EASY, BüMA und andere Unwägbarkeiten – über die Flüchtlingshilfe Nordstadt

Im vergangenen September hat sich die Flüchtlingshilfe Nordstadt gegründet, eine von fünf Flüchtlingshilfen in Wuppertal. Seither hat sich viel verändert. Eine Momentaufnahme über ehrenamtliche Arbeit in Zeiten des Wandels.

Der September 2015 war der Beginn einer neuen Ära in Deutschland. Mit ihrem Satz „wir schaffen das“, setzte Angela Merkel eine der stärksten Flüchtlingsbewegungen der letzten Jahrzehnte nach Deutschland in Gang.

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Ich sitze in einem klitzekleinen Büro in der Alten Feuerwache. In einem Raum von höchstens 9m2 stapeln sich Spiele, stehen Kästen mit bunten Bauklötzen und großen Legosteinen herum. Zwei Schreibtische, einer mit Computer und Telefon ausgestattet, ein anderer leer, versuchen dem Raum einen offiziellen Charakter zu geben. Hinter dem Geräteschreibtisch sitzt Peter Krieg. Es ist noch keine 5 Jahre her, da hat der ehemalige Stadtangestellte seinen Schreibtisch in der Verwaltung verlassen und könnte jetzt seinen Leidenschaften wie dem Radfahren und Malen nachgehen. Aber als einer derjenigen, der die Alte Feuerwache mitaufgebaut hat, der die Jugendräte in der Stadt initiiert hat, reicht es ihm nicht, nur den Privatier zu mimen, zumal seine Frau noch ein Jahr unterrichtet.

Kloetze

Fast jeden Tag sitzt er also seit vergangenen September für ein paar Stunden in der Alten Feuerwache telefoniert und organisiert für die Flüchtlingshilfe Nordstadt, einer von fünf Flüchtlingshilfen in Wuppertal. Dabei hat er selbst nicht viel mit den Flüchtlingen zu tun. Peter Krieg unterstützt zusammen mit 5 weiteren Mitgliedern der Organisationsgruppe die ehrenamtlichen Helfer, wenn sie beispielsweise freie Wohnungen finden, die der Besitzer Geflüchteten überlassen will. Insgesamt sind inzwischen 80 bis 90 Menschen in der Flüchtlingshilfe Nordstadt organisiert und haben die unterschiedlichsten Aufgaben übernommen, wie z.B aktiv Wohnungseigentümer mit freien Wohnungen in der Nordstadt anzusprechen. Außerdem dolmetschen sie, geben Deutschunterricht, organisieren ein Begegnungscafe, übernehmen Patenschaften, und bieten Sportveranstaltungen und einiges mehr an. Krieg und die Organisationsgruppe sind quasi der Knotenpunkt, der alle Beteiligten miteinander verbindet. Das knappe Zeitbudget der meisten Ehrenamtlichen will nämlich präzise koordiniert sein, denn der größte Teil der Engagierten ist berufstätig und will trotzdem Gutes tun. Wie z.B. Katrin. Sie ist im Hauptberuf Personalerin bei einer der großen Wuppertaler Versicherungsdienstleister im Gesundheitswesen. Sie empfindet die Arbeit in der Flüchtlingshilfe als bereichernd und horizonterweiternd, nicht als zusätzliche Bürde.

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Nachdem im November des vergangenen Jahres 250 Flüchtlinge – überwiegend Menschen aus Syrien oder dem Irak, darunter 60 Kinder – von der Ronsdorfer Turnhalle in die Hufschmiedstraße in der Nordstadt gezogen sind, hat sich viel verändert. Heute beherbergt die ehemalige Schule nur noch 12 Flüchtlinge, denn Dank der erfolgreichen Arbeit von Stadt, Initiativen und Verbänden sind die meisten nun in Wohnungen untergebracht, oder wurden anderen Städten zugewiesen. Während es vorher einfach war, mit einem Aushang an einem einzigen Ort zu informieren, müssen jetzt neue Strukturen her, denn nur die Stadtverwaltung kennt die neuen Adressen und darf sie aus Datenschutzgründen nicht herausgeben. Ohnehin ist die Arbeit mit Flüchtlingen von den unterschiedlichsten Unwägbarkeiten geprägt. „Da organisiert man für jemanden z.B. Sprachunterricht und dann ist sie oder er plötzlich wieder weg,“ seufzt Krieg, „und das nicht deshalb, weil keine Lust da war, sondern weil er oder sie plötzlich bei Nacht und Nebel wieder verlegt worden ist.“

Die meisten der in Wuppertal lebenden Asylbewerber sind noch keine anerkannten Flüchtlinge. Sie haben nach der Ankunft die sogenannte „Erstverteilung der Asylbewerber auf die Bundesländer durchlaufen“ ironischerweise EASY abgekürzt – denn weder Verfahren noch Zumutungen sind wirklich easy. Auch wenn in Deutschland die Straßen gepflastert sind – im Dschungel der Regeln, Vorschriften und Abkürzungen verläuft sich selbst so mancher Deutsche. Mit der BüMA in der Tasche (Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender) haben die meisten dennoch die erste Hürde genommen und sich bei der für sie zuständigen Aufnahmeeinrichtung gemeldet. Nun heißt es Warten – überhaupt eine der vornehmsten Tugenden eines Geflüchteten – auf die sogenannte Anhörung, bei der das persönliche Erscheinen in der nächstgelegenen Aussenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge verpflichtend ist. Termine allerdings, konnte das Amt bisher erst in ein paar Monaten vergeben. Dort wird in einer Befragung geprüft, ob das Asylverfahren Aussicht auf Erfolg hat. Hat es das nicht, wird abgeschoben. Sind aber alle Kriterien erfüllt, erhalten die Schutzsuchenden eine Aufenthaltsgestattung. Ab dann können Kinder immerhin am Unterricht in den Vorschulen teilnehmen und die Eltern eine erste einfache Arbeit annehmen. Das Asylverfahren selbst dauert wiederum einige Monate.

