Zweimal Paul Abraham: Zwei Wiedergutmachungen

Von Glamourös bis Bitter, von Weltruhm bis Irrenhaus und jetzt die Renaissance: Das Leben eines ganz großen Musikers in zwei Biographien

Da hat ein Pechvogel spätes doppeltes Glück: Über einen der ganz großen ungarisch-deutschen Operettenkomponisten ist in der letzten Zeit zweimal ein dickes Buch geschrieben worden: 2014 erschien bei Books on Demand „Paul Abraham. Der tragische König der Operette. Eine Biographie“ von Klaus Waller (2. erweiterte Auflage 2017), dieses Werk wiederum stark überarbeitet und mit zahlreichen Fotos und Dokumenten 2021 bei starfruit publications, und 2023 erschien im Wiener Hollitzer-Verlag Karin Meesmanns „Pál Ábrahám. Zwischen Filmmusik und Jazzoperette“. Überhaupt erlebt der Musikschaffende eine Renaissance ohnegleichen, über die Klaus Waller auf der Webseite www.paul-abraham-bio.de regelmäßig aktualisiert berichtet, der zudem zu einer Reihe von Autoren gehört, die Dokumente, Musikaufnahmen und Materialien über den begnadeten Komponisten auf youtube verbreiten.

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Meesmann hat ein auch in seinen Ausmaßen opulentes und kiloschweres Werk vorgelegt, das auf vielfältiges Echo gestoßen ist. Auf drei miteinander verflochtenen Ebenen nähert sie sich Abraham: der persönlich-biographischen, der musikalisch-theoretischen und der Zeitgeschichte: Er war 1933 „der“ Star des Berlins der 1930er-Jahre, bevor die Nazis ihn verjagten und er, über Umwege in die USA emigriert, schwer erkrankte und erst spät nach Deutschland zurückkehrte. Waller erzählt die Lebensgeschichte gewissermaßen an einem Strang.

 

 

Beide Herangehensweisen haben ihre Stärken und Schwächen. Die Schreibweisen: „Paul Abraham“ bei Waller folgt der offiziellen Namensgebung, „Pál Ábrahám“ bei Meesmann der ungarischen Variante, wobei dort wie etwa im Bayerischen der Vor- dem Nachnamen nachgestellt wird.

Karin Meesmann studierte an der Musikhochschule Detmold beziehungsweise Münster und in Graz und war Flötistin im Orchester Mario Traversa-Schoener, bevor sie auf Musikpädagogin und freie Journalistin umsattelte. In Tübingen wurde sie schließlich promoviert.

Der gelernte Sportjournalist Klaus Waller arbeitete beim Branchenführer Sport-Informationsdienst (SID) in Neuss und mehrere Jahre bei der Tageszeitung „Unsere Zeit“. Ab 1983 verantwortete Waller als freier Herausgeber und Lektor zwölf Jahre lang die Taschenbuchreihe rororo tomate, in der rund 180 Titel erschienen. Erfolgreichste Autorin der Reihe war Elke Heidenreich, die bei Waller ihre ersten Bücher veröffentlichte und mit den Else-Stratmann-Bänden jahrelang die Bestsellerlisten anführte. Als Buchautor veröffentlichte Waller selbst über ein Dutzend Sachbücher bei Verlagen wie Eichborn, Heyne oder mvg.

Während Waller Abrahams Studienaufnahme an der Musikakademie unkorrekt datiert, erweist er sich als der distanziertere Autor, während Meesmann mitunter Abraham, der Zeit seines Lebens an seinem eigenen Bild strickte, schon einmal zu sehr glaubt, etwa wenn er behauptet, die Librettistenlegende Löhner-Beda bereits 1927 kennengelernt zu haben.

In das Land, dem er seine größten Erfolge verdankte, das ihm aber mit den antisemitisch-nationalsozialistischen Untaten von jetzt auf gleich den Boden unter den Füßen wegzog, kehrte der ehedem gefeierte Star am 30. April 1956 zurück. Als gebrochener Mann, der infolge einer ausgeheilten Syphilis geistig erkrankt ist, landet er in einer Art Rückführung auf dem Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt, „im ‚Flugzeug der Verdammten‘ – mit dem die amerikanische Regierung ‚Nervenkranke, Asoziale, Staatenlose und Leute, die der öffentlichen Fürsorge zur Last fallen, in ihre Heimatländer zurücktransportiert’“ (Meesmann). So bitter sein Leben, so genial seine Melodien. Sie „werden noch immer gespielt und geliebt, und seine großen Operetten aus Berlin, Budapest und Wien feiern heute ein glanzvolles Comeback“ (Waller).

Seine große Zeit währte Anfang der 1930er nur gut zwei Jahre: „Für diese Zeit war Paul Abraham der nach Aufführungszahlen und wohl auch nach Einnahmen erfolgreichste Operettenkomponist der Welt“ (Waller). Franz Lehár nannte ihn den „Kronprinzen“ seines Genres, seine Werke waren in Deutschland, Europa, ja sogar Australien omnipräsent. Doch deutet sich eine Renaissance an, erlebten und erleben doch seine Operetten an der Komischen Oper Berlin oder in Dortmund ihre Wieder- beziehungsweise ihre deutsche Erstaufführung. Neu entdeckt wird der begnadete Musiker auch in Österreich.                                            MATTHIAS DOHMEN

 

Karin Meesmann, Pál Ábrahám. Zwischen Filmmusik und Jazzoperette, Wien: Hollitzer 2023, ISBN 978-3-99094-016-7, 551 S., 68,00 (als PDF 67,99) Euro. www.hollitzer.at.

Klaus Waller, Paul Abraham. Der tragische König der Jazz-Operette, Fürth: starfruit 2021, ISBN 978-3-922895-44-2, 384 S., 28,00 Euro. www.starfruit-publications.de, www.klaus-waller.de.

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