Die verschwundenen elektronischen Tickets

Unzuverlässige „Apps“ für den öffentlichen Personenverkehr machen aus eben noch glücklichen Bus- und Bahnfahrern im Nu unfreiwillige Schwarzfahrer.

Symbolbild Ticket mit Armen in Handschellen.

Der Murks mit den elektronischen Tickets begann in Wuppertal etwa 2015, als die Wuppertaler Stadtwerke dem Anbieter des „HandyTicket Deutschland“ beigetreten sind. Die nachfolgend aufgelisteten Probleme aus der Analyse der „Allgemeinen Geschäftsbedingungen HandyTicket Deutschland“ aus September 2015 gelten bis heute grundsätzlich unverändert fort:

  1. Registrierung mit persönlichen Daten (Name, E-Mail, Mobilfunknummer, Adresse, Geburtsdatum, Ausweisnummer), die für den Erwerb normalerweise übertragbarer Tickets nicht erhoben werden dürfen (Datensparsamkeit) (Punkt 2.1 der AGB).
  2. Man sucht sich die Kunden aus, ein Anspruch auf Erwerb eines Tickets besteht nicht (Punkt 2.2, „Ein Anspruch auf Registrierung für den HandyTicket-Service besteht nicht.“).
  3. Das Übertragen normalerweise übertragbarer Tickets wird untersagt (Punkt 2.3, „… zu vermieten, zu verleihen, zu verkaufen, zu lizenzieren, abzutreten oder anderweitig zu übertragen.“ sowie 5.5, „ Tickets auf dem Mobiltelefon sind nicht übertragbar.“).
  4. Die Betriebsgefahr trägt alleine der Kunde (Punkt 2.3, „Die WSW mobil GmbH übernimmt keinerlei Gewährleistung bezüglich der Anwendbarkeit und Leistungsfähigkeit von ‚HandyTicket Deutschland‘.“) Der Kunde trägt ebenso die Betriebsgefahr für finanzielle Buchungen beim Finanzdienstleister (Punkt 6.3, „Der Nutzer hat die Umsatzübersicht und die Abrechnung (im Falle von Lastschriftverfahren ist das der Kontoauszug, im Falle von Kreditkartenverfahren ist das die Kreditkartenabrechnung, im Falle des Prepaid-Verfahrens ist das die Umsatzübersicht) sorgfältig zu prüfen und Einwände innerhalb von 6 Wochen nach zur Verfügungstellung der Abrechnung gegenüber der WSW mobil GmbH vorzubringen. Die Unterlassung rechtzeitiger Einwände gilt als Genehmigung.“).
  5. Ist das Verkehrsunternehmen oder der Mobilfunkprovider zu dumm, ein gültiges Ticket vollständig zu übertragen oder dieses auszulesen, haftet der Kunde alleine und wird als „Schwarzfahrer“ gemäß den gesetzlichen Bestimmungen verfolgt und ausgeraubt. Das gilt selbstredend für vom Kunden verursachte Pannen wie leerer Akku etc (Punkt 5.6, „Kann der Nutzer den Nachweis des Tickets bei der Ticketkontrolle wegen Versagens des Mobiltelefons nicht erbringen (z. B. infolge technischer Störungen, leerer Akku etc.) wird dies als Fahrt ohne gültiges Ticket nach den Beförderungsbedingungen und Tarifbestimmungen geahndet.“).
  6. Der Kunde ist im vorigen Fall verpflichtet, erneut ein gültiges Ticket zu kaufen (Punkt 5.6, „Für den Fall der Nichtverfügbarkeit, der fehlerhaften bzw. unvollständigen Übertragung des Tickets ist der Nutzer vor Fahrtantritt verpflichtet, anderweitig ein gültiges Ticket zu erwerben.“). In einem praktischen Fall zeigt sich den Nonsens dieser Regelung, denn ein Kunde kann nicht im voraus ahnen, daß das Lesegerät (2D Imager) der Kontrolleure das Handyticket (wohl wegen des verspiegelten Displays) nicht auslesen kann. In diesem Fall würde ein zweites gekauftes Ticket auf demselben Mobilfon auch nicht helfen.
  7. Lastschrift: Eine konkludente Ermächtigung zum Lastschrifteinzug wird als erteilt angesehen. Sollte diese Regelung nichtig sein, wird der Kunde umgehend zu einer schriftlichen Erteilung einer Lastschrifteinzugsermächtigung gezwungen (Punkt 7.4).
  8. Durch Installation der App im Handy ist man für die beteiligten Unternehmen jederzeit lokalisierbar (Funkzelle, GPS).

Neuerdings verschwinden dann aktivierte Tickets klammheimlich aus der App – ob das nun beim „DB Navigator“ der Fall ist [1], bei den Berliner Verkehrsbetrieben [2], oder beim Pariser RATP (Régie autonome des transports Parisiens) [3]. Der Kunde trägt die Betriebsgefahr für die verhunzte Infrastruktur und App, der Kunde muß Formulare ausfüllen, der Kunde muß mit weiteren Tickets in Vorleistung gehen, der Kunde muß Einspruch einlegen, der Kunde rennt seinem Geld hinterher („die Zahlungsabwicklung liegt nicht bei uns, da können wir nichts machen“) , und wenn nicht ein Strafverfahren folgt und ihm gnädigerweise 60 Euro „Schwarzfahrgebühr“ erlassen wird, darf er das ganze noch mit sieben Euro „Bearbeitungsgebühr“ bezahlen.

Digitalisierung in Deutschland funktioniert halt immer so, daß der Kunde das erledigt, was vorher vom Unternehmen bezahlte Mitarbeiter getan haben.

Was war gleich nochmal der Vorteil des elektronischen Tickets für den Fahrgast?

[1] Heise Online: „Deutschlandticket in der DB-App verschwunden“, 26. Juni 2026,,
https://www.heise.de/-9754209

[2] Heise Online: „Schwarzfahrt wider Willen: BVG-App lässt Tickets verschwinden“, 11. Oktober 2024,
https://www.heise.de/-9977098

[3] Blog von Louis Derrac, „Éloge du bug, version RATP“ (französisch), 11. Oktober 2024

Éloge du bug, version RATP

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