Große Tarifreform im VRR: alles eezy, bequem und sicher?

In der Pressemitteilung des VRR werden Deutschlandticket und Digitalvermarktung als das Gelbe vom Ei dargestellt.

Die Schwebebahn in Wupperfeld.

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Erst gestern die große Überschrift im Nachrichtenticker: „Wenn Bund nicht zahlt, muss Deutschlandticket fallen“ [1]. Und: „Das Deutschlandticket wackelt.“ Ungeachtet dessen vermarktet der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr das Deutschlandticket als einen „einfachen und preiswerten Zugang zu Bus und Bahn“ und das ausschließlich virtuell erhältliche Eezyticket als „unkomplizierte Lösung für all jene, die nur gelegentlich die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen möchten.“

Sollte man diesen Menschen nicht gerade einen einfachen Zugang in Form eines anonym nutzbaren Tickets in Papierform zu ermöglichen? Auf dem die wichtigen Dinge wie Gültigkeitsbereich und -dauer vermerkt sind? Das Eezyticket ist genau das Gegenteil davon.

Der gelegentliche Fahrgast benötigt ein Smartphone. Er muß eine „App“ installieren, die ihn 24/7 nachverfolgt. Sonst wäre die kilometer- oder was-auch-immer-genaue Abrechnung gar nicht möglich. Möglicherweise muß der gelegentliche Fahrgast auch noch Paß oder Personalausweis mit herumschleppen, weil elektronische Fahrkarten grundsätzlich nicht übertragbar sind. Papiertickets sind zunächst einmal Inhaberpapiere, das heißt sie gelten für die Person, die sie bei einer Kontrolle vorzeigen kann.

Ein Smartphone bietet keine Basis für eine sichere Infrastruktur

Elektronische Tickets sind vor allen Dingen „eezy“ (einfach) für die Betreiber wie den VRR und deren Mitgliedsunternehmen. Denn die ganze Betriebsgefahr wird in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf den Fahrgast abgewälzt. [3] Der Kunde ist in die Bahn gestiegen und kann wegen „Softwarefehler“ im Ticketshop kein Ticket kaufen →Kunde fährt schwarz. Die „App“ vergißt mal wieder das hinterlegte Deutschlandticket →Kunde fährt schwarz. Die Netzverbindung fällt aus? Kein Handyempfang? →kein Ticketkauf oder Neuhinterlegung möglich, der Kunde fährt schwarz. Der Kontrolleur kann den Barcode des Tickets nicht auslesen →der Kunde fährt schwarz.

Während für den Transport mit Bus und Bahn über die staatlichen Beförderungsbedingungen eine weitestgehende Mitnahmepflicht besteht, wird diese über die eTicket-AGB ausgehebelt: „Ein Anspruch auf Registrierung für den HandyTicket-Service besteht nicht.“

Tarifzonen A, B, C – das gab es schon einmal

Eine große Tarifreform hatten wir Anfang 1993 schon einmal mit der Reduzierung der Zonen von fünf auf drei mit einmaliger Anpassung der Preise nach unten auf den Stand von 1978. Das gab den Wuppertaler Stadtwerken ja erst den Ansporn, anhand der rasant steigenden Fahrgastzahlen in den Jahren 93 bis 96 für 2001 ein jährliches Fahrgastaufkommen bei der Schwebebahn von 30 Millionen zu phantasieren. Nur ist es zu diesen Millionen nie gekommen.

Denn die Preise stiegen all die Jahre weit mehr als die Lebenshaltungskosten. Kostete ein Ticket 2000 9-Uhr im Abo 1998 noch umgerechnet 48,92 Euro, sind es zum 1.3.25 mit 168,40 Euro fast das dreieinhalbfache (Verbraucherpreisindex: +58,7% von 1998 bis Ende 2023).

