22.11.2024N. Bernhardt
Was bringen 22 Jahre Videogafferei in Bussen und an Haltestellen?
Seit der Busgeneration 2002 setzen die Wuppertaler Stadtwerke (WSW) in jedem ihrer Busse Videokameras ein. Es folgte ein stiller Austausch und -bau in den Schwebebahnstationen mit Spannercams auf Bahnsteig- inklusive der Zugangsebene, wo zuvor das Bild der Bahnsteigkamera lediglich auf einen Monitor in der Fahrerkabine übertragen wurde. Die Kriminalität war mit Einführung der Schwebebahn-Gelenktriebwagen 15 plötzlich so gestiegen, daß seither auch hier alle Fahrgäste rundumbegafft werden.
Auch in den Fahrgast-Informationsdisplays, die an mindestens 70 Bushaltestellen stehen, müssen unbedingt versteckte Kameras das öffentliche Treiben begaffen. Obwohl auch noch in sämtlichen Aufzügen wie an der Kluse zur Südstadt Spannercams installiert sind, lassen sich Vandalen offensichtlich nicht von Schmierereien abhalten.
Als Begründung für diese Spannerei gaben die WSW einst Verhinderung von Vandalismus und Schmierereien sowie „der Schutz des Eigentums“ an. In einem Artikel vom Januar 2009 gaben die WSW für 2008 Vandalismusschäden von 145.000 Euro an. [1] Bei 70 Millionen Fahrgästen in diesem Jahr sind das sagenhafte 0,2 Cent pro Fahrgast. Die ganzen Fußgänger, die ebenfalls an den Haltestellen erfaßt werden, können da gar nicht berücksichtigt werden.
Bild: Haltestelle Karlsplatz stadteinwärts mit Bespitzelungskamera. WSW-Eigentum, dessen Schutz die eigentliche Begründung für die Überwachung ist, sucht man hier vergebens. Ob Hauseingänge, insbesondere wo Rechtsanwälten und Ärzte asnsässig sind, verpixelt werden, ist nicht erkennbar. Hinweise auf die Videobegaffung vor Betreten des Aufnahmebereichs gibt es nicht. Noch weniger ist es für Passanten möglich, sich dieser Spannerei zu entziehen.
Die „Begründung“ für die anlaßlose Überwachungsmaßnahme war offenkundig nur ein Feigenblatt. Denn weder verhindern Kameras schlechtes Verhalten von Vandalen und Schmutzfinken, noch springen die Kameras von der Decke und halten den Täter fest, bis die Polizei eingetroffen ist. Ein Rundschau-Leser schreibt: „Man ekelt sich richtig, da überhaupt noch irgendwas anzufassen oder sich gar auf die völlig verdreckten Sitze zu setzen. […] Zudem sind einige Busse im Innenraum auch derart mit Schmierereien versaut, dass man sich schon unwohl fühlt.“ [2]
Grundrechtlich besonders geschützte Personen wie Rechtsanwälte und Ärzte haben gerade in den Zentren von Elberfeld und Barmen haben ihren Sitz. Ob die Spannerei auch sie und ihre Kunden/Patienten erfaßt, wie lange diese Daten gespeichert werden oder was damit getrieben wird, ist für Betroffene nicht erkennbar. Ebenfalls ist nicht erkennbar, ob besonders sensible Bereiche verpixelt werden oder nicht. Sichtblenden, die diese Bereiche ausklammern, gibt es bei den WSW-Kameras nicht.
Maßnahmen verhältnismäßig?
Wieso ein Hauseigentümer zur Überwachung seines Eingangs die Zustimmung jedes einzelnen Mieters/Bewohners benötigt, die WSW aber frei öffentliche Plätze und Gehwege „ins Blaue hinein“ bespitzeln (dürfen), bleibt das Geheimnis der zuständigen Datenschutzbeauftragten. Nachvollziehbar ist das in keinem Fall. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach die Überwachung „ins Blaue hinein“ für verfassungswidrig erklärt und jedem das Grundrecht zugestanden, sich anonym in der Öffentlichkeit von A nach B bewegen zu können.
Hausrecht gibt es für die WSW nur in ihren Bussen und Schwebebahnen, nicht aber auf öffentlichen Plätzen und Wegen. Zur Verhinderung von Straftaten kann eine Videoüberwachung öffentlicher Plätze und Wege gestattet sein, wenn dabei die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. Dafür ist aber die Polizei zuständig und nicht die WSW. Was die Bespitzelung der Busse und Schwebebahnen angeht, sollten den WSW die Privatsphäre ihrer Fahrgäste mehr wert sein als 0,2 Cent.
