Mitten drin: Wuppertals Sound der letzten 25 Jahre

Vor 25 Jahren zog DJ Charles Petersohn von Berlin nach Wuppertal. Seitdem gehört er zu denen, die den typischen Wuppertal Sound mit prägen. In lockerer Folge erzählt Charles hier seine Geschichte der Wuppertaler Musik- und Kunstszene.

Charles 1994, Foto: Katja Thiele, Sabine BokelbergCharles 1994, Foto: Katja Thiele, Sabine Bokelberg

Die Postnuklearen Aktionstage waren das erste Ereignis an dem Charles beteiligt war. Nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl hat eine Gruppe um Jürgen Grölle, Ulrich Halstenbach, Hans Peter Hiby und Dirk Thiele im September 1986 in der Hofaue eine Fabrik gemietet, um dort der Rolle von Kunst und Kultur in Zeiten der atomaren Gefahr nachzugehen.

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Charles, Du bist vor 25 Jahren aus Berlin nach Wuppertal gezogen. Dein erster Auftritt in Wuppertal fand 1986 statt und zwar bei den “postnuklearen Aktionstagen”. Aufregender Titel. Was war damals los in Wuppertal?

Ich kann für speziell diese Zeit natürlich vor allem über die PoNuTa sprechen, denn das war meinerseits erst der zweite W’tal Besuch. Das war insgesamt ein sehr spannender, krasser Mix aus Stilen, Genres und Disziplinen. Ich habe das in sehr postiver Erinnerung, ein großes buntes Experiment. Bunt im Sinne von äußerst kreativ, nicht im Sinne von besonders farbenfroh und wenn doch, dann schrill! Hat lange gedauert, bis dieser konzentriert genialische Geist in der Stadt wieder lebendig wurde.

Lars Rudolph und Wigald Boning

Da spielte die Band von Schauspieler Lars Rudolph und Komiker Wigald Boning. Toller Sound, schräg, avantgardistisch und total neu. Ein Mix aus Berlin und NY Underground, mit viel Humor und Lars Rudolphs wunderschöner Trompete.

Caspar Brötzmann

Da war Caspar Bötzmann solo. Ich habe Caspars Gitarre damals sehr verehrt. Er hat den Gitarrensound von Jimi Hendrix auf eine neue Ebene gehoben. Viel Bombast, wenig Blues, unglaublich virtuoser Noise “Rock”. Caspar war Rechtshänder und hat ‘ne Linkshändergitarre auf rechts gedreht, so wie Hendrix (und auch ich selbst) als Linkshänder die Saiten auf links umgedreht hat. Das war ein Statement, hat mich fasziniert.

Bolle Grölle und Peter Kowald

Ich erinnere mich an ein Konzert von Bolle Grölle mit Peter Kowald. Wuppertaler Free Music im wahrsten und besten Sinne des Wortes. Mein Drummer Jon und ich spielten einen Mix BlueSoulRockNoiseballaden. Auf der Afterhour Party haben wir alles gespielt, was uns in die Finger kam: Blondie, Ornette Coleman, Tom Tom Club, Ideal, Disco, Techno … Kowald und Grölle brachten alle halbe Stunde Schnaps auf die extrem wackelige Empore. Eine verhehrend schöne Feier!

Wie hörte sich die Wuppertaler Musikszene damals durch Deine Ohren an?

Es gab einige Bands, die noch stark vom Punk beeinflusst waren und von Postpunk Phänomenen wie den Pixies, Sisters of Mercy, etc.. Es gab auch tollen Industrialsound von Rüdiger Braune und seiner Band. Andreas Junge und der Drummer (Christian Pförtner), mit dem ich später zusammen spielte, machten sehr darkes Rockzeug. Kinghat war eine sehr sympathische Kunstrockband, akademisch, intellektuell und sehr beseelt. Katrin A Kunze und ihr Projekt Sirene Sisters war ein kompletter Gegenentwurf zu allen anderen. Harter, elektronischer Elektropop, schrill, tanzbar, sehr weiblich.

Und natürlich die Free Jazzer.

Die ersten Konzerte der Herren, an die ich mich erinnere, waren Hans Reichel mit Fred Frith, sowie Peter Brötzmann mit einer internationalen Topband, u.a. mit Toshinori Kondo, Bill Laswell und Sonny Sharock. Allesamt persönliche Helden. Mit Kondo habe ich 1994 selbst auf der Bühne stehen dürfen. Kowald machte sich vor allem dadurch unverzichtbar, weil er ein unermüdlicher Netzwerker war. Er hat jeden, der etwas kreatives zu bieten hatte, in seinen Zirkel eingeladen.

Wer hat Dich damals am meisten fasziniert und auch beeinflusst?

