Jedes Kind braucht eine Zukunft!

Über Kinderarmut, Kindergrundsicherung und Defizite in der Betreuung sprechen wir zum Weltkindertag mit Bärbel Hoffmann von der Diakonie Wuppertal.

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Über Kinderarmut, die Pläne zur Kindergrundsicherung und über Defizite in der Betreuung sprechen wir am heutigen Weltkindertag mit Bärbel Hoffmann. Sie verantwortet bei der Diakonie Wuppertal den Bereich Kinder und Jugendliche.

Wie geht es den Kindern in der Stadt? Es gab mal eine Statistik, nach der rund ein Viertel der Kinder in Wuppertal „arm“ ist…
Bärbel Hoffmann: Schon vor dem sprunghaften Anstieg der Inflation war jedes fünfte Kind in Deutschland armutsgefährdet. Inzwischen ist im Bundesdurchschnitt jedes vierte Kind arm. In Wuppertal ist seit Jahren jedes dritte Kind von Armut betroffen und die Tendenz ist steigend.

Kinderarmut hat sich verfestigt

Die Kinderarmut in unserer Stadt hat sich sehr verfestigt und unserer Wahrnehmung nach sind inzwischen leider eher mehr als weniger Kinder und Jugendliche betroffen. Durch die Zuwanderung von über 5.000 Frauen und Kindern, die aus der Ukraine geflüchtet sind, sind noch weitere Kinder dazugekommen, die auf den Bezug von Sozialleistungen angewiesen sind.

Die strukturellen Probleme im Bergischen sind vergleichbar mit denen im Ruhrgebiet und darunter leiden insbesondere die Kinder: Arbeitsplätze sind weggefallen, viele Menschen arbeiten im Niedriglohnsektor. Und in Wuppertal leben viele Alleinerziehende und Familien mit Migrationshintergrund – beide Gruppen sind besonders von Armut bedroht.

Woran merken Sie, dass sich die Situation verfestigt hat?
Hoffmann: Wir sind nah an den Familien dran. Vor der Einschulung zum Beispiel verteilen wir von Kindertal e.V. angeschaffte neue Schultaschen für Erstklässler:innen. Die Familien standen Schlange bei uns.

Viel verdeckte Armut in der Stadt

Der Bedarf war in diesem Jahr war wieder groß. Die Eltern haben uns die Listen für die Anschaffungen für das neue Schuljahr gezeigt – da kommen mit Kopiergeld, Büchergeld und Heften schnell 130 Euro pro Kind zusammen. In der Grundsicherung gibt es dafür zwar einen Posten, aber das reicht vorne und hinten nicht.

Die Teuerungsraten für Lebensmittel waren in den letzten Monaten immens und wenn dann noch eine Klassenfahrt ansteht, dann wird es mittlerweile sogar für den unteren Mittelstand knapp. Die verdeckte Armut ist sehr groß.

Ist das „Ja“ zur Kindergrundsicherung ein wesentlicher Schritt zur Reduzierung der Kinderarmut?
Hoffmann: Grundsätzlich ist die geplante Zusammenführung verschiedener existenzsichernder Leistungen für Kinder sehr sinnvoll, trotzdem bin ich nicht zufrieden mit den Plänen zur Kindergrundsicherung.

Mehr auf die Ursachen von Armut schauen

Nach dem aktuellen Entwurf wird es nicht dazu kommen, dass die Kinderarmut signifikant zurückgeht. Ursprünglich war eine grundlegende Veränderung der Sozialsicherungssysteme für junge Menschen geplant. Statt der angesetzten 12 Milliarden sollen jetzt „nur“ 2,4 Milliarden dafür in die Hand genommen werden. Es sind folglich viele Abstriche gemacht worden.

Wir müssen genauer hingucken, was die Ursachen von Kinderarmut sind und diese bekämpfen.

Ganz grundsätzlich kann Kinderarmut nicht isoliert von den Familien betrachtet werden. Wir müssen genauer hingucken, was die Ursachen von Kinderarmut sind und diese bekämpfen.

