27.09.2011Geschichtsverein
Für die Umbenennung des Carl Duisberg Gymnasiums in Wuppertal!
Bereits 1985 forderte die Ratsfraktion der Grünen (allerdings vergeblich) einen neuen Namen für das städtische Gymnasium: Carl Duisberg sei als Erforscher und Produzent von Giftgas und als Mitinitiator der Zwangsdeportationen von belgischen Zivilisten während des Ersten Weltkrieges als Namensgeber nicht tragbar.
In den letzten Jahren hat sich erfreulicherweise eine neue politische Sensibilität in der Wuppertaler Öffentlichkeit entwickelt, das zeigen beispielsweise die offenen Debatten um Eduard von der Heydt und auch um Paul von Lettow-Vorbeck. Ausdruck dieser neuen Debattenkultur sind die Empfehlungen, die die vom Stadtrat einberufene „Kommission zur Kultur des Erinnerns“ 2008 erarbeitet hat, auf die wir uns auch im Fall Carl Duisberg beziehen wollen:
„Neubenennungen von Straßen und Plätzen erfolgen grundsätzlich nach Menschen, die sich in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Sport, auf sozialem oder sonstigem Gebiet Verdienste erworben haben. Wenn es sich um politische Persönlichkeiten handelt, ist ihre demokratische Gesinnung dafür Voraussetzung. Straßen oder Plätze werden nach gründlicher Aufarbeitung und Diskussion dann umbenannt, wenn der bisherige Namenspatron an Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt war oder durch eine antisemitische, rassistische oder andere militant-totalitäre Haltung zu Volksverhetzung oder Gewaltbereitschaft beigetragen hat.“
Carl Duisberg
Nach Auswertung der neueren Forschungsarbeiten (siehe die Literaturhinweise) und der erneuten Durchsicht der älteren Forschung ist es – aus unserer Sicht – nicht mehr zu akzeptieren, dass Carl Duisberg als Namensgeber eines öffentlich finanzierten Gymnasiums geehrt wird. Selbst die Bayer AG verzichtet – mittlerweile – auf eine öffentliche Ehrung Duisbergs anlässlich seines 150. Geburtstages. Eine andere Richtung schlägt – zu unserem Bedauern – das Carl Duisberg Gymnasium in ihrer neu erschienenen Festschrift ein, in der sie offensiv die Namensgebung verteidigt. Die neue Festschrift räumt zwar Duisbergs Beteiligung am Gaskrieg und an der Deportation von belgischen Zivilisten zur Zwangsarbeit ein, sein Einsatz zur Entwicklung von bakteriologischen Kampfstoffen, sein Eintreten für den unbeschränkten U-Boot-Krieg, für die Annexion von Belgien und Nordfrankreich, seine Forderung nach deutschen Lebensraum im Osten und der Vernichtung von England,
seine Mitgliedschaft in der völkischen und antisemitischen Deutschen Vaterlandspartei, seine Mitwirkung bei den geheimen und illegalen Rüstungsprogrammen der Reichswehr Ende der Zwanziger Jahre, die Rolle der IG Farben während des Nationalsozialismus, die großzügige 400.000 RM Spende für Hitlers Wahlkampf und Duisbergs Mitarbeit in der von Hans Frank 1933 neu gegründeten “Akademie für Deutsches Recht“, wird unterschlagen. Man folgt der Einschätzung von Duisbergs bisherigen Biographen, Duisberg wäre nicht verantwortlich für sein Handeln, sondern nur „ein Kind seiner Zeit“ oder ein „verführter Verführer“.
Zur Veranschaulichung seien hier die wichtigsten Passagen aus der Festschrift zitiert:
„Wie immer man Carl Duisberg in der Rückschau bewerten will, er scheint der Prototyp des genialen Industriellen und Forschers schlechthin gewesen zu sein.“
„Heute erscheint es als unzweifelhaft, dass der Einsatz von Giftsgas gegen den Artikel 23 der Haager Landkriegsordnung verstieß, obwohl 1925 eine deutsch-parlamentarische Untersuchungskommission zu einem gegenteiligen Urteil gekommen ist; müßig der Hinweis, dass auch Frankreich Giftgas einsetzte oder das die englische Seeblockade mit den vielen Hungertoten unter der deutschen Zivilbevölkerung völkerrechtswidrig war. Unrecht kann nicht gegen Unrecht aufgewogen werden.
