Quo vadis Wuppertal? – Gedanken zum heutigen Tag . .
Hiermit brachte Wilhelm zum Ausdruck, was jeder Beobachter der insgesamt 16 Verhandlungstage im Rahmen des Verfahrens vor dem Amtsgericht Wuppertal als auch der 2 Verhandlungstage vor dem Landgericht empfunden haben muss. Eine Justiz, die offensichtlich nicht nur das rechtliche und öffentliche Interesse sondern auch jedes Augenmaß, aber vor allem das Recht aus den Augen verloren hat(te).
Während diese Erkenntnis über die Staatsanwaltschaft Wuppertal für wenig Überraschung sorgt und diese auch ohne Ermittlungen als weisungsgebundene Behörde in Interviews Dinge als „Quatsch“ bezeichnet und damit willentlich und wissentlich in Kauf nimmt, dass das obrigkeitshörige Volk den Betreffenden in Grund und Boden stampft, wäre doch zumindest vor dem Amtsgericht zu erwarten gewesen, dass dieses dem von der Staatsanwaltschaft beantragten Strafbefehl gegen Paschalis ein Ende bereitet. Weit gefehlt, der Strafbefehl wurde sogar aufgestockt.
Der nun im Berufungsverfahren zuständige Oberstaatsanwalt (welcher ebenso Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Berufung eingereicht hatte) hatte am ersten Verhandlungstag eine weitere Erhöhung des Strafbefehls anvisiert, hat aber offenbar nicht mit der Intention des Vorsitzenden Richters und stellvertretenden Präsidenten des hiesigen Landgerichts gerechnet. Am Ende des heutigen Tages zog der Oberstaatsanwalt die Berufung zurück und beantragte ebenfalls Freispruch für Paschalis.
Dieser machte recht deutlich klar, wer Herr des Verfahrens ist. Er stimmte der Ablehnung eines Schöffen zu, welcher als Abteilungsleiter der Stadtsparkasse Wuppertal durchaus in einen Konflikt hätte geraten können, denn schließlich ging es in Paschalis Strafanzeige u.a. auch um die Machenschaften innerhalb der WMG (Wuppertaler Marketing-Gesellschaft) und des Aufsichtsrats, dem wiederum der Vorstandsvorsitzende der Stadtsparkasse Wuppertal angehört.
Auch holte der Vorsitzende 2 an allen Verhandlungstagen anwesende Bedienstete der Stadt Wuppertal aus deren Anonymität, da diese vom Verhandlungsinhalt stadtintern hätten berichten und somit die ursprünglich geladenen Zeugen theoretisch beeinflussen können. Wie zu recherchieren war, handelte es sich um zwei städtische Bedienstete der Abteilung „Korruptionsbekämpfung“. Mögen sie aus dem Gehörten gelernt haben. 34 bezahlte „Mann-Tage“ sollten dem Steuerzahler etwas bringen.
Schnell war zu merken, dass es durchaus, wenn auch spät, Grund gibt, den Glauben an die Justiz in Wuppertal nicht gänzlich zu verlieren.
Rechtsanwalt Endrik Wilhelm machte deutlich, dass in den vergangenen 7 Jahren Paschalis´ Reputation gelitten, er einen „Albtraum“ erlebt habe. Was in Wuppertal praktiziert werde, sei „Foul is fair and fair is foul“ bediente sich Wilhelm an Shakespeare. „In dieser Stadt werden nicht die von der Staatsanwaltschaft verfolgt, die Böses getan haben. Hier werden die verfolgt, die pflichtgemäß an der Aufklärung rechtswidriger Geschäfte interessiert sind.“, so Wilhelm.
Am Ende steht ein Urteil, welches der Vorsitzende an Paschalis gerichtet, aber auch andere meinend, mit folgenden Worten schmückte:
„Das Urteil des Amtsgerichts ist falsch. Sie wurden zu Unrecht von der Staatsanwaltschaft verfolgt. Dieses Urteil kann kaum Ihrem Wunsch entsprechen, komplett rehabilitiert zu werden. Aber ich hoffe, dass dieses Urteil einen Grundstein legt, um Ihre berufliche und persönliche Reputation wiederherzustellen und Sie vollständige Rehabilitierung erfahren.“
Soviel zu der juristischen Seite dieses Verfahrens. Paschalis nahm dieses Urteil und die Worte des Richters sichtlich angefasst zur Kenntnis. Der Saal konnte den Stein hören, der ihm vom Herzen fiel.