Quellen und Verweise
[1] WZ vom 20. Januar 2009: „Mit neuen Video-Kameras gegen die Zerstörungswut“,
https://www.wz.de/nrw/wuppertal/mit-neuen-video-kameras-gegen-die-zerstoerungswut_aid-31217489
[2] Wuppertaler Rundschau, Leserbrief: „Man ekelt sich richtig“
https://www.wuppertaler-rundschau.de/-121290847
Weiter mit:
Sehen Sie einer Kamera an, ob sie aufnimmt? Wie lange sie aufnimmt? Welchen Bereich sie überwacht? Wie lange diese Daten gespeichert werden?
– Zur Überwachung des Betriebsablaufes mag es hilfreich oder nützlich sein kann, sich durch Videobeobachtung einen unmittelbaren Eindruck von der Situation vor Ort zu verschaffen. Erforderlichkeit verlangt jedoch mehr. Erforderlich muß gerade der Einsatz der Videotechnik sein. Erforderlichkeit ist nicht gegeben, wenn der Zweck der Videoüberwachung auch durch mildere, in die Rechte Betroffener weniger eingreifende, ebenfalls geeignete Mittel erreicht werden kann.
Mit Hilfe der von den WSW eingesetzten Videoüberwachung an den Haltestelle können im gesamten Streckenbereich nicht nur der Busverkehr und der Betriebsablauf gesteuert, sondern die die Straßen nutzenden Teilnehmer am öffentlichen Verkehr, die Fußgänger auf den Gehwegen und in Fußgängerzonen, Gebäudefassaden, Balkone und Terrassen, Eingangsbereiche von Wohn- und Geschäftshäusern, Bereiche, in denen beispielsweise Gastronomie betrieben wird und die zur sozialen Kommunikation genutzt werden, Kinderspielplätze, sonstige Sitz- und Aufenthaltsbereiche und die dort befindlichen Personen überwacht werden. Die der Videoüberwachung entgegenstehenden Interessen werden dabei umso gewichtiger, je mehr sich die Videoüberwachung von den genannten Zwecken genutzten Verkehrsflächen entfernt, in die der sozialen Kommunikation und privaten Zwecken dienenden Räume eindringt und völlig unbeteiligte Personen, die sich zu Recht unbeobachtet wähnen, erfaßt.
Die WSW erfassen zum Beispiel die Position jedes ihrer Fahrzeuge in Echtzeit. Milderes, aber auch effektiveres Mittel zur Erkennung von Staus sind die Ampelanlagen der Stadt. Diese erfassen bereits Verkehrsströme, teilweise sogar „intelligent“ mit LIDAR und Kameras. Die automatische Verarbeitung dieser Informationen ist viel effektiver, als wenn ein Mitarbeiter zwischen 70 (oder inzwischen eher mehr) Stationen und noch mehr Kameras hin- und herschalten muß, um eventuelle Staus zu erkennen.
– Bereiche, die nicht überwacht werden können, werden am besten durch Sichtblenden abgedeckt: wenn man als Betroffener die Kameralinse nicht mehr sehen kann, findet physikalisch auch keine Überwachung mehr statt.
– Die gesetzliche Vorgabe, daß Betroffene vor Betreten des Überwachungsbereichs über die Aufnahme zu informieren ist, wird kaum eingehalten. Wenn überhaupt irgendwo mal ein Hinweis auf die Videoüberwachung zu finden ist – und zwar als Text mit Hinweis auf den Sinn und Zweck sowie die Speicherdauer –, wird pauschal auf das Hausrecht und „Schutz des Eigentums“ verwiesen. Dann wird man aber bereits begafft.
– Wie beschrieben, werden für 145.000 € Sachschaden 70 Millionen Fahrgäste mit den unzähligen Kameras in den Bussen und Schwebebahnen sowie zufällige Passanten durch die Haltestellenkameras erfaßt. Ob diese Kameras überhaupt aufzeichnen, ist für den Betroffenen nicht erkennbar. Es gibt keine LED wie bei einer alten Videokamera während der aktiven Aufzeichnung. Vielmehr sind diese an den Haltestellen noch in den Infodisplays versteckt – ein in der Bundesrepublik ziemlich einzigartiger Vorgang.
– Kameras verhindern auch keine Schmierereien oder Vandalismus (Aufzüge). [3] Kameras halten keine Straftäter fest, Verfahren/Ermittlungen werden erfahrungsgemäß am Ende oft eingestellt, „weil ein Täter nicht ermittelt werden konnte“.
Angesichts des geringen Sachschadens im Verhältnis zu den Abermillionen überwachten Personen stehen die Überwachungsmaßnahmen der WSW außerhalb jeder Verhältnismäßigkeit.
– In den vergangenen Jahren war die Speicherdauer lt. nordrhein-westfälischem Datenschutzbeauftragten auf 48 Stunden begrenzt. Auch diese Vorgaben werden nicht (mehr) eingehalten bzw. wurden still und leise aufgeweicht auf mindestens 96 Stunden (4 Tage). [1] Auch hier werden Daten wieder länger gespeichert und damit die Liste der Betroffenen größer für den Eventualfall, „falls über das Wochenende vielleicht was passiert ist.“ – Die Datenschutzvorgaben sind in den letzten Jahren eher strenger geworden, nicht willkürlicher.
