Wege in den Ersten Weltkrieg sind Wege in den Zweiten und Wege in den Dritten
Die Untersuchungen sollen „sowohl die Inhalte einer klassischen Monographie zu einem wichtigen Thema der Geschichtswissenschaft als auch einen Einblick in die Werkstatt des Historikers“ bieten (Seite V). Seine Vorgehensweise erläutert im Pilotprojekt Armin Heinen, der an der Aachener RWTH lehrt, übersichtlich auf den Seiten 24 bis 28, an denen entlang sich ein Wissenschaftler seinen je eigenen – eben auf seinen speziellen Stoff fokussierten – Arbeitsplan erarbeiten kann.
So weit, so gut.
Heinens Sympathien gehören zweifellos denjenigen Historikern, von denen er auf S. 6 schreibt, dass sie der Auffassung seien, „dass der Weltkrieg keineswegs von langer Hand vorbereitet war“. Man könnte auch sagen: Der Verfasser vertritt selbst diese Position und stellt sie als objektiv usw. dar. Dabei sollte das Wort „mehrheitlich“ den Leser zumindest stutzig machen. Schließlich werden in der Wissenschaft Thesen nicht per Handaufheben entschieden.
Wenn in einer so entscheidenden und von Beginn an äußerst umstrittenen Frage wie der Entstehung des Ersten Weltkrieges eine Mehrheit eine bestimmte Position vertritt: Wäre da nicht erst einmal hypothetisch anzunehmen, dass die Minderheit im Recht ist?
Es gibt, worauf auch Heinen in seiner Einleitung eingeht, Tausende, wenn nicht Zehntausende von Arbeiten zu diesem Thema, und „alle“ kann beim besten Willen niemand kennen. Irritierend ist jedoch, dass der Autor das Schicksal der Beiträge Karl Kautskys und Eduard Bernsteins zum Thema, die unmittelbar nach der Katastrophe erschienen sind, unerwähnt lässt und die beiden sozialdemokratischen Politiker und Historiker auch im Personenarchiv nicht auftauchen. Personae ingratae?
Dabei sind die in Rede stehenden Texte längst auch ins Internet gesetzt und von jedermann frei einsehbar (siehe www.marxistsfr.org/deutsch/archiv/kautsky/1919/krieg/index.html und www.marxists.org/deutsch/referenz/bernstein/1920/wahrheit/1-legende.htm).
Jede Generation hat wohl die Frage, wer den Ersten Weltkrieg hauptsächlich (also nicht allein) zu verantworten hat, neu zu beantworten. Fritz Fischers „Griff nach der Weltmacht“ erschein 1961, Christopher Clarks im Übrigen glänzend geschriebenes 900-Seiten-Opus 2013. Die Debatte muss geführt werden, weil die Ursachen des Ersten und die Ursachen des Zweiten und die Ursachen eines hoffentlich nie eintretenden Dritten Weltkrieges ja ähnlich sind. Wie sollte es auch anders sein?
Schließlich darf nicht erst seit dem Amtsantritt des neuen US-amerikanischen Präsidenten in diesem Zusammenhang auch die Frage gestellt werden, ob Herfried Münklers, von Heinen zustimmend zitiertes „postheroisches Zeitalter“ tatsächlich angebrochen oder nur eine Chimäre ist. MATTHIAS DOHMEN
Armin Heinen, Wege in den Ersten Weltkrieg, Berlin/Boston: de Gruyter/Oldenbourg 2017 (= Zugänge zur Geschichte, 1), ISBN 978-3-11-049631-4, 300 S., Euro 24,95, www.degruyter.com.
Weiter mit:
Kommentare
Neuen Kommentar verfassen