27.03.2010

Wenn diese Fete vorbei ist, werden wir einander brauchen: Statisten aller Länder, vereinigt euch!

Selbst aus Argentinien kommen Grußbotschaften zum Welttheatertag nach Wuppertal

Wenn diese Fete vorbei ist, werden wir einander brauchen: Statisten aller Länder, vereinigt euch!

Es träumen die Flöhe, dass die sich eines Tages einen Hund kaufen können, und es träumen die Nichtse, dass sie eines Tages die Armut abschütteln, dass sie eines Tages im Glücksregen stehen, doch das Glück regnet weder gestern noch heute noch morgen, so sehr es sich die Nichtse auch wünschen, nie regnet es, obwohl sie täglich vor den Scherben stehen und mit dem rechten Fuß aufstehen und das neue Jahr mit einem neuen Besen beginnen. [Eduardo Galeano]

Heute jagt der Welttheatertag durch Wuppertal. Theater aus ganz Deutschland protestieren mit ihren Beiträgen an sechs Orten in der Stadt gegen die drohende Schließung des Schauspielhauses. Darunter finden sich durchaus relevante Stellungnahmen, etwa der Chorauftritt aus Volker Löschs famoser Hamburger Produktion „Marat, was ist aus unserer Revolution geworden?“.

Großartig, dass die Intendantengruppe des Deutschen Bühnenvereins über 50 Theater für diesen Tag motivieren konnte. Noch schöner wäre, wenn die Theater sich auch dann in einer solchen Weise engagieren würden, wenn nicht gerade ein Schauspielhaus auf der Kippe steht. Wenn die etablierte Kulturszene geballt auf die Kernprobleme reagieren und nicht erst dann aktiv würde, wenn am eigenen Hemd gezerrt wird.

Am Nachmittag ist eine Menschenkette vom Opernhaus bis zum Schauspielhaus geplant. Die wird auch sicher zustande kommen, „wir“ alle werden mitmachen. Womöglich wird die Kette sogar länger – und das wäre auch gut so. Denn dann würde deutlich, dass es eben NICHT allein um das Schauspielhaus geht. Vom Opernhaus bis zum Schauspielhaus – das ist zu kurz gedacht.

Aber immerhin – die Berichterstattung über die Schauspielhausschließung erschließt der Stadt ein riesiges Publikum. Selbst in Argentinien, wo man ja einige Erfahrung mit Finanzkrisen hat, wird Wuppertal plötzlich wahrgenommen. Der im Tal geborene und im argentinischen Córdoba lebende Regisseur, Autor und Konzeptkünstler Roland Brus schreibt zum Welttheatertag und zur Menschenkette:

„Wir sind froh, dass das Volk die Bühne, also die Straßen übernommen hat. Die Strecke der Mobilisierung ist natürlich vergleichsweise kurz. Vom Theater zur Oper, das ist auch etwas autoreferenziell. Denn es geht ja hier nicht um ein Abo. Es braucht Welttheatertage für morgen und übermorgen. Wenn die Welt sich weiterdreht und geht, und das Theater wieder Theater macht, ist das natürlich kurz gedacht, wo es um das Schicksal einer Stadt geht. Die Agonie von Städten. Der Bankrott von Staaten . Der Zusammenbruch von ganzen Systemen. Wuppertal ist da halt ganz vorne dabei. Das macht schon auch stolz. Wuppertal war schon immer ein Ort der Avantgarde. Nun gut, wir sind in Kontakt mit unseren Mitbürgern in Island. Mit unseren griechischen Kollegen, die auch pleite sind. Mit unseren argentinischen Kollegen, die zuletzt 2001 abstürzten – und sodann eine Regierung stürzten.

Man kann nicht nur das Theater retten, ohne sich für unsere alltägliche Wirklichkeit, unsere Lebensverhältnisse zu engagieren. Auch und gerade angesichts des Umstandes, dass wir Verniemandete sind. Statisten aller Länder, vereinigt euch!“

Die Karawane der Theaterschaffenden zieht morgen weiter. Die Veranstaltungsorte und die B7 leeren sich wieder. Zurück bleibt eine gefährdete Stadt mit ihren Menschen und deren Sorgen und Ängsten, die aber kaum Ausdruck finden. Lethargie scheint sich breit zu machen, zumindest im überwiegenden Teil der Bevölkerung, der nicht der kulturellen oder politischen Szene angehört.

Der Welttheatertag hätte zum Weltbürgertag werden müssen, zum Weltdemokratietag, zum Weltbehauptungstag.

Bleibt zu hoffen, dass das Theater nicht bei sich allein bleibt, sondern dass der 27. März 2010 zum Beginn einer neuen, sich einmischenden und aktivierenden Kultur (nicht nur) in dieser Stadt wird. Schön wär´s ja.

Die Nichtse: die Niemandskinder, die Nichtshaber. Die Keinen, die Verniemandeten, die Hasenfüße, die Lebenskranken, die Verdammten, die zweimal Verdammten: die nicht sind, auch wenn sie wären. Die nicht Gesichter, sondern Arme haben. Die nicht Geschichte schreiben, sondern kleine Eingaben schreiben. [Eduardo Galeano]

Wenn man einen Frosch in heißes Wasser wirft, versucht der natürlich, so schnell wie möglich rauszukommen. Wenn man einen Frosch in lauwarmes Wasser setzt und die Temperatur allmählich erhöht, dann kocht der sich fröhlich zu Tode; der lässt sich kochen mit ungeheurem Wohlgefallen und merkt das gar nicht. Der kriegt das nicht mit. Das ist eine Parabel für das Leben in unseren Gesellschaften, und natürlich auch im Theater, als ein kleines Modell unserer Gesellschaft. Der gekochte Frosch. [Heiner Müller]

Andy Dino Iussa

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