Nachtmahre und das Alptraumgeschäft

Endlich wieder Nachrichten aus Zamonien. Bücher für den Gabentisch: 1. Moers’ neues Opus „Prinzessin Insomnia“.

Eine überbordende Phantasie war dem Autor schon immer gegeben. Lange haben Walter Moers’ Fans auf den neuen Zamonien-Roman warten müssen. Es ist im Übrigen der erste, den der Meister nicht selbst illustriert hat. Die wunderschönen Aquarelle stammen von Lydia Rode, mit der Moers mehr zufällig ins Geschäft kam. Verspielt sind die Zeichnungen, dem Romantext eine neue Dimension gebend, aber auch zum Betrachten des Bildes als solchem einladend. Zeichnerin und Texter führen einen vielfältigen „Kampf gegen die Schwerkraft und den inneren Schweinehund, die beiden mächtigsten Kräfte des Universums, den man auf jeden Fall verliert“ (S. 231). Oder meistens verliert.

Es handelt sich mal wieder um Gesellschaftskritik der feinen Art. Prinzessin Insomnias Feinde sind Nachtmahre, die Alpträume „zustellen“ beziehungsweise „verwalten“. Irgendwie tun dem Leser die geschlechtslosen Geschöpfe leid: „Wie pflanzen sie sich denn fort? Taten sie das überhaupt? Oder wuchsen sie wie Pflanzen aus dem Hirnboden? Schlüpften sie aus Eiern wie die Ideenschmetterlinge?“ (S. 260). Es gibt sie sogar, wie man 50 Seiten weiter erfährt, als Freelancer.

Irrschatten und Hirnschnecken, Zwielichtzwerge und „irrationale Geome“, Nattifftoffen und Rübenzähler: Im Roman wird ein irre-komischer Kosmos ausgebreitet, der voller Tücken steckt und in dem auch die abendländische Philosophie zu ihrem Recht kommt. Etwa René Descartes. Das „Traumiversum“ existiert, „weil du es träumst“, sagt der gräusliche und irgendwie dann doch liebenswerte Nachtmahr zur zarten Prinzessin.

Bei Moers’ Einfällen kann man erschrecken und lachen, wird überrascht und trifft auf Vertrautes. Und auf Weisheiten, für die andere Schriftsteller ganze Kapitel benötigen, um sie auszubreiten: „Wer sich in Gefahr begibt, hieß es, der kommt darin um. Aber wer in Sicherheit bleibt, langweilt sich zu Tode. Sollte man mit dem Leben aufhören, nur weil man daran sterben konnte?“ (S. 307).

Beeindruckend: die Durchstrukturiertheit des Plots. Auf höchst verschlungenen Wegen kommt die Geschichte zu einem passenden Ende. Beenden wir diese Besprechung mit einem Hieb auf deutsche Beamte, den wir auf S. 155 gefunden haben. Es geht um die „sechs thalamitischen Floskeln“, mit denen sie „ihre gesamte Kommunikation“ bestreiten: „Sie lauten: Erstens: Ja. Zweitens: Nein. Drittens: Genehmigt. Viertens: Abgelehnt. Fünftens: Darüber muss ich noch nachdenken. Und sechstens: Mittagspause.“

Das Wort sechstens ist groß geschrieben, wie wir auf weiteren elf Seiten kleine Fehler gefunden haben, die ein aufmerksamer Korrektor hätte geradebiegen müssen. Des Preises und mehr noch Moers’ und Rodes wegen.

 

MATTHIAS DOHMEN

 

Walter Moers, Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr. Illustrationen: Lydia Rode, München: Knaus 2017, ISBN 978-3-8135-0785-0, 338 S., Euro 24,99, www.randomhouse.de/Verlag/Knaus/11000.rhd.

Demnächst in dichter Folge:

Bücher für den Gabentisch 2: Brigitte Riebe, Marlenes Geheimnis
Bücher für den Gabentisch 3: Reinhard Giebel, Rein akustisch
Bücher für den Gabentisch 4: Frauen im Tal

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