Schuld und Sühne
Bevor die Bücher laufen lernten, wurden Geschichten mündlich überliefert – und von Homer bis zu den Brüdern Grimm im nachhinein aufgeschrieben. Einen Beleg dafür, dass es sich bei einem Roman um gute Literatur, also um Belletristik, handelt, kann man daran sehen, dass die Story „wie erzählt“ klingt. Man kann es auch umdrehen: Wer das Glück und Vergnügen hat, Hermann Schulz persönlich zu kennen, und das von Maria Luisa Witte illustrierte Epos liest, hört ihn quasi erzählen.
Im gegebenen Fall über die Nachkriegszeit. März 1947. Für Freddy und seine Freunde hat die Schule wieder begonnen. An den Nachmittagen stromern sie durch die Wiesen und rüber zum Moor. Auch der Flüchtlingsjunge Günter schließt sich ihnen an. Er klebt geradezu an ihnen. „Der tickt doch nicht richtig“, sagen die Jungs über ihn. Denn Günter ist anders. Freddy und die anderen Jungs machen sich über ihn lustig, sie quälen und demütigen ihn, wo sie nur können. Doch dann bekommen sie Angst, dass Günter sie bei den Erwachsenen verraten könnte – und fassen einen ungeheuerlichen Plan, der in letzter Minute an der Doch-lieber-nicht-Haltung des jugendlichen Helden, dem Mut einer Heranwachsenden und der Intervention eines Erwachsenen scheitert.
Schulz verarbeitet Zeitgeschichte. Vor dem Showdown wägen die Protagonisten ihre Chancen bei den Älteren ab: „‚Es kommt nicht raus, wenn wir dichthalten. Und außerdem machen die gar nichts!‘, ereiferte sich Leonhard. ‚Was meinst du, wie viele die im Krieg umgebracht haben. Vor allem solche. Und Juden und Russen und so was.‘ ‚Solche? Wen meinst du damit?‘, fragte ich. ‚Solche, die einen Knall haben, die Blöden. Frag mal die Erwachsenen“ (S. 71). Doch auch ihnen gegenüber, die aus dem Krieg nach Hause kommen und bei der Wehrmacht oder gar der SS gedient haben, geht Schulz differenziert und differenzierend vor.
Bevor die Handlung beginnt, erklärt der Autor kurz, warum er auf Begriffe wie Neger oder Zigeuner nicht verzichtet, auf „wache Leserinnen und Leser“ bauend. Im Anhang werden Jugendlichen einige Begriffe erklärt wie Dachau und Volkssturm oder Trakehner und Wallach.
Auch wenn es einleitend heißt, Ähnlichkeiten mit lebenden und verstorbenen Personen, mit Orten oder tatsächlichen Begebenheiten seien „rein zufällig“, wird, wer dereinst eine Biographie des Wuppertaler Erzählers schreibt, auch auf diesen Roman mit Gewinn zurückgreifen. Das wirklich fesselnde Buch wurde von der Deutschen Akademie für Jugendliteratur lobend erwähnt und erhielt bei seinem Erscheinen von einem Rezensenten den „Musenkuss“ zugesprochen (www.musenblätter.de).
Nachdem er über 30 Jahre den Peter-Hammer-Verlag geleitet hatte – eine Tätigkeit, die ihn in Dutzende von Ländern führte -, begann er Ende der 1990er-Jahre mit einem regen literarischen Schaffen. Zu seinen erfolgreichsten Büchern gehören „Auf dem Strom“, „Sonnennebel“ und jüngst „Die Nacht von Dar es Salaam“ sowie der gemeinsam mit dem Historiker Jürgen Reulecke herausgegebene Titel „Söhne ohne Väter“. Am 17. April steht er im Café Ada (Elberfeld, Wiesenstr. 6) Rede und Antwort (19:30 Uhr).
MATTHIAS DOHMEN
Hermann Schulz, Warum wir Günter umbringen wollten. Mit Bildern von Maria Luisa Witte, Hamburg: Aladin 2013, ISBN 978-3-8489-2035-8, 160 S., Euro 8,95, www.aladin-verlag.de, www.hermann-schulz.de, www.cafeada.de.
Hinweis: „Bücher der Woche“ erscheint bis zum Herbst nur von Fall zu Fall. Dagegen bleibt das „Buch des Monats“ durchgängig erhalten.
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