Wuppertal, eine Großstadt?

Eine wahre Geschichte auf dem Weg zum Düsseldorfer Christopher Street Day (CSD):

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Wuppertal schminkt sich nicht“ schrieb einst Heinrich Böll; damit muss er wohl den Zustand des Wuppertaler Hauptbahnhofs gemeint haben und weniger eine Offenheit der Menschen. Daran denkt er, während er auf dem Weg nach Düsseldorf durch den Hauptbahnhof geht.

Jung, schwul und Wuppertaler, das ist er, wobei er auf letzteres immer häufiger gerne verzichten könnte. Die meisten seiner Freunde haben sich schon lange auf den Weg nach Köln, ins Ruhrgebiet oder nach Berlin begeben. Nur er ist in jenem „Drecksloch“ geblieben, wie es seine Freunde nennen, die voller Stolz den Titel EX-Wuppertaler/in tragen.

Sein buntes CSD-Outfit fällt auf, irgendwie will es sich so gar nicht in die Umgebung – bestehend aus Pommes Buden und Jogginghosen – einpassen. Es ist Samstagvormittag, der Zug kommt, nach Düsseldorf sind es nur 15 Minuten. Während der Fahrt blättert er ein wenig in Schnitzlers „Traumnovelle“, Montag ist Klausur, Deutsch LK, doch mit der Sprache von Goethe, Mann, Lessing und Schiller hat er keine Probleme, nur die anderen Personen im Zug versteht er kaum.

Eine Gruppe Gleichaltriger ist mit ihm eingestiegen, die Lautstärke von deren Konversation lässt ein Überhören leider nicht zu. „Ey weiße der Hurensohn hat mir voll die 6 gegeben ey. Ja der ist voll schwul ey, der macht voll schwulen Unterricht!“ So langsam versteht er, das Wort „schwul“ muss als Synonym für alles Negative herhalten. Der Schaffner kommt, es kommt zum Disput zwischen jener Gruppe und dem Schaffner um die Frage, ob ein Schokoticket für fünf Personen auf einmal gilt.

Lange wird es nicht mehr dauern, bis auch der Schaffner … denkt er. – Da schallt es auch schon durchs Abteil „Ey bisse schwul oder was!?“

Der Zug kommt in Düsseldorf an, ein paar seiner Freunde warten schon am Bahnsteig. „RE4? Sag bloß, du wohnst immer noch in Wuppertal!?“ Besser mit einem Witz die irgendwie peinliche Situation überspielen, denkt er, „ja, ihr wisst doch, ich steh auf SM, muss halt weh tun!“

Vom Bahnhof geht’s rein in die Straßenbahn, der CSD findet auf dem Johannes Rau-Platz statt, „netter Name, nur falsche Stadt“, denkt er. In der Straßenbahn fragt auf einmal eine schon etwas angeheiterte Frau, die augenscheinlich auch auf dem Weg zum CSD ist, „Na ihr Süßen, wo kommt ihr denn her?“ Seine Freunde antworten, „Köln“ (kurze Diskussion über Kölsch und Altbier), „Dortmund“ und „Berlin“. Ihre Geburtsstadt verschweigen sie, aus gutem Grund, wie sich zeigen wird. Doch er hat keine Ausrede, und so antwortet er eher leise mit „ähm Wuppertal“.

Die Frau verzieht das Gesicht, eine Mischung aus Abscheu und Mitleid, „aus dem Loch, wie kann man denn da leben, Wuppertal ist doch die DDR von NRW“. „Ähm Friedrich Engels war ja Wuppertaler, passt ja“, versucht er etwas unbeholfen zu kontern. „Engels war kein Wuppertaler, der war Barmer“ schallt es ihm auch schon entgegen. Und weiter „Wissen Sie, wofür DDR steht? Der Dumme Rest, also Leute wie Sie, die immer noch in dem Loch leben.“

Von dieser Hasstirade angestachelt, vergisst er kurzweilig seine eigenen Zweifel und setzt zu einem patriotischen Kurzfeuer an. „Wuppertal bekommt für 100 Millionen ’nen neuen Bahnhof; Wuppertal hat mit Pina Bausch eines der weltweit führenden Tanztheater; u.a Johannes Rau, Engels, Friedrich Bayer, oder auch Alice Schwarzer sind in Wuppertal geboren. Wuppertal hat die Schwebebahn, das bekannte Von der Heydt-Museum und offiziell einen der schönsten Zoos in Deutschland!“