Duisberg forcierte die Erforschung, Entwicklung und Produktion von Gasmunition seit Ende 1914. (…) Ob und wieweit den Beteiligten die Völkerrechtswidrigkeit bewusst war, ist kaum zu klären- und ist eine Frage, die den Blick auf die historische Situation verstellt. Entgegen den Erwartungen hatte sich der Krieg in einen Stellungskrieg verwandelt, der Einsatz von Gas sollte zu einem militärischen Vorteil führen. Und hier fühlte sich Duisberg ganz seinem Vaterland verpflichtet, denn als Mensch der Kaiserzeit erfüllten ihn Nationalstolz und Kaisertreue. Es erschien ihm als selbstverständlich, all seine unternehmerische Schaffenskraft für die Erringung eines Siegfriedens im Ersten Weltkrieg einzusetzen. Und auch seine Forderung, zwangsweise belgische Arbeitslose in das Deutsche Reich zu deportieren, ist aus der oben angedeuteten Geisteshaltung zu verstehen. (…) Carl Duisberg kann sicherlich nicht als Vorbild für ein modernes Demokratieverständnis
dienen. (…) Als Patriarch lehnte er die Gewerkschaften ab, gewerkschaftliche Mitbestimmung innerhalb der Betriebe war für ihn undenkbar. Er war ein Gegner der Gewerkschaften, nicht aber der Arbeiter.“
(Festschrift zum 150. Bestehen des Carl Duisberg Gymnasiums – September 2011)
Ein paar Sätze zur Korrektur und zur persönlichen Verantwortung von Carl Duisberg:
1. Die Beteiligung an der Erforschung und Produktion von Giftgaswaffen einzuräumen, gleichzeitig aber darauf hinzuweisen, das Frankreich im weiteren Kriegsverlauf auch Giftgas einsetzte, ist eine beliebte Argumentationsfigur aus der Weimarer Republik, um die Kriegsschuld Deutschlands zurückzuweisen. Absurd ist es auch, ausgerechnet Carl Duisberg zu unterstellen, er hätte die Völkerrechtswidrigkeit des Giftgaseinsatzes und der Zwangsdeportationen nicht geahnt, das ist aufgrund der Quellenlage eindeutig falsch.
Im Herbst 1914 wurde nach einem Vorschlag von Major Max Bauer vom Kriegsministerium eine Kommission ins Leben gerufen, die sich mit der Nutzung der giftigen Abfallstoffe in der Farbenindustrie für Kampfhandlungen beschäftigen sollte. Diese unterstand der Leitung von Carl Duisberg (Bayer) und Walter Nernst (Chemieprofessor an der Universität Berlin). Fritz Haber, Leiter der Chemieabteilung der Rohstoffbehörde im preußischen Kriegsministerium und ab 1912 Direktor des Kaiser Wilhelm-Instituts für physikalische Chemie und Elektrochemie in Berlin-Dahlem, schlug der Heeresleitung die Nutzung von Chlorgas für militärische Zwecke vor, wobei wissentlich gegen die Haager Landkriegsordnung verstoßen wurde, die den Einsatz von Giftgas verbietet. Carl Duisberg war bei den ersten Chlorgasversuchen auf dem Kölner Truppenübungsplatz Wahn sogar persönlich anwesend. Der erste Einsatz von Chlorgas durch das deutsche Heer erfolgte im belgischen Ypern. Bei diesem
Angriff gab es schätzungsweise 2.000 bis 3.000 Gasverletzte und 800 bis 1.400 Tote. Insgesamt geht die Forschung von insgesamt 60.000 Toten des Gaskrieges aus, der von Deutschland begonnen wurde.