„Was besonders die Erwachsenen im Moment brauchen, sind persönliche Paten die ihnen begleitend zur Seite stehen. Durch die oft langen Wartezeiten, weil sie sich nicht auskennen und die allgegenwärtige Unsicherheit was kommen wird, sitzen sie in ihren Wohnungen herum und wissen nicht, was sie tun sollen,“ sagt Peter Krieg. „Auch um eine schnellere Integration zu erreichen, wäre es gut, wenn sie ihre Stadt kennen lernen würden. Da wären beispielsweise auch Angebote wie Stadtführungen interessant.“ Auf den Fluren der Alten Feuerwache mischen sich fröhliches Kindergeschrei, Getrappel und mahnende Rufe von Erwachsenen. „Kinder haben es einfach, die kommen und entdecken die neue Welt spielend,“ schmunzelt Peter Krieg, „unsere erfolgreichste Aktion war übrigens die mit Kult-Sport e.V..“ Es sollte nur ein erster Testlauf werden, entpuppte sich dann aber als ein wahrer Publikumsmagnet. Flüchtlingshilfe Nordstadt und Kult-Sport luden die Flüchtlinge und Anwohner zu einem Sportnachmittag ein – es kamen 200 Menschen. Der Sport und das gemeinsame Essen brachte alle Seiten in einer völlig entspannten Atmosphäre zusammen, während der Flüchtlinge die Gelegenheit hatten über für sie wichtige, alltägliche Fragen und Probleme mit Leidensgenossen und -genossinen zu sprechen, oder sich mit Mitgliedern der Flüchtlingshilfe auszutauschen. Eine weitere Veranstaltung soll folgen.

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An einem Freitagnachmittag sitze ich erneut in der Alten Feuerwache. Der zehnköpfige Lenkungskreis der Flüchtlingshilfe Nordstadt tagt, um zu beraten, wie auf die neue Situation zu reagieren sei. Themen sind: wie muss eine vernünftige Wegweisung aussehen, damit die Flüchtlingshilfe schnell gefunden wird, oder was geschieht mit dem kleinen Raum, wenn mehrere Flüchtlinge gleichzeitig beraten werden sollen? Müssen Stühle im Gang aufgestellt werden, soll Tee gereicht werden? Und vor allen Dingen: „Können vier Menschen in dem kleinen Raum gemeinsam beraten werden, ohne dass sich die Beteiligten gegenseitig den Sauerstoff wegatmen?“, zweifelt Thomas Weyland, seines Zeichens Organisationsentwickler und seit Jahren in der Stadtteilarbeit aktiv. Es geht um eine Verstetigung der Beratungsarbeit, um tägliche Anwesenheit, vernünftige Bürozeiten und darum, dass diese Arbeit mit 450 Euro bezahlt werden soll. Denn, da sind sich die Beteiligten einig – ehrenamtlich ist eine tägliche, zuverlässige Bürotätigkeit nicht mehr zu leisten. Einige Namen machen die Runde und Peter Krieg erhält den Auftrag mit den Vorgeschlagenen zu reden. Und zum Schluss steht noch das leidige Thema Abrechnung der beantragten Gelder auf der Agenda: „Das kann einem schon mal den Schlaf rauben,“ stöhnt Thomas Weyland, „da kommen bestimmt wieder Nachfragen“. Auch das ist ein Zeichen des Zeitenwandels. Die unter anderen Bedingungen ausgehandelten und fest geschriebenen Regeln funktionieren nicht mehr. Das kostet Nerven und fordert von allen Beteiligten eine enorme Flexibilität. Aber es ist auch eine Chance, wenn alte Strukturen aufbrechen. Wo die Ängstlichen noch von „Krise“ reden, funktioniert der enorme Flüchtlingszustrom schon jetzt wie ein riesiges staatliches Konjunkturprogramm für Deutschland, von denen Sicherheitsgewerbe, Bauindustrie und andere Branchen profitieren.

Bis Anfang Januar sind 476.649 formelle Asylanträge beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BaMF) eingegangen. Mit 34 Prozent vertreten sind syrische Asylbewerber die größte Gruppe. Doch die Zahl der tatsächlichen Einreisen von Schutzsuchenden liegt laut BaMF deutlich höher: Registriert wurden fast 1,1 Millionen Personen, die nach Deutschland kommen wollen. Wuppertal beherbergt inzwischen 3.500 Menschen.

http://www.bamf.de/DE/Migration.html

http://fluechtlingshilfe-nordstadt.de

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