11.11.2016Wupperpresse
Wenn Warten zum Erleben wird
Es ist still am frühen Donnerstagnachmittag in der Wartezone des Jobcenters. Und das, obwohl sich der helle Raum im vierten Stock der Bachstraße 2 nach der Mittagspause immer mehr mit Menschen füllt. In sich gekehrt ergeben sich die Anwesenden dem Warten darauf, dass mit einem hellen Gong ihre Nummer aufgerufen wird.
Nur wenige heben den Blick, als einige Wartende anfangen die Stühle zu wechseln. Erst scheint es zufällig. Dann leuchtet immer mehr ein Prinzip auf. Die vier Leute nehmen nicht mehr Platz. Ihre Körper fangen an, zueinander Bezug zu nehmen, sie kommunizieren miteinander. empfangen und senden Impulse. Erstaunen und Verwirrung sind auf vielen Gesichtern zu lesen, aber auch demonstratives Nichtwahrnehmen. Ist das Tanz? Oder Kunst? Oder muss den Menschen gar geholfen werden? Mit Aussagen wie „Ich bin im falschen Film.“ oder „Was geht denn hier ab?“ beschreiben später einige Zuschauer ihre ersten von der Darbietung freigesetzten Gedanken. Doch anfängliche Skepsis wandelt sich immer mehr in Neugierde. Das Geschehen wird miteinander mal reger mal ruhiger diskutiert.
Als die Tänzer nach knapp 20 Minuten so unerwartet entschwinden wie sie auftauchen, bleibt Ihre Energie im Raum haften. Der gedämpfte Zustand des Wartens wird durch einen wachen Moment des unerwarteten Erlebens unterbrochen.
„Da passiert innerhalb von 20 Minuten so viel in den Gedankengängen“, weiß Canan Erek. Mit ihrem „Dance Poetry“-Ensemble geht die Tänzerin und Choreografin seit sechs Jahren in den öffentlichen Raum. Diese Woche gab sie ihr erstes Wuppertaler Gastspiel im Rahmen von LEBE LIEBE DEINE STADT, dem Tanz- und Performance-Projekt der börse.
Die aus Berlin stammende Company gefällt die Offenheit und Freundlichkeit die ihnen die Wuppertaler entgegen bringen – trotz anfänglicher Skepsis. „Wir wollen ja irritieren, wollen Raum neu definieren.“ Zur Performance gehörte auch die Aufklärung des zufälligen Publikums durch Dagmar Beilmann, der Initiatorin von LEBE LIEBE DEINE STADT. Sie bat auch um eine kurze Rückmeldung zu dem Erlebten. Was die Zuschauer am Anfang empfanden und was später. Anfängliche Gedanken wie „Was sind das für Spinner?“ wandelten sich schnell Wertschätzungen wie „beeindruckend und mutig“ oder „Wow! ich finde Eure nonverbale Kommunikation toll!“
Begeistert war auch der Leiter der Wuppertaler Jobcenter Thomas Lenz. Er freute sich darüber, dass einige anfangs ratlose JobcenterKunden nach Aufklärung der Situation ein Lächeln auf dem Gesicht trugen. „Das schafft eine ästhetische, schöne Atmosphäre“, sieht er die eher unangenehme Situation des Wartens ins Positive gewandelt. Gut gefiel ihm auch die spontane Fortführung des Tanzes in der Architektur des Treppenhauses.
Auch hier wurden viele Leute dank defektem Aufzug spontan zu Zuschauern. Bei LEBE LIEBE DEINE STADT können interessierte Wuppertal bei Workshops und Mitmach-Projekten jedoch meist selbst aktiv werden. Die kostenlosen Angebote wollen alle Bewohner unserer Stadt erreichen.
Bilder zu den Performances in den Jobcentern und mehr Informationen zu LEBE LIEBE DEINE STADT unter: www.lebeliebedeinestadt.de
Idee/Konzept/Choreographie: Canan Erek, http://cananerek.de
Tanz: David Bloom, Alessandra Defazio, Raffaella Galdi, Jung Sun Kim
Kamera/Schnitt: Roberto Duarte
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