Dieses Mal wird das vom VRR selbst im Laufe der Jahre verunübersichtlichte Tarifgewusel wieder einmal auf drei Tarifzonen beschränkt. Das 24-Stundenticket gilt allerdings wieder nur für eine statt wie früher automatisch für fünf Personen. Eine Fahrt von Wuppertal nach Kempen für lockere 18,90 Euro wird sicherlich niemanden, der ein Auto hat, zur 75-minütigen Bahnfahrt mit der Gefahr eines Ausfalls oder Verspätung bewegen, wenn er ziemlich sicher in unter einer Stunde mit dem eigenen Wagen am Ziel ist – quasi von Haustür zur Haustür: je Land, desto Auto. Dazu kommt noch das Würfeln, wenn es darum geht, den eigenen Scooter für den letzten Kilometer mitnehmen zu dürfen oder dem Bus hinterherschauen zu dürfen. [2]

„Dynamische Tarife“ ermöglichen erst veränderliche und undurchsichtige Preise

Der elektronische Eezytarif schafft erst die Notwendigkeit, die Identität des Kunden festzustellen und diesen stets zu lokalisieren. Der Preis muß über Grundpreis und Luftlinienpreis kalkuliert werden. Imgrunde eröffnet dieses Modell erst analog zu den „intelligenten Stromzählern“ das Tor für veränderliche Tarife, je nach Auslastung und Nachfrage. Letztlich akzeptiert der Eezykunde bei jeder Fahrt die aktuellen AGB. Nur eins ist fest: Die Kontoverbindung, um die Kohle vom Kunden zu kassieren.

Den Ticketkauf „zu vereinfachen“ und „den Beratungsaufwand zu reduzieren“, die der VRR als langdfristige Ziele angibt, zielt genau auf die oben beschriebene Abwälzung der Verantwortung auf den Kunden ab. Nur die Leistungen sind nicht sicher: Züge, Trams und Busse fallen aus oder sind verspätet, der Taktfahrplan eingeschränkt und Fahrgäste warten sich dadurch dumm und dämlich.

Wie heißt es schon auf jeder Seite auf vrr.de: „Sehr geehrter Nutzer, in Ihrem Browser ist Javascript deaktiviert […] Vielen Dank für Ihr Verständnis.“

Verweise und Hinweise

[1] https://www.n-tv.de/politik/Soeder-Wenn-Bund-nicht-zahlt-muss-Deutschlandticket-fallen-article25355626.html

[2] In den Bussen und der Schwebebahn der WSW gilt ein Scooter-Mitnahmeverbot. In Solingen dürfen E-Scooter mitfahren. In Remscheid ist es wieder verboten.

[3] Vergleiche AGB der Handyticket, hier untersucht am Stand 2016:

