20.02.2014Astrid Schau
Früher war alles print
Ich zäume mal das Pferd von hinten auf: Vor über 20 Jahren habe ich meine ersten journalistischen Erfahrungen gesammelt. Genauer: im September 1993 im Rahmen eines Praktikums. Wo? Bei den Wupper Nachrichten, einer – wenn ich mich recht entsinne – wöchentlich erscheinenden alternativen Wuppertaler Zeitung. Mit der Referenz in Form eines Zeugnisses konnte ich schon kurze Zeit später wenig anfangen. Ich hätte „politische Einblicke in die augenblickliche Situation der kommunalen sozialpolitischen Akteure unter den Bedingungen finanzieller Restriktionen“ erhalten, hieß es dort.
Und deutlich klingen unsere hitzigen Diskussionen im letzten Satz nach: „Über ihre praktische Tätigkeit hinaus konnte Frau Schau diverse Gespräche über die nicht schulmäßige Orientierung unserer Zeitschrift führen und über die grundsätzliche Problematik gegenöffentlich tradierter, interessengeleiteter Diskursstrategien reflektieren.“ Das war nervig, aber auch schön: Es gab Leute mit eigenen Standpunkten, die sich mit mir auseinandergesetzt haben. Ich war dabei, wie das Layout an Leuchttischen geklebt wurde. Ich konnte meine Idee verwirklichen, eine Nacht mit einer Taxifahrerin durch Wuppertal zu kurven und darüber eine Reportage zu schreiben. Und ich war richtig stolz, als ich die Zeitung mit der ganzseitigen Reportage aufschlug.
Die Zeitung gibt es schon langen nicht mehr und Studenten, die ihre Dozenten anrufen, um nach der Hausnummer des Instituts zu fragen, damit Mutti das richtig „ins Navi“ eingegeben kann, wären wohl auch kein geeigneter Nachwuchs. Die internationale Agentur Burson-Marsteller veröffentlichte vor einigen Tagen die These von der „Evolution des Journalismus – vom Bürger zum Sozialen“. Dazu heißt es: „Bürgerjournalisten verbreiten Fotos von sich rasant entwickelnden Ereignissen und berichten über Inhalte aus anderen Perspektiven als klassische Nachrichtenorganisationen – doch es ist die gezielte Wachhund- oder Verteidigungsrolle, die einen sozialen Journalisten definiert.“
Nachrichtenportale wie njuuz dienen als Plattform für „Bürgerjournalismus“. Pluralismus statt Gegenöffentlichkeit, online statt print. „Basteln“ am eigenen Blog statt Redaktionssitzung. Die Evolution des Journalismus ändert die Produktionsbedingungen. Raum für Texte steht praktisch unbegrenzt zur Verfügung. Es muss nichts „geschoben“ werden und Beiträge gelangen ohne Qualitätskontrolle in die Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit allerdings ist stärker segmentiert als vor zehn oder zwanzig Jahren. Eine Botschaft so zu platzieren, dass sie von vielen oder den – abhängig von der Botschaft – relevanten Menschen wahrgenommen wird, ist schwieriger geworden. Hier spielt das breite Spektrum an Zeitungen, Fach- und Publikumszeitschriften nach wie vor eine wichtige Rolle. Allerdings ist es dort kaum möglich, „das Pferd von hinten aufzuzäumen“. Onlinejournalismus bietet Raum für ein breites Spektrum an Meinungen und Stilformen. Als Leserin schätze ich diese inspirierende Vielfalt. Als Texterin gestalte ich sie gerne mit.
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