10.06.2016

Ungläubiges Staunen

Der letzte Abend der Literatur Biennale 2016 war ein Höhepunkt und Erfolg zugleich. Die historischen Parallelen, die Navid Kermani in seinem Buch „Ungläubiges Staunen – Über das Christentum“ aus christlicher Kunst ableitet und die Christentum und Islam verbinden, sind erstaunlich.

Der letzte Abend der Wuppertaler Literatur Biennale 2016 war ein Höhepunkt und Erfolg zugleich. Er knüpfte nahtlos an die bisherigen Veranstaltungen an. Ein volles Gotteshaus, in dem ein gläubiger Muslim über das Christentum las und reflektierte. Manchem Rechtsgeneigten dieser Zeit hätten die Augen gebrannt vor Staunen. Hätte so jemand in der neoromanischen Unterbarmer Hauptkirche dann auch noch gut zugehört, so wäre in ihm möglicherweise zusätzlich eine Identitätskrise entbrannt.

Die historischen Parallelen nämlich, die Navid Kermani in seinem Buch „Ungläubiges Staunen – Über das Christentum“ in Detailarbeit aus christlicher Kunst ableitet und die Christentum und Islam verbinden, sind schon erstaunlich und entlarven jeden, der die Islamisierung des Abendlandes herbeireden möchte, als unwissenden Schwafler.

Doch noch vielmehr erstaunte Kermani das Publikum durch seine nüchterne, unverklärte Schule des Sehens verbunden mit einer unendlichen Neugier. Mit dem Blick eines Nicht-Christen gelingt es ihm, so manchen Christen mit seiner Religion, mit seiner Kirche – wenn vielleicht auch nur im architektonischen Sinne – zu versöhnen. Dieses Buch konnte nur von jemandem geschrieben werden, der in einem christlichen Kulturkreis aufgewachsen ist, aber eine andere kulturelle und religiöse Prägung besitzt.

Und so bricht sich am letzten Tag der Biennale die Erkenntnis Bahn, dass die eigene Heimat, wozu auch Glauben und religiöses Leben gehören, außerordentlich gut von Fremden erfasst und erklärt werden kann. Dennoch bedingt Fremdheit kein Heimatgefühl und Heimatgefühl keine Fremdheit. Heimat definierte sich an diesem Abend in der Reflektion und dem daraus resultierenden Miteinander von im christlichen Glauben beheimateten und andersgläubigen Menschen. Navid Kermani zeigte, führte förmlich vor, dass Identifikation auch ohne feindliche Abgrenzung (zu anderen Glaubensrichtungen) möglich ist.

Wenn etwas durch die Literatur Biennale deutlich wurde, dann das, dass Heimat immer eine Auseinandersetzung mit sich fordert, um das Fremde zu überwinden. Heimat als Gefühl wäre dementsprechend nicht statisch, sondern erweiterbar, sich durch neue Erfahrungen entwickelnd. Mit dieser Einsicht wird Heimat zur inneren Einstellung, zum Credo für Weiterentwicklung und –bildung.

Wer aufhört, sich mit seiner Heimat (seinem Umfeld) zu beschäftigen, der wird irgendwann vielleicht fremd im eigenen Land. Zu diesem Land gehört das Christentum und zu dessen Geschichte gehören Judentum wie Islam und damit auch zur Gegenwart und Zukunft dieses Landes.

Navid Kermani – einheimischer als mancher Einheimische – danke für diesen Erkenntnisgewinn.

 

Jan Budde

Student der Buchwissenschaft und Germanistik an der Johannes-Gutenberg Universität Mainz

Navid Kermani liest in der vollen Unterbarmer Hauptkirche.Navid Kermani liest in der vollen Unterbarmer Hauptkirche. ©Jan Budde

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