Ich glaube, was Wuppertal angeht, hat Peter Kowald mich am meisten beeinflusst. Nicht musikalisch, sondern wegen seiner Haltung, seiner herzlichen Art, andere Menschen und Künstler willkommen zu heißen und mitzunehmen. Und die Frauen haben mich beeinflusst. Tun es bis heute.

Der Sound, der in der Beatbox lief, hat ein inneres Erdbeben ausgelöst,

denn jede Nacht gab es neue Vibes zu entdecken. Hip Hop, Funk, Jazz, Salsa, Acid Jazz und alles mögliche und vor allem unmögliche mehr. Da war ständig neue Musik, Woche für Woche. Wir standen bei den Gast-DJs, die meistens aus London kamen, später auch Wien und den USA und guckten ihnen unermüdlich auf die Finger, ließen uns die Platten-Cover zeigen. Das war wie bei kleinen Jungs, die kurz vor Weihnachten am Schaufenster eines Spielzeugladens stehen bleiben und träumen. Und das jede Woche.

Turnschuhe, coole Shirts, sportive Jacken: die Mode wandelt sich

Die Vibes aus Punk, Postpunk, Neue Welle und die damit verbundene Mode wanderten immer weiter in die hintersten Ecken der Kleiderschränke. Turnschuhe, coole Tshirts, sportive Jacken waren mehr und mehr angesagt. Man konnte gut beobachten, wie sich mit der Zeit die Mode in der Stadt änderte. Preddy Tendergrass und ich waren die ersten (und einzigen), die auch im Sommer Pudelmützen trugen.

Ansonsten war ich inspiriert von Sun Ra und den Lounge Lizzards. Der Soundtrack von “Taxi Driver” ist bis heute exemplarisch für meine Musikliebe. Doch dann kamen Afrika Bambaata, The Brand New Heavies, Gang Starr, Adeva, Patra, Maceo Parker, Galliano und viele mehr. Das wollte ich auch – nur noch das und nichts anderes mehr. Aus diesen Einflüssen hat sich der Sound für mein eigenes Projekt ergeben.

Eigene Projekte: Don und Charles

Erst DON! da haben wir mehr und mehr Funk in die Rockdrums integriert, meine Gitarre wurde weniger schrill, dafür mehr Highlife und Jams Brown und ich fing auf meine eigene Weise an zu rappen. Schlussendlich führte das dann zu meinem Projekt CHARLES und unserem Hit “Mother Father Sister Brother”, das wir Freitag Abend in neuer Version spielen werden.

Die Kommunikationsdesigner waren wichtige Netzwerker

Spannend und sehr inspirierend diese Zeit. Die Metamorphose, die sich in der Stadt vollzog, war absolut spürbar und vor allem auch sichtbar. Die Kommunikations-Designer waren sehr wichtige Netzwerker in diesem Zusammenhang. Viele von ihnen waren immer und überall, wo es etwas zu entdecken gab und haben die neuen Vibes in die entlegensten Winkel der Stadt getragen und darüber hinaus nach Solingen, Remscheid, Ddorf und Köln. Die Beatbox hat großen Anteil an der Entwicklung vieler Wuppertaler Musiker und DJs. Schön war auch, dass diese Musik immer öfter in den Cafés und Bars zu hören war und überall, wo Platz genug am Tresen war, wurde ein Soundsystem reingestellt, damit DJs dort auflegen konnten. Der Geist dieser Zeit lebt weiter. In den Clubs, den Kulturhäusern, den Konzertstätten. Er trägt neue Kleider, das Gesicht ist ein total anderes, aber der Geist lebt. Den Göttern sei Dank!

Charles lädt ein, die 25 Jahre mit ihm zu feiern – Twenty Five findet statt: Am Freitag 6.12. 2013 // KLUB, Gathe 50, 42107 Wuppertal // Einlass ist um 21.00 Uhr, das Konzert startet um 22.00 Uhr. Die Party danach findet in zwei Räumen statt. https://www.facebook.com/events/239943816161387/?fref=ts

Was uns noch fehlt: Um unsere Geschichte anzureichern, brauchen wir Fotos aus dieser Zeit. Es wäre schön, wenn ihr uns von Konzerten, Ausstellungseröffnungen und anderen aufregenden Events in Wuppertal Bilder aus den vergangenen 25 Jahren schicken würdet. Am besten mit ein paar Zeilen zum Ort, dem Geschehen und den abgebildeten Leuten. Wir würden Eure Geschichten in unsere einbauen und damit versuchen, möglichst viele Facetten dieser spannenden Zeit abzubilden. Schickt Eure Bilder bitte in elektronischer Form an: schrader@njuuz.de. Unser großer Dank ist Euch gewiss!

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