Goethe und die frommen Wuppertaler

Vor genau 250 Jahren, am Sonntag (21.07.) war Goethe in Elberfeld. Historiker Heiko Schnickmann hat zu seiner Reise ins "fromme Wuppertal" geforscht.


Goethe war fast überall – auch in Wuppertal. Und zwar am Sonntag (21.07.) vor genau 250 Jahren. Heiko Schnickmann, Historiker und Mitarbeiter der Gemeinde Wichlinghausen-Nächstebreck, hat sich intensiv mit Deutschlands berühmtestem Dichter und seinem Blick aufs „fromme Wuppertal“ beschäftigt.

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Am kommenden Sonntag (21.07.) bieten Sie wieder eine Stadtführung zu Goethes Besuch in Elberfeld an, der vor genau 250 Jahren stattfand. Was hat Goethe damals bewogen, ins Wuppertal zu reisen?

Heiko Schnickmann: Überliefert ist, dass Goethe eigentlich nur Düsseldorf als Ziel hatte. Dort wollte er einen anderen Intellektuellen seiner Zeit, Friedrich Jacobi, und seinen Bruder Johann besuchen. Allerdings scheiterte der Überraschungsbesuch, denn beide Brüder Jacobi hielten sich in Elberfeld auf. Daher brach Goethe am 21. Juli 1744 von Düsseldorf aus nach Elberfeld auf, wo Johann Urlaub machte. Er wartete auf den Kuss der Muse, um ein neues Gedicht zu verfassen, leerte in der Zwischenzeit allerdings den Weinkeller seines Gastgebers Peter vom Heydt, in dessen Haus, „dem Wunderbau“, er übernachtete und schreiben wollte. Friedrich Jacobi war beruflich in Elberfeld, da er als Hofkammerrat mit einer Zollreform, die auch die nicht ganz fest gelegten Grenzen des Wuppertals zum Märkischen betrafen, beschäftigt war.

Sie möchten den Besuch des Schriftstellers beim Rundgang in die Mentalität des Elberfelds des 18. Jahrhunderts einordnen. Was prägte die Stadt zu der Zeit?

Heiko Schnickmann: Das war ganz klar der Pietismus, eine Konfessionen übergreifende Bewegung, die durch zwei Stoßrichtungen geprägt war: Zum einen wurde die Bibel als Grundlage für Problemlösungen jeglicher Art betrachtet und eine kritische Auseinandersetzung mit ihr war nicht gewünscht. Zum anderen wollten die Pietisten durch diese intensive Beschäftigung mit der Bibel ein besonders inniges Verhältnis zu Gott erreichen. Das bedeutete eine Umkehr von den als zu intellektuell und schöngeistig empfundenen Ideen der Reformation und eine Ausrichtung an dem, was real ist: Geld, Handel, Arbeit.

Solche Überlegungen passten natürlich gut zu der Lage Elberfelds an der äußersten Grenze zwischen Berg und Mark, denn wer weit weg von den Regenten lebt – dieser residierte in Mannheim – kann recht frei agieren, was die wirtschaftlichen und geistigen Bedingungen im Wuppertal stark beeinflusst hat.

Goethe und die frommen Wuppertaler passten nicht zusammen. Warum?

Heiko Schnickmann: Goethe kam aus Frankfurt, sein Vater war Jurist, er selbst Freigeist. Seine Gedanken waren auf das Gute und Schöne ausgerichtet. All das, was im pietistischen Wuppertal skeptisch beäugt, wenn nicht abgelehnt wurde, war für ihn Sinn und Zweck des Lebens. Als liberaler Mensch war er sich dennoch nicht zu schade, über Religion und ihren Einfluss nachzudenken. Zahlreiche Gedichte haben biblische oder kirchliche Bezüge. Für ihn war aber der kulturelle Einfluss entscheidend, nicht die wortwörtliche Auslegung.

Kurz nach dem Besuch Goethes gründete Jung-Stilling zusammen mit anderen Honoratioren Elberfelds die Elberfelder Lesegesellschaft. Das waren die gleichen Herren, die auch in Politik, Handel und Kirche das Sagen hatten. Die zeitliche Abfolge hat oft dazu geführt, die Gründung dieser schnell größer werdenden Gruppe mit Goethes Besuch in Verbindung zu bringen. Das lässt sich aber nicht beweisen.

Die häufigste Frage mit Bezug zu Goethe ist: „Der war hier?“

Gibt es Fragen oder erstaunte Kommentare, die Sie bei Ihren Rundgängen immer wieder erleben?

Heiko Schnickmann: Die häufigste Frage mit Bezug zu Goethe ist eigentlich: „Der war hier?“ Für die Wuppertaler beginnt die Geschichte ihrer Stadt eigentlich immer erst mit der Industrialisierung. Das hat vor allem damit zu tun, dass man im Stadtbild von der Zeit vor dem 19. Jahrhundert kaum etwas sehen kann. Wenn ich dann bei Führungen durch Elberfeld, Barmen, Oberbarmen, Wichlinghausen und Nächstebreck darauf aufmerksam mache, dass es mittelalterliche Höfe gab, Straßennamen bis heute Zeugen von kriegerischen Auseinandersetzungen sind oder welche berühmten Menschen hier waren, dann gibt es immer wieder erstaunte und überraschte Ausrufe. Das wird beim Goethe-Rundgang sicherlich auch der Fall sein.

Was reizt Sie als Historiker daran, sich so intensiv mit Wuppertal zu beschäftigen?

Heiko Schnickmann: Wuppertal ist ein Mikrokosmus der Weltgeschichte! Ich bin bei einigen Menschen mittlerweile verschrien, weil ich es immer schaffe, Bezüge zwischen Aspekten der Geschichte und dem Wuppertal herzustellen. Diese Stadt hat ein reiches Erbe, das seit über 150 Jahren erforscht wird, aber nur selten in die breite Öffentlichkeit gelangt. Wir finden im Umfeld Wuppertals römische Spuren, sächsische Bauern, dörfliche Selbstverwaltung, unabhängige Leibeigene, Söldner aus dem 30jährigen Krieg, Barmer Lehrer im Indonesien des 17. Jahrhunderts, Literaten und Denker der Aufklärung, Revolutionäre, Kirchenlenker, Wirtschaftspioniere, Kolonialisten, Missionare und Auswanderer, Künstler, Nazis und Kommunisten, Feministinnen und Traditionalisten. Dieses reiche Erbe zu erforschen und bekannt zu machen, fordert heraus und macht meine Aufgabe so spannend.

Das Gespräch führte Sabine Damaschke.
Foto: KK-Archiv

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