Bravo Jungchen, die perfekte Werbung für Senioren-Magazine. Eine Großstadt erkennt man doch nicht an Gebäuden, die erkennt man an ihrer Vielfalt, ihrem Nachtleben, ihrer Szene! Ich frage dich, wann warst Du das letzte Mal in Wuppertal feiern?“ Er antwortet: „Ähm, die letzte ‚Hotspot’ in der ‚Börse’ war im Sommer 2009, also vor etwa 2 Jahren!“

Die letzte Frage hat gesessen. „Wuppertal hat aber auch ’nen CSD, sogar ’ne ganze Kulturwoche, den Wupperpride, seit letztem Jahr“, konterte er noch. „Haha ja, und in diesem Jahr pleite oder wie!?“, war die prompte Antwort. „Wenn die wüsste, dass sie da leider gar nicht so falsch liegt“, dachte er. Jeder CSD und jede Szene-Party im Tal war bisher doch immer mit Resignation der Verantwortlichen verbunden.

Doch so ganz hat er die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben und engagiert sich weiter. Kurz vor der Entscheidung, ob Wuppertal 2011 wieder ’nen CSD haben wird, oder auch dieses mal wieder die Resignation siegen wird, fällt ihm nur noch ein, seine Gedanken aufzuschreiben. In der Hoffnung, dass sich genügend Leute angesprochen fühlen, Leute, die mithelfen wollen, zu zeigen, dass Wuppertal mehr ist…

Warum sollte mich diese Story als heterosexueller Mensch interessieren? Ich bin zwar für Wuppertal, aber ob die Stadt nen CSD hat, ist mir schnuppe, werden sich wohl einige denken. Tja, das ist ökonomisch falsch gedacht. Wuppertal leidet unter einem Aderlass von gebildeten Menschen, doch was zieht diese Menschen in Richtung Köln und Co?

Köln ist so weltoffen, so modern, so vielfältig, kurzum alles, was nach Erich Kästner und damit für fast alle Abiturienten und Abiturientinnen eine Großstadt ausmacht. Aber in Köln hängt sich mit Sicherheit nicht jede zweite Kneipe aus reiner Nächstenliebe eine Regenbogenfahne an die Tür. Toleranz bringt Kohle, Köln feiert den Durchbruch der 1-Millionen-Einwohner-Marke, während Wuppertal mit rasantem Tempo schrumpft.

Köln wird zu einer Stadt der Zugezogenen, in der sich die Gebildeten treffen und diskutieren, wer wohl das härteste Los in Sachen Herkunft hatte! Mit Wuppertal als Angabe spielt man da leider immer in der Spitzenklasse.

Der Unterschied, der dabei Städte wie Köln so boomen lässt, ist also psychologischer Natur, und nichts hat das Bild von Köln seit den frühen 90ern so sehr im Positiven beeinflusst wie der CSD. Der CSD steht dabei nur stellvertretend für ein Lebensgefühl, welches seit dem Zeitalter der Aufklärung als modern und gebildet gilt.

So wer bis hier gelesen hat, hat vielleicht auch Interesse zu helfen, dass kann man hier:

Wupperpride e.V.

Konto: 42 92 90
BLZ.: 330 500 00
Sparkasse Wuppertal

www.wupperpride.de

Ein paar Anmerkungen. Der Wupperpride ist seit dem ersten CSD 2003 der dritte Versuch einen CSD auf die Dauer im Tal zu etablieren. Letztes Jahr gelang es den Organisatoren eine ganze Kulturwoche zum Thema zusätzlich zum eigenen Straßenfest vor dem Cinemaxx zu organisieren.

Obwohl der Verein gemeinnützig ist und steuerlich absetzbare Spendenquittungen schreiben darf, gelingt es in Wuppertal leider kaum, Spender zu finden. Damit steht die Frage, ob das Bergische Land wieder einen CSD haben wird, wie fast jedes Jahr in den Sternen.

PS: Die Story aus Düsseldorf soll einen Einblick in zwei Dinge geben: 1. wie nimmt man Wuppertal wahr, wenn man schwul oder lesbisch ist, und 2. wie es sich anfühlt, wenn Herkunft peinlich wird. Die Geschichte ist keine Fiktion, sondern hat sich wortgenau so zugetragen.


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