Ein Unbeteiligter ist nicht jeden Tag darauf aus, die aktuellen WSW-Datenschutzbestimmungen und sämtlicher Ladenlokale auf seinem Weg auf deren Website nachzuschlagen. Wie zuvor erörtert, ist für ihn nicht erkennbar, ob Kameras vorhanden sind und was sie wie lange aufzeichen. Nach Angaben von [2] darf an Haltestellen gar nicht aufgezeichnet werden. Nach Angaben von [1] werden Daten 96 Stunden gespeichert. Etliche Haltestellen wie Kluse, Varresbeck oder Loher Brücke (hier läuft der gesamte Fußverkehr als Umleitung der gesperrter Brücke) dienen auch als Durchgang für Passanten, deren Bewegungsprofile dann vier Tage gespeichert werden.
Widersprüchliche Aussagen sind ungeeignet, Vertrauen gegenüber einem Unternehmen aufzubauen. Eine nachvollziehbare Begründung, warum Daten vier Tage lang „auf Vorrat“, „zum Bequemen Nachvollziehen“, gibt es aus oben genannten Überlegungen nicht.
Die WSW können unabhängig von Kameras an den Stationen die Position jedes ihrer Fahrzeuge (Bus, Schwebebahn) über Funk lokalisieren. Die zahlreichen Kameras an den Haltestellen sind dazu nicht erforderlich. (Wie ging das eigentlich die ganzen Jahrzehnte gut ohne die ganzen Kameras im letzten Jahrhundert?)
Übrigens: Die Kids, die auf dem Dach der Station Kluse herumgeklettert sind, haben die WSW-Kameras unter dem Dach nicht erfaßt.
[1] Haltestelle Kluse: 96 Stunden Speicherdauer
https://up.picr.de/48956348pc.jpg
[2] VO0073/21, Erneuerung der Displays an WSW-Bushaltestellen;
Zitat: „Der Zweck der Überwachung des Betriebsablaufes mit den in den Anzeigern verbauten Kameras ist weiterhin gegeben. Der Einsatz der Kameras erfolgt unter den strengen gesetzlichen Vorgabe des Datenschutzes und ist zwischen dem Datenschutzbeauftragen der WSW und dem Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit als zuständige Aufsichtsbehörde unter Auflagen abgestimmt. Zu den Auflagen zählen u.a. das Verbot einer Aufzeichnung sowie, dass Bereiche des öffentlichen Verkehrsraums unkenntlich gemacht werden.“
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=2475
[3] „Videoüberwachung ist nicht geeignet, die Kriminalität nachhaltig zu beeinflussen bzw. zurückzudrängen.“ – Fazit des Gutachtens des Kriminologischen Instituts Niedersachsen im Rahmen des Verfahrens VG Köln, 20 K 4855/18
Beispiel für ein Kamerasystem, das „einfach so in der Landschaft herumsteht“, hier: Köln:
Dallmeier Panomera S-System, Domsystem mit (bis zu) 8 Kameras und 360°. Ohne Verlust der Zoomleistung sind Kfz-Kennzeichen in 100m Entfernung identifizierbar. Software: KI, Personenverfolgung, „Anyvision“-Gesichtserkennung.
Alleine durch die Präsenz der unzähligen Kameras an den Haltestellen wird ein Gefühl der Überwachung erzeugt. Ganz gleich, ob diese Spannercams „nur“ zur „Optimierung des Betriebsablaufs“ dort hängen (die KI-gestützte Fahrgastzählung und -erfassung gehört ja auch dazu, samt „Pseudonymiserung“ wie an den supeerintelligenten KI-Ampeln). All die Jahrzehnte davor gab es diese Dinger nicht bzw. waren viel zu teuer, um sie an jeder Ecke aufzuhängen.
Im übrigen muß nicht jede Meinung und Definition der „anlaßlosen Überwachung“ mit denen bestimmter Datenschutzbeauftragten übereinstimmen.
Recherche? Fehl am Platze. Ein Artikel voller Vorwürfe und Vermutungen, eine tatsächliche Ermittlung der konkreten Faktenlage gab es nicht.
Fragen die zu klären sind.
Findet eine Speicherung statt?
Ist die Erfassung anlasslos?
Werden überhaupt Bilddaten, die eine Erkennung erlauben, erfasst?
Die Rechtslage scheint auch nicht bekannt zu sein, wenn die Datenschutzbeauftragen Geheimnisse haben.
Traurig, dass solche impulsiven Artikel ihren Weg auf diese Plattform finden. Hier lässt nur jemand seiner (grundlosen) Wut freien Lauf.