Das Unsichtbare sichtbar machen

Jahrelang wurde Barbara Tamminga von einem Pfarrer missbraucht. Mit Bildern und Collagen erzählt sie jetzt in der CityKirche ihre Geschichte.


Jahrelang wurde Barbara Tamminga von einem Pfarrer missbraucht. Mit Bildern und Collagen erzählt sie jetzt in der CityKirche ihre Geschichte. Sie will damit die Kirche zum Mitfühlen und Handeln auffordern und mit Besucher:innen ins Gespräch kommen.

Eine Tänzerin, die mit einem Bein ein großes Fischauge im Meer trägt. In seinem Körper befindet sich eine Kirche mit hellen Fenstern. In bunten Farben hat Barbara Tamminga eingefangen, was ihr Kraft gibt: der Tanz, das Meer, die Kirchenfenster. Doch die Kirche steht auch für das Leid, das sie, egal wie weit sie von ihrer Heimat in Oldenburg weggezogen ist, immer mitgenommen hat. Viele Jahre wurde die Künstlerin von einem Pfarrer missbraucht.

„Was damals im Alter von etwa drei Jahren begann und bis zu meinem zwölften Lebensjahr geschah, habe ich komplett verdrängt und erst im Alter von 44 Jahren richtig begriffen“, erzählt Barbara Tamminga, die heute 61 Jahre ist.

Damals wäre sie nach einer Blinddarmoperation fast gestorben. Die Nahtoderfahrung brachte verstörende Bilder des Oldenburger Pfarrers ins Bewusstsein. „Plötzlich war mir alles klar“, erzählt die Künstlerin. „Jahrelang hatte ich mich schuldig und alleine gelassen gefühlt, hatte mit vielen Ängsten und Scham zu kämpfen und wusste nicht, warum.“

Keine Worte für das Leid

In einer Therapie mit einem Psychologen, der auf Traumata und Gewalterfahrungen spezialisiert war, konnte die Künstlerin schließlich langsam und mühsam aufarbeiten, was ihr in der Kindheit angetan wurde. Weil es schwer und schmerzhaft war, dafür Wort zu finden, begann sie, es in Bildern, Collagen und im Tanz auszudrücken.

Netz mit der Collage in der CityKirche

Einige ihrer Werke sind jetzt in der CityKirche Elberfeld ausgestellt. Die Gemälde stehen im Altarraum und hängen an der Empore. Die Collagen und Kleider aus Leinwandstoff – darunter ein Talar in gold und in schwarz – sind an einer Seite des Kirchraumes an einem Netz angebracht.

Dort hängt auch ein Foto von Barbara Tamminga im Alter von drei Jahren – zwischen Collagen, die ihr Konfirmationskleid und ihren Schlafanzug darstellen sollen. „Die roten Flecken darauf zeigen Blut“, erklärt Barbara Tamminga. „Der Pfarrer hat mich gerne abends besucht und dann mit Rasierklingen experimentiert.“

Vater billigte den Missbrauch

Ihr Vater war mit dem Geistlichen befreundet und billigte den Missbrauch. Die Mutter habe weggeschaut, erzählt die Künstlerin. Der Pfarrer ist mittlerweile verstorben. Zu ihren Eltern hat Barbara Tamminga keinen Kontakt mehr. Mit 12 Jahren lief sie zum ersten Mal von zuhause weg, mit 14 Jahren verließ sie ihr Elternhaus ganz und lebte in verschiedenen Wohngemeinschaften. Die Eltern habe das nicht interessiert, berichtet sie. Bis sie 16 Jahre alt war, ging sie zur Schule. Sie begann eine Ausbildung zur Industriekauffrau, brach sie wieder ab. Danach hielt sie sich mit mehreren Jobs über Wasser.

Das Engelsbild steht für das Gute in Barbara Tammingas Leben.

Ein Leben, in das erst Ruhe mit der Geburt ihrer ersten Tochter und einer stabilen Partnerschaft einkehrte. Nach mehreren Umzügen kam Barbara Tamminga schließlich nach NRW. In Wuppertal machte sie eine Ausbildung zur Erzieherin und in Essen eine Ausbildung zur Lehrerin für Tanztheater. Heute lebt sie mit ihrem zweiten Ehemann in Wülfrath. Durch ihn bekam sie wieder Kontakt zur Kirche, denn dort trat er häufiger als Musiker auf.

Vom Schweigen zum Sprechen kommen

Ihr Ehemann Dieter Nett und Pfarrerin i. R. Ulrike Hollander ermutigten Barbara Tamminga, über den erlittenen Missbrauch zu sprechen und bei der Oldenburger Kirche einen Antrag auf Anerkennung des Leids zu stellen. „Dort bin ich auf eine Mischung aus Verständnis und totaler Überforderung gestoßen“, erzählt sie. „Es gab eine Entschuldigung, aber ich fühlte mich weder ernstgenommen noch wertgeschätzt.“

Doch die erfahrene Gewalt und das Leid sollten nicht „einfach so verschwinden“, wie die Künstlerin es formuliert. „Ich habe der Kirche in Oldenburg den Dialog angeboten, aber sie wollten ihn nicht. Deshalb bin ich jetzt hier. Es ist so wichtig, dass Menschen, die von sexualisierter Gewalt in der Kirche betroffen sind, vom Schweigen zum Sprechen und vom Handeln zum Miteinander kommen.“ Denn das, so betont sie, gebe Kraft und Hoffnung.

„Brunnenkinder“ – Strukturen der Gewalt

Über ihre Werke möchte Barbara Tamminga mit den Menschen ins Gespräch kommen, berühren, aufklären und ermutigen, das Unsichtbare sichtbar zu machen. „Brunnenkinder“ hat sie ihre Ausstellung genannt, „weil die Seelen vieler, die Missbrauch erlebt haben, ins dunkle Nichts gefallen sind, nicht mehr gesehen werden, unsichtbar geMACHT werden.“

Auf vielen ihrer Bilder ist ein Brunnen zu finden – auch als positives Symbol einer Kraftquelle.

Ein Anliegen, das auch Superintendentin Ilka Federschmidt am Herzen liegt: „Zu oft wurde in der evangelischen Kirche bei der Situation und Verzweiflung der Betroffenen weggesehen und fatalerweise auch bei den Tätern nicht genau hingeschaut. Das sehe ich als schwere Schuld. Unsere Kirche ist verpflichtet, alles zu tun, um Gewalt und Missbrauch in Gemeinden und Diakonie zu verhindern und für Prävention und Schutz zu sorgen und die Aufarbeitung zu gewährleisten. Dazu ist es nötig, das Schweigen zu brechen. Dazu will diese Ausstellung ermutigen.“

Brunnenkinder

von und mit Con Alma (Dieter Nett und Barbara Tamminga)

Die Ausstellung kann in der Regel zu den Öffnungszeiten des Weltcafés der CityKirche, montags bis samstags von 10 bis 17 Uhr besucht werden. Sie endet am Karfreitag (18.04., 18.30 Uhr) mit einem Gottesdienst, Live-Musik und der Möglichkeit zu Gesprächen. Ab Freitag (11.04.) ist es für jede und jeden, der möchte, möglich, persönliche Erfahrungen und Eindrücke in die Fischernetze zu hängen.

Die Künstlerin Barbara Tamminga steht mittwochs und freitags von 15 bis 17 Uhr (außer am 26.03.) für Gespräche zur Verfügung.

Text und Fotos: Sabine Damaschke

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