stern“ arbeitete, ist mal wieder ein Buch gelungen, aus dessen leichtfüßiger Lektüre der Leser schlauer hervorgeht, als er es vorher war. Vor allem mit Blick auf die Zeit des Kalten Krieges, aber auch die dann folgenden Zeitläufte.

MATTHIAS DOHMEN

 

Birgit Lahann, Hochhuth. Der Störenfried, Bonn: Dietz 2016, ISBN 978-3-8012-0470-9, 382 S., Euro 29,90, www.dietz-verlag.de.

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