Was sind denn die Hauptursachen, dass es den Kindern nicht gut geht?
Hoffmann: Die Infrastruktur für Kinder ist nicht gut und nicht ausreichend finanziert. Wir und die anderen Träger müssen jedes Jahr überlegen, ob wir unsere Angebote für Kinder in der Jugendhilfe aufrechterhalten können.

Zu wenig Plätze in Kitas und im Ganztag

Es gibt zu wenig Plätze in den Kitas und in der Ganztags-Betreuung. In den Schulen fehlen die Lehrkräfte. An diese Themen müssen wir ran, damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und damit auch die Einkommenssituation der Familien sich verbessert.


Bärbel Hoffmann, Geschäftsführerin bei der Diakonie Wuppertal.

An welcher Stelle kommen da Diakonie und Kirche ins Spiel?
Hoffmann: Ob das Jugend-und Begegnungszentrum Jubs in Vohwinkel, der Bewohner:innentreff Oase, die mobile Kinder- und Jugendarbeit rund um den Berliner Platz , das Schülercafé Scot oder der Unterbarmer Kinderteller – die Angebote von Diakonie und Gemeinden sind wichtig und helfen einzelnen Familien und ihren Kindern sehr.

Insofern ist die offene Kinder- und Jugendarbeit eine wichtige Anlaufstelle für die Hausaufgabenbetreuung und die Freizeitgestaltung. Aber all das kann keine vernünftige Sozialpolitik ersetzen, die Armut ursächlich bekämpft. Dafür müsste in die Infrastruktur investiert werden.

Offene Türen sind massiv unterfinanziert

Für uns als Träger kommt erschwerend hinzu, dass alle Bereiche der Offenen Türen und der aufsuchenden Jugendarbeit massiv unterfinanziert sind. Wir müssen jedes Jahr neue Partner und Sponsoren finden, um weitermachen zu können. Auch die Kommunen können das nicht auffangen, denn sie bekommen immer neue Aufgaben, die sie zusätzlich verantworten müssen, ohne dass ihnen eine angemessene Refinanzierung dafür zur Verfügung gestellt wird.

Es ist unsere Pflicht, als Anwalt für die Benachteiligten einzutreten.

Als Wohlfahrtsverband und Kirche ist es auch unsere Pflicht, auf diese Missstände hinzuweisen und als Anwalt für die Benachteiligten einzutreten.

Und wo müsste bei der Kindergrundsicherung aus Ihrer Sicht konkret nachgebessert werden?
Hoffmann: Die Bedarfssätze für Kinder sind nicht angemessen berechnet. Gleichzeitig werden Besserverdienende über die Steuerfreibeträge immer noch bevorzugt.

Außerdem sind noch einige Fragen gar nicht geklärt: Wie werden Kinder von Eltern mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus behandelt? Was ist mit Kindern, deren Eltern getrennt sind und die im Wechselmodell (Das Wechselmodell ist ein Betreuungsmodell, bei dem Kinder zwischen den Wohnungen der Eltern hin- und herwechseln), leben? Auch bei Kindern, die in einer Jugendeinrichtungen oder einer Pflegefamilie aufwachsen, gibt es auch noch Klärungsbedarf.

Und ich befürchte, dass der Verwaltungsaufwand weiterhin sehr groß sein wird, auch da müsste nachgebessert werden. Schon jetzt ruft die Hälfte der Familien, die Anspruch auf Kindergeldzuschlag haben, diese Leistung nicht ab, und rund ein Drittel der Familien, die Anspruch auf staatliche Transferleistungen haben, können wegen der vielen bürokratischen Hürden die Hilfen nicht in Anspruch nehmen. Es gibt also noch einiges zu tun.


Das Gespräch führte Nikola Dünow.


Fotos: Archiv

Hier geht’s zur Stellungnahme der Diakonie Deutschland zur Kindergrundsicherung

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