Aber lassen Sie uns einen Blick auf unsere Stadt und deren Umgang mit Menschen werfen, übrigens bereits zu Beginn der Schmutzkampagne gegen Paschalis mein Anliegen, denn ich erinnere mich zu gut, dass ich damals titelte: „So geht man nicht mit Menschen um“.
Die Zerstörung eines Menschen hat in dieser Stadt gute Tradition. Nicht näher aufzuführende Erlebnisse habe ich selbst in den vergangenen Jahren machen dürfen. Mache sie auch aktuell noch. Akten werden durch einen Boten, manche sagen auch Berater, aus dem Rathaus an die Presse weitergereicht, der Prozess um die ehemalige Intendantin des Pina Bausch-Tanztheaters ist uns allen noch in Erinnerung. Kritische Journalist*innen werden mundtot gemacht, entlassen oder gemieden. Sie dürfen nicht mehr „mitspielen“ bei den „Großen“.
Wer sind die „Großen“? Nach meiner Auffassung diejenigen, die allzu oft als die „Macher“, oder „Mächtigen“, die Stadtvorderen oder wie auch immer bezeichnet werden oder so betrachtet werden möchten. Anerkennung ist ein tolles Gefühl. Wer kennt es nicht? Wenn Macht jedoch missbraucht wird und Menschen unter entstandenen Geflechten leiden müssen, handelt es sich nicht mehr um einen Dienst an, sondern gegen die Gesellschaft.
Doch dies scheint die leiderprobte Wuppertaler Bevölkerung nicht mehr zu interessieren. In der Spitze waren es 18 Zuschauer*innen, welche den Verhandlungstagen folgten. Im Mittel ca. 10!
Die Presse? Am Eröffnungstag des Verfahrens am Amtsgericht war die WZ, der WDR (Lokalzeit Bergisch-Land), die Wuppertaler Rundschau, die Neue Wuppertaler Zeitung und ich als freier Journalist zugegen. Die WZ war ab da nicht mehr gesehen, der Kollege der Wuppertaler Rundschau wurde durch Stefan Seitz ersetzt, der WDR erschien ebenso nicht mehr.
Aber dies entbindet uns mündige Bürger nicht, Interesse zu zeigen. Wir lieben Schlagzeilen. Wir lesen es gerne, wenn ein studierter Mann Behauptungen als „Quatsch“ abtut. Das passt in 140 Zeichen. Hintergrund, Recherche, sowas brauchen wir nicht, um uns eine Meinung zu bilden. „Da wird schon was dran sein“, äußerte sich eine der Zuschauerinnen zu Beginn des ersten Prozesses. Genau, wir wissen mehr. Warum brauchen wir überhaupt noch die Justiz?
Wir mögen Schicksalsgeschichten, wir sind (immer nur auf Zeit) solidarisch, wir widersprechen nicht. Wir konsumieren Bilder und Texte, lieben einfache Antworten, schwadronieren und lassen die „Großen“ weitermachen. Unsere Höchststrafe: Nicht zur Wahl gehen. Und überlassen 1/3 der Wuppertaler, wer im Stadtrat sitzt und, noch schlimmer, unser Stadtoberhaupt ist. Wir entziehen uns der Demokratie und nutzen unsere Mittel nicht, für sie zu kämpfen. Wir stehen als Beobachter am Spielfeldrand . . . ach, genug der Metaphern.
Und die, die Menschen und Existenzen, Jobs und Zukunft, ja auch Seelen und Gesundheit zerstören um der hiesigen High Society anzugehören, lachen sich ins Fäustchen. Vernetzt und brandmarkend treffen sie sich auf den Events der Stadt und spielen, die Überheblichkeit versteckend, bürgernah zu sein. Oder parteinah. Oder einfach nur anbiedernd und die Karriere fest im Blick, während sie vorgeben, sich „ehrenamtlich“ für uns zu opfern um Gutes für „die Stadt“ oder „ihren Bezirk“ zu erreichen.
