14.03.2014StadtbildDeutschlandWuppertal
Historismus 6 – Der Übergang zu Expressionismus und Art déco
Dem Architekten Joseph Maria Olbrich schwebte vor, eine ganze Stadt im Jugendstil zu errichten; letztlich spielte diese Stilrichtung in Deutschland oder Österreich, bis auf einige Einzelobjekte, jedoch nie eine maßgebende Rolle. Lediglich die Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt ist ein größeres Kind dieser kurzen Epoche gewesen.
Europa wurde nach dem Schrecken des 1. Weltkrieges umgeordnet, neue politische Systeme und Ideologien entstanden, die „Gute alte Zeit“ war von nun an Geschichte. Die großen politischen Veränderungen ließen auch den Wunsch nach einer ganz neuen Stilrichtung anwachsen. Man fand diese zunächst im Expressionismus, im Art déco oder Heimatstil, später im Modernen Neoklassizismus, letztlich aber überwiegend in der schlichteren Bauhaus-Moderne. Der Expressionismus ist dem Jugendstil aus den Künstlerkolonien Darmstadt-Mathildenhöhe und später Worpswede entwachsen. Von nun an musste sich der Jugendstil überwiegend auf die Innenarchitektur beschränken, während für den Expressionismus für ganz kurze Zeit der Durchbruch gekommen war. Da dieser Stil jedoch nicht mehr zum Historismus gehört, aus diesem aber resultiert, wollen wir uns nur kurz seinem Verlauf widmen.
Bekannteste Bauten des Expressionismus in Deutschland sind z. B. das Chilehaus oder der Sprinkenhof in Hamburg, das Ullsteinhaus und die Kirche am Hohenzollerndamm in Berlin, der Einsteinturm in Postdam, die Heilig-Kreuz-Kirche in Gelsenkirchen-Ückendorf oder die gesamte Böttcherstraße in Bremen. Im Gegensatz zur strengen, schlichten Bauhaus-Moderne war die Gestaltung im Expressionismus wesentlich verspielter, plastischer, runder und gezackter. Schade, dass dieser Baustil zum Ende der 1920er-Jahre ein ähnlich rasches Ende wie seinerzeit der Jugendstil fand. In den 1930er-Jahren folgten Heimatschutzstil, Moderner Neoklassizismus inklusive der monumentalistischen Bauten des sog. Dritten Reiches. Nach dem 2. Weltkrieg dominierten ausschließlich der Bauhaus- und der Internationale Stil den Wiederaufbau der Bundesrepublik. Wäre unser Land nicht um ein vielfaches interessanter, wenn der Expressionismus sich stattdessen durchgesetzt hätte?
In Österreich und besonders Frankreich entwickelte sich gleichzeitig der Art-déco-Stil, ebenfalls aus dem Jugendstil heraus. Im Grunde war er dem Expressionismus in Deutschland angeglichen, jedoch in Details unterschiedlich, meist noch etwas näher am Jugendstil. Während der Expressionismus (oft als Backstein-Expressionismus)fast überwiegend nur in Deutschland, den Niederlanden und ein wenig in Skandinavien anzutreffen ist, ist der Art-déco-Stil internationaler verbreitet gewesen. Neben Frankreich (besonders Reims und Paris) findet man diesen auch in Belgien, Österreich und besonders stark in den Vereinigten Staaten von Amerika. In Deutschland gibt es nur sehr wenige Beispiele des Art-déco.