Die chemische Industrie arbeitete ständig an der „Optimierung“ des Einsatzes von Giftgas: Chlorgas wurde beispielsweise erst auf den Gegner geblasen, später dann mit Gasgranaten verschossen. Unter Duisbergs Leitung wurden bei Bayer weitere Kampfstoffe entwickelt: Phosgen, das giftiger war als Chlorgas und mit farbig markierten Geschossen, sog. „Grünkreuz“-Granaten, verschossen wurde, und später Senfgas. Die sogenannten „Blaukreuz“-Granaten enthielten ein Gas, das zu Erbrechen und Reizung der Atemwege führte, so dass die Soldaten ihre Gasmasken abnehmen mussten und dann das gleichzeitig abgeschossene tödliche Senf- oder Chlorgas einatmeten.
2. Die neuere Forschung belegt eindeutig, das Duisberg nicht nur als glühender Parteigänger des Kaisers und des deutschen Imperialismus handelte, sondern auch immer den ganz persönlichen Unternehmensgewinn im Blick hatte. Neu ausgewertete Quellen aus dem Bayer-Archiv ergeben, das Duisberg nicht nur aus nationalem Interesse mit großer Eigeninitiative die Tauglichkeit der Giftgase für den Kriegseinsatz erforschen ließ, sondern besonders gerne auch seine eigenen Giftgase absetzen wollte, obwohl er wusste, das sie zu diesem Zeitpunkt nicht so mörderisch waren wie das letztlich in Ypern eingesetzte Chlorgas.
Insgesamt waren sich die Industriellen der Chemieindustrie sehr bewusst, das ohne ihre Munitions- und Giftgasproduktion der Weltkrieg nach kurzer Zeit wegen Munitionsmangel hätte beendet werden müssen. Diese Macht nutzten Duisberg und Co. offensiv aus. Sie diktierten die Preise, riefen nach Arbeitskräften und Zwangsarbeitern und forcierten das gigantische Rüstungsprogramm, das sog. Hindenburg-Programm.
3. Duisberg engagierte sich ab 1915 verstärkt in der vom „Alldeutschen Verband“ gesteuerten Kriegszielbewegung und wurde sogar Vorstandsmitglied des „Unabhängigen Ausschuß für einen deutschen Frieden“. Er forderte u.a. offensiv die Annexion des besetzten Belgiens und Nordfrankreichs und etwas später auch „deutschen Lebensraum“ im besetzten Polen und Russland. Besonders auffällig ist sein Hass auf die „Giftspinne England“ und das „englische Krämervolk“, das man notfalls völkerrechtswidrig – wie er selbst einräumte – aus der Luft bombardieren sollte.
Duisberg hatte beste Kontakte auch zur neuen Obersten Heeresleitung OHL unter Hindenburg und Ludendorff, die er persönlich traf und die er vor allem direkt politisch beeinflussen konnte. Duisberg mischte sich offensiv in die Kriegszielplanung ein, forderte den uneingeschränkten U-Boot-Krieg und setzte sich erfolgreich für die Absetzung des angeblich zu nachgiebigen) Kanzlers Bethmann- Hollweg ein. 1917 trat der „unpolitische Duisberg“ dann sogar in die Deutsche Vaterlandpartei ein, in der auch ein Wolfgang Kapp und Admiral Tirpitz führend beteiligt waren. Hans Ulrich Wehler nannte diese Partei eine „rechtsextreme Massenorganisation mit deutlich präfaschistischen Zügen“, die die „fanatisierten Anhänger eines Siegfriedens und exorbitanter Kriegsziele“ zusammenführte. Ihre Parolen waren, so Wehler, „eine „giftige Fusion“ aus Antisemitismus, Radikalnationalismus, Expansionismus und Reformblockade.
4. Die Zwangsdeportation von ca. 60.000 belgischen Zivilisten war keineswegs eine Form einer wie auch immer gearteten Arbeitslosenpolitik des Kaiserreiches, sondern völkerrechtswidrig und sogar bei der Zivilverwaltung in Brüssel und dem zuständigen Zivilgouverneur sehr umstritten. „Öffnen Sie das große Menschenbassin Belgien“, rief Carl Duisberg dem preußischen Kriegsminister im September 1916 zu. „Wir haben aus Polen Tausende von Arbeitern herausgeholt, aber aus Belgien nicht einen einzigen bekommen. Und die, die wir bekommen haben, sind weggelaufen, weil sie es in Belgien besser haben als bei uns.“ Duisberg hatte ein paar Monate vorher dafür plädiert, die Arbeitsmöglichkeiten und die Lebensmittel in Belgien zu rationieren, um die „Arbeitslust“ der Belgier in Deutschland zu steigern. Als diese Maßnahmen nichts fruchteten, wurden die Meldeämter im besetzten Belgien angewiesen, Listen zu erstellen, wer als „arbeitslos“ oder „arbeitsscheu“ zur
Zwangsarbeit nach Deutschland „abgeschoben“ werden sollte. Zum Teil wurden die ausgesuchten Arbeiter in ihren Häusern überfallen und gewaltsam per Viehwaggon zur Zwangsarbeit nach Deutschland verfrachtet.
