29.04.2013Dr. Alexandra Rosenbohm
Vorsicht, Explosiv! Ein furioser Shakespeare im Knast
„Sitzen hier auch Lebenslängliche?“ fragt doch tatsächlich ein Mann einen der Beamten der JVA Ronsdorf. Da ist er, der Fluch der bösen Tat, die Zuschreibung, noch bevor das Stück begonnen hat. Er spricht aus, was wohl einige der etwa 120 Besucher der Aufführung von „Macbeth – schlaflos in Ronsdorf“ nur denken. Dabei handelt es sich bei den jungen Gefangenen selten um Intensivtäter wie Mörder oder Sexualstraftäter – durchschnittlich leben sie 18 Monate im Knast.
Auf Initiative des Gefängnisseelsorgers Jönk Schnitzius und als Koproduktion der Evangelischen Gefängnisseelsorge, der Wuppertaler Bühnen und der JVA Wuppertal-Ronsdorf spielen acht junge Strafgefangene zwischen 17 und 21 Jahren das blutrünstige Shakespeare-Drama.
Theater funktioniert nur, wenn zur Darstellung einer anderen Wirklichkeit die Wirklichkeit ausgesperrt wird
Eine riesige elektronische Sperre öffnet die Schleuse zum beklemmenden Innenbereich der Strafvollzugsanstalt, von dort geht es weiter unter Kameras, begleitet von vielen wachenden Augen der Justizvollzugsbeamten über das von meterhohen Metallzäunen gesäumte Gefängnis-Areal in den Raum der Aufführung. Die Bühne ist programmatisch in blutrotes Licht getaucht und von leeren Blecheimern mit dem Label „Explosiv“ gesäumt: Macbeth ist die wohl brutalste von Shakespeares Tragödien und handelt von den Spielarten des Bösen, von Mord, von Schuld und Schlaflosigkeit und es erzählt, wie ein Mord eine Beziehung, eine Familie und einen ganzen Staat zerstören kann.
Alter Stoff, sperrige Sprache
Theater funktioniert nur, wenn zur Darstellung einer anderen Wirklichkeit die Wirklichkeit ausgesperrt wird. Dies gilt nicht nur für die Zuschauer, sondern auch für die eingesperrten Darsteller: Sechs Wochen harte Probenarbeit nach einem 13-Stundentag, auf Sport und Besuche verzichtet haben sie. Dazu wurden sie konfrontiert mit einem vierhundert Jahre alter Stoff in sperriger Sprache. Aber durch die Erarbeitung und Erfahrung dieser neuen Ausdrucksform haben sie entdeckt, wie Kreativität die Wahrnehmung und das Bewusstsein verändern kann.
Szenenapplaus gibt es bereits für den furiosen ersten Auftritt: Die Darsteller intonieren das berühmte Zitat „Falsch ist richtig, richtig ist falsch“, erst flüsternd, dann immer lauter werdend und schließlich brüllend. Sie stehen auf und zerschlagen wassergefüllte Ballons auf ihrem Kopf, schmeißen sich auf den Boden und wälzen sich in den Wasserlachen.
„Ich habe die Tat getan!“
„Dabei haben wir vorher nicht über das Stück reflektiert, sondern die Darsteller entdeckten selbst während der Proben eigene biographische Aspekte“ berichtet der Regisseur Peter Wallgram. Jeder kann Täter- und Opfer sein, dokumentiert der ständige Rollenwechsel der Schauspieler, anzeigt durch blaue Schärpen mit aufgedruckten Namen der Shakespeareschen Protagonisten.
„Es geht um Kunst, nicht Pädagogik“, sagt Peter Wallgram. So bleibt er Shakespeare treu und ermöglicht den Darstellern und ihrer Situation eine geradezu erhabene Würde, die nicht künstlich, sondern authentisch wirkt. Dabei überspielen die Darsteller zeitweilige Verlegenheit und Lampenfieber mit einem Grinsen. Dabei wirken sie ungeheuer lässig und unprätentiös. Gibt es Fehler, weisen Sie sich gegenseitig darauf hin. Niest jemand im Zuschauerraum, wird dies mit „Gesundheit“ quittiert. Da gibt es Momente großer Dramatik, freiwilliger und unfreiwilliger Komik, leidenschaftlicher darstellerischer Kunst, die sich mit beeindruckenden Action-Szenen abwechseln – abwechseln – tolle Regiearbeit. Stolz ohne Überheblichkeit strahlen sie aus, und das ist beim Publikum angekommen. Aber auch tiefe Berührung, weil man den positiven Bewusstseinskick, den die jungen Männer durch diese Theater-Arbeit entwickeln konnten, ganz besonders spüren kann.
Normalerweise bin ich allergisch gegen Phrasen wie „stehende Ovationen“. Aber diesmal hat es gestimmt. Ehrlich. Richtig ist falsch und falsch ist richtig.
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