Erlauben Sie mir die eine Bemerkung: Ich habe in den vergangenen Jahrzehnten in vier Bundesländern und zig Gemeinden und Städten gelebt, mich immer für die kommunalen Belange interessiert, aber nie den Blick auf meine Geburtsstadt Wuppertal verloren. Ich gebe zu, es ist schon peinlich, wenn ein Journalistenkollege auf einer Veranstaltung in München fragt, „was denn schon wieder in Wuppertal los ist“. Es ist nicht schön, wenn man unsere Stadt ausschließlich mit Armut, schlechten Straßen, ungepflegten Bahnhöfen, zunehmender Kriminalität, hoher (Kinder-)Armut, Korruption und einer in der Wahrnehmung Außenstehender mehr stehenden Schwebebahn in Verbindung bringt. „Wuppertal – Asozial“. Haben Sie bestimmt auch schon gehört.
Und dann gibt es da das Bild, dass gerne zu zeichnen versucht wird, vielleicht auch gerade von Ihnen: Trasse, Gaskessel, Utopia, tolles Multi-Kulti usw. Dort lässt man sich gerne fotografieren, zumindest wenn die Historische Stadthalle gerade saniert wird und nicht als Hintergrund dienen kann.
Und man fragt sich, was ist los in dieser Stadt? Wo sind die Demonstrationen?
Nein, ich meine nicht die Ansammlung ein paar weniger, einmal pro Jahr verhüllt in Regenbogenfahnen, vor dem Rathaus posierender LGBTQ etc.-Vertreter*innen, welche sich anmaßen von einer „Community“ zu reden, welche in großen Teilen weit entfernt davon ist, tolerant zu sein oder mit Respekt umzugehen, wenn es um Fragen der Herkunft, der Vorlieben oder des Alters geht.
Wo ist der Aufschrei und die viel gepriesene Solidarität, wenn eine einzelne fraktionslose Abgeordnete in einem leidenschaftlichen Appell in der gestrigen Ratssitzung für die gleichen Rechte wie die Fraktionen sie innehaben kämpft und dies von allen Parteien mit Ausnahme der Linken abgelehnt wird? Oder schauen Sie kein Rats-TV?
Wo ist der Aufschrei, wenn man Sie zur Abstimmung über ein Bürgerbegehren zur BUGA an die Urnen zitiert und uns ein paar Tage später mitgeteilt wird, dass seit Jahrzehnten anstehende Schulsanierungen erneut verschoben werden müssen? Wollen Sie die Zusammenhänge nicht verstehen, oder glauben Sie, dass es diese nicht gibt?
Ist es Ihr demokratisches Verständnis, dass wir das Demonstrieren für die überfällige Schulsanierung der „Else“ den Schülerinnen und Schülern selbst überlassen und die Lehrerinnen und Lehrer, insbesondere die damalige Schulleiterin sich einer Debatte stellen muss, ob diese Demonstration während der Schulzeit rechtlich in Ordnung war?
Wo ist Ihre Stimme, wenn es darum geht, wie wir unsere immer älter werdende Gesellschaft am Leben teilhaben lassen können und deren Mobilität garantieren?
Sie haben genug? Dann haben Sie nichts verstanden. Denn es geht in diesem Kommentar nicht um irgendwen. Es geht um Sie! Um uns! „Uns“ ist Ihnen egal? Ich habe es befürchtet. Aber eines sollten Sie nicht vergessen: Eine Gesellschaft, eine Bürgerschaft ist immer ein Miteinander. Das schließt Egoismus und Hass aus. Es setzt aber die Bereitschaft zum Engagement und zum Kompromiss, zum Reden, Debattieren, Zuhören voraus. Ein Engagement, welches auch Ihnen in einer vielleicht heute noch nicht absehbaren Situation helfen könnte.
Überlassen Sie unsere Stadt nicht 1/3 derjenigen, die wählen dürfen. Beteiligen Sie sich. Seien Sie interessiert, engagiert. Machen Sie öffentlich, wenn man versucht, Sie einzuschüchtern. Machen Sie es, wie Panagiotis Paschalis. Sein Kampf um sein Ansehen, gegen den scheinbaren „Goliath“ kann uns allen als gutes Beispiel dienen.
Ein Kommentar von Marcus Kiesel
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Die Kritik an der Wuppertaler Rundschau verstehe ich nicht. Stefan Seitz IST Redakteur der Wuppertaler Rundschau und hat einen ordentlichen Prozessbericht verfasst: t.co/jk8vnEIxX1
Die WZ hat sich mit etwas Verspätung einen dürren Einspalter im Lokalteil der Printausgabe abgerungen. Herr Leuschen hätte den Prozess sicher gerne (wie sonst auch) auf der Titelseite kommentiert, ist dort aber heute schon mit der Demontage von Robert Habeck beschäftigt: wz.de/76385263