Aufgrund der Dreihunderjahrfeier der Stadterhebung Elberfelds im Jahre 1910, entstand Dank einer Stiftung von Seiten August Karl von der Heydts, der Gerechtigkeitsbrunnen auf dem heutigen Platz der Republik (damals noch Exerzierplatz): „Der Geist, der unsere Stadt aus geringen Anfängen wachsen ließ, dass sie heute hoch dasteht unter den Städten Deutschlands, ist der Geist der Gerechtigkeit.“
Auf dem eigentlichen Brunnen befindet sich die „Figur der Gerechtigkeit“, die bereits ein sehr frühes expressionistisches Werk darstellt. Geschaffen hat sie Bernhard Hoetger, der spätere Erbauer der Bremer Böttcherstraße. Die Figur stellt ein hervorragendes Beispiel dafür dar, dass der Expressionismus dem Jugendstil entwachsen ist, und bereits vor dem 1. Weltkrieg existierte. Der Elberfelder Bankier August Karl von der Heydt liebte die gemalte und plastische Kunst des Expressionismus sehr, nicht zuletzt deswegen genießt das von ihm begründete Kunstmuseum – das Von-der-Heydt-Museum – noch heute einen sehr guten Ruf in der internationalen Kunstszene. Neben dem progressiven Großherzog Ernst-Ludwig von Hessen-Darmstadt, dem Gründer der Künstlerkolonie Mathildenhöhe, war Freiherr von der Heydt ein Mäzen von Bernhard Hoetger.
Während der Zeit des Nationalsozialismus galten die Werke Bernhard Hoetgers als „entartet“. Und so wurde die Figur der Gerechtigkeit eingeschmolzen, lediglich der Brunnenstumpf blieb erhalten. Dieser Zustand dauerte bis ins Jahr 2012 an, aber dank des großartigen Engagements Hans-Jochachim Camphausens, konnten genügend Spendengelder für eine Rekonstruktion gesammelt werden. Und so kehrte die „Gerechtigkeit“ nach Wuppertal zurück. Vielleicht ein gutes Omen für die Zukunft unserer schönen Heimatstadt, auf dass sie bald wieder „hoch dastehen“ möge!
Oben hatten wir erwähnt, dass der Art déco in Deutschland seltener anzutreffen ist, da hier zu Lande der Expressionismus bevorzugt wurde. Aber auch in Wuppertal gibt es ein gutes Beispiel dieses Stils zu entdecken. Dazu blicken wir nach Elberfeld-Sonnborn, dem wohl ältesten Wohnplatz unserer Stadt:
Am Beispiel der Elberfelder Friedhofskirche haben wir in unserer Reihe ja zuletzt das Wiesbadener Programm erläutert. Im Wuppertaler Stadtteil Sonnborn beherrscht ein Gotteshaus das Ortsbild, das zwar nicht mehr vollkommen dieser Strömung des Kirchenbaus zugeordnet werden kann, aber dennoch stark davon beeinflusst ist, die so genannte Hauptkirche Sonnborn. Mit dem Bibelvers „O LAND, LAND, HOERE DES HERREN WORT“ (Jeremia 22, 29) über dem Hauptportal ermahnt sie den Fahrgast der Schwebebahn, wenn dieser von der Landstrecke in großer Höhe in die Wasserstrecke einbiegt; beherrschend ist ihr Bau, und erhaben wirkt sie auf ihrem Bergsporn gelegen. Schon unsere weit entfernten Vorfahren in vorchristlicher Zeit nutzten diese Erhebung als Kultstätte, der Name Sunnebrunno, was Sonnenbrunnen bedeutet, ist uns überliefert.