Interessant ist auch das Verhältnis Duisbergs zu den Zwangsarbeitern: So erörterte Duisberg 1916 ernsthaft den Vorschlag des Kölner Industriellen Heinrich Späth, die Gesichter von Zwangsarbeitern mit einer erst nach Haftverbüßung wieder entfernbaren Spezialfarbe zu bemalen, um Fluchtversuche zu erschweren. Duisberg lehnte den Vorschlag ab, aber nicht aus humanitären Gründen, sondern weil es solche Farben bislang nicht gäbe, die Idee gab er aber an das Militär weiter. ( Jens Thiel: Menschenbassin Belgien, S. 112)
Eine Chance für die historisch-politische Bildungsarbeit – nicht nur am CDG
Eine neue Debatte um den Namen der Schule kann– fächerübergreifend – die inhaltliche Auseinandersetzung stärken. Die Beschäftigung mit der Person Carl Duisbergs kann insbesondere das Geschichtsbild über den ersten Weltkrieg präzisieren.
Hier bietet sich z.B. ein Projektschwerpunkt zur Giftgasforschung und –produktion, aber auch zur Munitionsproduktion an. Eine Untersuchung der „Kriegszielbewegung“ und des „Alldeutschen Verbandes“ ist auch im Hinblick auf die Durchsetzung eines völkischen Antisemitismus in der Weimarer Republik und auf die Konzeption der nazistischen Lebensraum-Ideologie ergiebig.
Darüber hinaus wäre ein Schwerpunkt zur weitgehend unbekannten Geschichte Belgiens im Ersten Weltkrieg vielversprechend, der sehr gut mit Exkursionen und schulischen Kontakten nach Belgien zu verknüpfen wäre. Projektfelder für ein Belgienprojekt wären insbesondere die Giftgaseinsätze in Ypern, die Zwangsdeportationen von belgischen Zivilisten, die Kriegsverbrechen der deutschen Armee an belgische Zivilisten (Dinant, Löwen ) und der Mythos von Langemarck. Last but not least geht es (nicht nur in der Schule) um die moralische Verantwortung von WissenschaftlerInnen und Industriellen, auch hier bietet sich insgesamt eine Beschäftigung mit der Geschichte des Bayer Konzerns bzw. der IG Farben an.
Eine neuer Name
Die Frage nach der persönlichen Verantwortung führt uns auch zu einem Vorschlag für einen neuen Namen. Bei der Recherche sind wir auf die Chemikerin Clara Immerwahr gestoßen. Sie war eine der ersten deutschen Frauen mit einem Doktortitel und engagierte Frauenrechtlerin. Im Jahr 1901 heiratete sie den Chemiker (und späteren Nobel-Preisträger) Fritz Haber. Als Fritz Haber im Verlauf des Ersten Weltkriegs (im Bunde mit Carl Duisberg) als Abteilungsleiter die wissenschaftliche Verantwortung für das gesamte Kampfgaswesen übernahm, missbilligte seine Frau in aller Öffentlichkeit seine Unternehmungen als Perversion der Wissenschaft. Als ihr Mann aufgrund des „erfolgreichen“ Giftgaseinsatzes in Ypern befördert wurde, erschoss sie sich mit seiner Dienstwaffe auf der Wiese vor ihrer Villa. Haber zeigte sich davon unbeeindruckt und fuhr noch am selben Tag nach Galizien, um weitere Giftgaseinsätze vorzubereiten.
Verein zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal 23.9.2011
www.wuppertaler-widerstand.de
Weitere UnterzeichnerInnen melden sich bitte bei info@wuppertaler-widerstand.de
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