11.05.2015

Blick nach vorn im Zorn?

Die Trasse, zwischenzeitlich von vielen totgesagt, ist fertiggestellt. Carsten Gerhardt, der mit ehrenamtlichen Mitstreitern die große Vision nach vorne brachte, blickt mit lachendem und weinendem Auge auf das Jahrhundertwerk.

 

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Carsten Gerhardt auf dem Viadukt Steinweg (2)Immerhin, es regnet nicht. Aus östlicher Richtung schlurfen Arbeiter mit Straßenbesen herbei, sie räumen Abfälle von der Asphaltdecke der Trasse und grüßen hinauf zu dem hochgewachsenen Mann, der über ihnen auf der Brücke steht. Ihn kennt jeder, der auch nur ein wenig über die Geschichte der Nordbahntrasse weiß: Dr. Carsten Gerhardt, Vorsitzender der Wuppertalbewegung e.V. Es wäre ein stimmiges Bild: Der Kapitän auf der Kommandobrücke, der zufrieden hinunterblickt zu seinen Leuten und seinem Schiff, das gerade den Stapellauf absolviert hat. Doch es ist kühl und bedeckt. Das Wetter kann sich nur zu einer Zwischenschattierung durchringen, die gänzlich der Stimmung dieses Mannes entspricht. Neun Jahre sind vergangen, seit Carsten Gerhardt den Verein gründete, der sich die Stadtentwicklung und vor allem die Umnutzung der Nordbahntrasse als Freizeitweg auf die Fahnen schrieb. Jetzt, im Alter von 46 Jahren, betrachtet dieser Mann erfreut die Früchte des alten Vereinsanliegens. Einerseits. Andererseits sieht er betrübt die faulen Stellen im frischen Obst.

Als talwaerts zur feierlichen Eröffnung der Trasse am 19. Dezember 2014 ein Porträt über den städtischen Projektleiter Rainer Widmann veröffentlichte und mit „Vater der Trasse“ titelte, empfand Gerhardt dies als Schlag ins Gesicht seiner ehrenamtlichen Mitstreiter. „Monate ihrer Lebenszeit und eben nicht Arbeitszeit wie die Vertreter der Stadt“ hätten sie in dieses gewaltige Projekt investiert. Das gehöre gewürdigt. Weil wir dem durchaus beipflichten, haben wir uns mit Carsten Gerhardt am Bahnhof Heubruch getroffen, um zu erfahren, welches weitere Potenzial nach seiner Auffassung die Trasse für die Stadtentwicklung birgt.

Neben aller Freude über die Fertigstellung der Trasse und insbesondere die Annahme durch die Bevölkerung hält er auch kritische Worte zur städtischen Umsetzung des großen Wuppertaler Kraftaktes für angezeigt. „Es stand viel Geld zur Verfügung, beträchtliche Summen sind in falsche Kanäle geflossen.“ Als Beispiel nennt er die zahlreichen Brücken und Viadukte, die gar nicht saniert wurden und die daher Folgekosten in den kommenden Jahren für den städtischen Haushalt bedeuten – dann nicht mehr finanziert aus Fördermitteln, sondern in Konkurrenz mit Geldern, die an anderer Stelle in der Stadt dringend benötigt werden.

Das Schneckentempo der Stadt, die 2010 die Federführung über das Trassen-Projekt übernahm, steckt Carsten Gerhardt so sehr in den Knochen wie der Streit um Fördergelder, die Stadtkämmerer Johannes Slawig zurückhielt, weil der Wuppertalbewegung Vergabefehler beim Bau des ersten, von Bürgern durchgeführten Teilstücks vorgeworfen wurden. Es nervt ihn, dass Kritik am Handeln der Verwaltung als Majestätsbeleidigung und vielfach automatisch als Querulantentum angesehen wird. Die Wuppertalbewegung hat beim Projekt Nordbahntrasse sehen können und müssen, wie von ihr eingeworbenen Gelder verschwendet wurden – da muss Kritik nach Gerhardts Ansicht erlaubt sein.

Sich selbst sieht er als „im Grunde unpolitischen Menschen“, und doch wird er aktuell als ein möglicher Kandidat für die Wahlen zum Oberbürgermeister gehandelt. „Eine zielgerichtete Stadtentwicklung existiert in Wuppertal nicht“, befindet er. „Es ist so eine schöne Stadt. Dies in der Außenwahrnehmung zu verstärken wäre für mich die einzige Motivation, als OB-Kandidat anzutreten.“ Falls er dies täte, dann als parteiunabhängiger Kandidat. Womit letztlich kaum mehr ausgedrückt ist als die Skepsis gegenüber den etablierten, insbesondere den großen Parteien, die dann auch prompt reagierten, indem sie Ende Februar Beratungsbedarf anmeldeten, als Gerhardt den Ehrenring der Stadt erhalten sollte. Den Vorsitzenden der Wuppertalbewegung irritiert dieses Gebaren immer noch.

Wenn eines deutlich macht, dass sich gerne viele Häupter die Krone der Trasse aufsetzen möchten, dann sind es die Feierlichkeiten anlässlich der Eröffnung. Bereits am 19. Dezember 2014 richtete die Stadt Wuppertal – bei Regen und Kälte – ein Fest aus. Am 19. April feierten die Bergischen Drei die Fertigstellung des großen Trassenverbunds in der Region. Für die Wuppertalbewegung wird der 20. Juni Festtag sein. Und das, wie Carsten Gerhardt hofft, bei sommerlichen Temperaturen unter blauem Himmel.

Text & Foto: Manfred Görgens

Der Artikel ist ein gekürzter Auszug aus der neuen Ausgabe der talwaerts, Wuppertals Wochenzeitung. Den vollständigen Artikel lesen Sie in der neuen Ausgabe, die immer freitags erscheint. Überall, wo es Zeitschriften gibt und unter www.talwaerts-zeitung.de

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