(1) Daten werden an nicht beteiligte Firmen weitergeleitet (Punkt 1.3, „… IT-Dienstleisters, der HanseCom GmbH, Hamburg, und eines Finanzunternehmens, der LogPay Financial Services GmbH, Eschborn.“). Der Vertrag besteht zwischen dem Verkehrsdienstleister und dem Kunden.
(2) Forderungen werden dann ohne zu fragen an Dritten abgetreten (Punkt 1.4, „… LogPay Financial Services GmbH, Schwalbacher Str. 72, 65760 Eschborn, an welche sämtliche Entgeltforderungen verkauft und abgetreten wurden (Abtretungsanzeige).“)
(3) Registrierung mit persönlichen Daten (Name, E-Mail, Mobilfunknummer, Adresse, Geburtsdatum, Ausweisnummer), die für den Erwerb normalerweise übertragbarer Tickets nicht erhoben werden dürfen (Datensparsamkeit) (Punkt 2.1 der AGB).
(4) Man sucht sich die Kunden aus, ein Anspruch auf Erwerb eines Tickets besteht nicht (Punkt 2.2, „Ein Anspruch auf Registrierung für den HandyTicket-Service besteht nicht.“).
(5) Das Übertragen normalerweise übertragbarer Tickets wird untersagt (Punkt 2.3, „… zu vermieten, zu verleihen, zu verkaufen, zu lizenzieren, abzutreten oder anderweitig zu übertragen.“ sowie 5.5, „ Tickets auf dem Mobiltelefon sind nicht übertragbar.“).
(6) Die Betriebsgefahr trägt alleine der Kunde (Punkt 2.3, „Die WSW mobil GmbH übernimmt keinerlei Gewährleistung bezüglich der Anwendbarkeit und Leistungsfähigkeit von „HandyTicket Deutschland“.“) Der Kunde trägt ebenso die Betriebsgefahr für finanzielle Buchungen beim Finanzdienstleister (Punkt 6.3, „Der Nutzer hat die Umsatzübersicht und die Abrechnung (im Falle von Lastschriftverfahren ist das der Kontoauszug, im Falle von Kreditkartenverfahren ist das die Kreditkartenabrechnung, im Falle des Prepaid-Verfahrens ist das die Umsatzübersicht) sorgfältig zu prüfen und Einwände innerhalb von 6 Wochen nach zur Verfügungstellung der Abrechnung gegenüber der WSW mobil GmbH vorzubringen. Die Unterlassung rechtzeitiger Einwände gilt als Genehmigung.“).
(7) Ist das Verkehrsunternehmen oder der Mobilfunkprovider zu dumm, ein gültiges Ticket vollständig zu übertragen oder dieses auszulesen, haftet der Kunde alleine und wird als „Schwarzfahrer“ gemäß den gesetzlichen Bestimmungen verfolgt und ausgeraubt. Das gilt selbstredend für vom Kunden verursachte Pannen wie leerer Akku etc (Punkt 5.6, „Kann der Nutzer den Nachweis des Tickets bei der Ticketkontrolle wegen Versagens des Mobiltelefons nicht erbringen (z. B. infolge technischer Störungen, leerer Akku etc.) wird dies als Fahrt ohne gültiges Ticket nach den Beförderungsbedingungen und Tarifbestimmungen geahndet.“).
(8) Der Kunde ist im Fall 7 verpflichtet, erneut ein gültiges Ticket zu kaufen (Punkt 5.6, „Für den Fall der Nichtverfügbarkeit, der fehlerhaften bzw. unvollständigen Übertragung des Tickets ist der Nutzer vor Fahrtantritt verpflichtet, anderweitig ein gültiges Ticket zu erwerben.“). In einem praktischen Fall zeigt sich der Schwachsinn dieser Regelung, denn ein Kunde kann nicht im voraus ahnen, daß das Lesegerät (2D Imager) der Kontrolleure das Handyticket (wohl wegen des verspiegelten Displays) nicht auslesen kann. In diesem Fall würde ein zweites gekauftes Ticket auf demselben Mobilfon auch nicht helfen.
(9) Lastschrift: Eine konkludente Ermächtigung zum Lastschrifteinzug wird als erteilt angesehen. Sollte diese Regelung nichtig sein, wird der Kunde umgehend zu einer schriftlichen Erteilung einer Lastschrifteinzugsermächtigung gezwungen (Punkt 7.4).
(10) Durch Installation der App im Handy ist man für die beteiligten Unternehmen jederzeit lokalisierbar (Funkzelle, GPS).

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Kommentare

  1. Wolfhard Winkelströter sagt:

    Das eezy-Ticket hat eine Obergrenze von jetzt 3.40€ in Wuppertal. Wenn man Vohwinkel nach Beyerburg fährt sicher sinnvoll, weil man sonst sicher 10€ los wäre.

    3.40€ sind aber mehr als 2.65€ was ich für ein 10 Ticket zahle. Hier ist beim eezy-Ticket schon bei einer Fahrt vom Eckbusch zur Morianstraße Schluss.

    Nicht verwunderlich, dass das 10Ticket nicht mehr im VRR-Tarif nächstes Jahr vorkommt.

  2. N. Bernhardt sagt:

    Dann viel Spaß bei der Fahrradfahrt von Küllenhahn zum nächsten VK-Shop hoch nach Cronenberg, wenn spätestens in zwei Jahren selbst in den Bussen keine Barzahlung mehr möglich ist. Die Geldkarte hat man ja längst wieder aufgegeben. Und auf der Strecke steht auch schon ein Ghostbike.

  3. Susanne Zweig sagt:

    Der Ticketkauf bei den WSW geht jetzt schon online ganz eazy:
    Auf der WSW-Startseite klicke ich auf

    – ÖPNV, Tickets …

    – Services

    – Verkauf & Information

    und folge dann dem Link des „Online-Ticketshops“ im Fließtext. Und ich lande auf … äh … einer 404-Seite. Na gut, vielleicht falsch abgebogen – nochmal:
    Auf der Startseite klicke ich auf

    – Mobilität

    – Tickets

    – Einzelticket

    und hier auf den Button „Jetzt online kaufen“. Und schon erfahre ich auf einer weiteren Seite von einem PDF-Flyer, der mir erklärt, wie man das DeutschlandTicket Schule auf dem Handy installiert.
    Ist doch super, oder?
    Ich fahre jetzt mit dem Fahrrad zur einer Fahrkartenverkaufsstelle, die man auch auf der WSW-Seite finden kann. Sogar sortiert. Alphabetisch. Nach Nachnamen der Verkäufer.

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