Nach der Christianisierung des Wuppertals errichtete man eine Kirche, die dem Heiligen Remigius geweiht wurde. Remigius war im Übergang vom fünften auf das sechste Jahrhundert Bischof von Reims; seine besondere historische Bedeutung erhielt er durch die Taufe des Merowingerkönigs Chlodwig an Weihnachten 497, 498 oder 499. Damit legte er den Grundstein für die Missionierung des Frankenreiches. Nach seinem Tod weihte man ihm bis ins elfte Jahrhundert zahlreiche Kirche; unsere erste Sonnborner Kirche lässt sich nicht genau datieren, man geht von einer Zeitspanne vom sechsten bis zum neunten Jahrhundert aus. Verbrieft ist ihre Existenz jedoch für das Jahr 874, als eine „basilica quae est in Sunnebrunno“ in Urkunden des Stiftes Gerresheim erwähnt wurde, das die Verwaltung des Rittergutes Lüntenbeck inne hatte, der auch die Hofschaft Sonnborn unterstand. Anfang des 13. Jahrhunderts kam die Kirche in den Besitz des Klosters Gräfrath. 1539 wurde Hermann Wemmers als erster reformierter Pfarrer berufen, der genaue Zeitpunkt der Einführung der Reformation liegt aber im Dunkeln. Nach 1800, die Kirche war inzwischen zu klein und baufällig geworden, entschied sich für einen Neubau im Stil des Klassizismus. Den alten Turm aus der Zeit um 900 bezog man, wie so oft im Bergischen, in den Neubau mit ein. Diese zweite Sonnborner Kirche fiel am 18. März 1917 einem Brand zum Opfer.
Trotz der schweren Zeit im ersten Weltkrieg hatte man ausreichend finanzielle Mittel zu Verfügung und begann im Jahre 1918 mit dem Wiederaufbau, den die Gemeindemitglieder sogar mit wörtlich gemeinter Tatkraft unterstützten. Der aus Schlesien stammende Leiter des Provinzialkirchenbauamtes der evangelischen Kirche der Rheinprovinz Arno Eugen Fritsche, ein Schüler Johannes Otzens, entwarf die 1926 eingeweihte dritte Sonnborner Kirche. Außen verband er einheimische Materialien wie Bruchstein und Schiefer mit Elementen des Neobarock zu einer Art Bergischem Heimatstil. Im nicht vollständig ausgeführten Turm klingen expressionistische Züge an. Das Innere des nun Hauptkirche genannten Gotteshauses ließ er im Art-Deco-Stil ausführen. Hier schließt sich wieder der Kreis zum dem bei der Reformation abgelegten Patronates des Heiligen Remigius von Reims, wurde doch seine Wirkungsstätte, die Stadt Reims, nach den Zerstörungen des ersten Weltkrieges im gleichen Stil neu aufgebaut. Unsere Sonnborner Kirche besteht aus einem einschiffigen Raum, der nach oben von einer Kassettendecke abgeschlossen wird. Altar, Kanzel und Orgel sind gemäß der Traditionen des Bergischen Barocks und des Wiesbadener Programms übereinander angeordnet, jedoch im Widerspruch zu letzterem durch eine Art Triumphbogen vom Kirchenschiff abgetrennt. Umlaufende Emporen bieten zahlreichen Gottesdienstbesuchern weitere Plätze. Die Orgel aus dem Jahre 1928 wurde im Inneren mehrfach verändert und hat heute 32 Register.
Im zweiten Weltkrieg blieb das Gotteshaus unzerstört, ebenso verschonte es der Bau des benachbarten Sonnborner Autobahnkreuzes (1968 – 1974), dem seine römisch-katholische Schwesterkirche zum Opfer fiel. Im Turm hängen sogar noch zwei Glocken aus dem 15. Jahrhundert aus der ersten Kirche. Sie ertönen Sonntag für Sonntag zusammen mit ihren neueren Schwestern: „O LAND, LAND, HOERE DES HERREN WORT“ klingt es dann durch das Tal der Wupper an diesem Ort, einem der ältesten Kirchflecken des Bergischen Landes.
Am kommenden Freitag widmen wir uns in der letzten Folge dieser Freitags-Serie auf „njuuz“ dem endgültigen Ende des Historismus. Bis dahin freuen wir uns über Besucher unserer Facebook-Seite: Stadtbild Deutschland e. V. Wuppertal
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Ihre Serie ist für mich als alten Wuppertaler, der fernab in Bayern lebt, sehr interessant und ich danke Ihnen herzlich dafür. Vieles war für mich neu und überraschend.