OB-Kandidaten diskutierten im Brauhaus
Am 10.08.2020, abends, bei brütender Hitze im Brauhaus: Die Lüftung blieb aus, dafür wurde die Phrasendreschmaschine angeworfen: Also „Open Data“ ist natürlich ganz wichtig und wir brauchen das unbedingt: um freie Kitaplätze im Internet nachzuschauen, Fahrradladestationen zu finden, die Fläche von Gebäuden in eine Handwerker-App zu integrieren, Ampeln korrekt zu schalten und endlich das autonome Auto auf die B7 zu kriegen. Und – ganz allgemein- für das bessere Leben. Und eigentlich sind wir schon ganz toll dabei.
Wenn ich das höre, drängt sich mir der Verdacht auf, dass unser bisheriges Leben unvollständig war und die Kommunalpolitiker nun endlich diese Lücke füllen. Klar, freie Kitaplätze sind ganz ganz wichtig. Früher hat man sein Kind persönlich angemeldet, heute brauchen wir dazu eine Applikation. Mit dem Fahrrad fahren und es einfach über Nacht im Keller aufzuladen ist out. Lieber soll die Kommune öffentliche Ladestationen bereitstellen, von öffentlichen Geldern finanziert. Kostet ja nix und ist so hip. Das mit den Handwerker-Apps ist auch so eine Sache. Erst kürzlich ist ein Wuppertaler Fliesenleger in einem Düsseldorfer Gebäude umgekommen, das einfach so zusammenstürzte. Hätte die Bauaufsicht die Baustelle kontrolliert und sich nicht im Büro mit ihrem Computer unterhalten, wäre das vielleicht nicht passiert. Blinde Technikgläubigkeit auch beim Thema autonomes Fahren. Da hat jemand noch nicht mitgekriegt, dass die Straßen schon voll sind. Aber so kann man wenigstens die Wirtschaft ankurbeln, wenn man neue Produkte auf den Weg bringt. Nachhaltiges Wirtschaften? Bei dem Thema war leider Flaute in der Runde.
Aber schauen wir in die vielen schönen Dokumente der Stadtverwaltung, die uns erklären, was Open Data noch so kann. Die Dienstanweisung des OB Mucke an alle Abteilungen beginnt z.B. etwa so: „Die Bereitstellung von Open Data steigert Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Akzeptanz des Verwaltungshandelns. Alle Daten ohne Datenschutzbeschränkung werden anlasslos und zeitnah auf einer recherchefähigen Online-Plattform veröffentlicht.“
Super. Ich schaue nach und finde: 86 Datensätze. Ich stelle eine Anfrage und warte – immer noch (seit mehr als sechs Monaten). Ich stelle in einem konkreten Fall einen Antrag auf Akteneinsicht und bekomme die Auskunft, dass an dem Fall gearbeitet wird, ich also unmöglich die Akte sehen könne. Das Informationsfreiheitsgesetz besteht in Wuppertal nur auf dem Papier, wahrscheinlich ist es unter den Aktenbergen begraben, die mit dem Rollwagen von Abteilung zu Abteilung geschoben werden.
Die Daten, die mich als Bürgerin interessieren, lieber Herr Mucke, sind z.B. folgende:
Ich möchte wissen, wofür in dieser Stadt Steuergelder ausgegeben werden. Dann kann ich abschätzen, ob ich lieber meine Koffer packe, weil der Standort kontinuierlich herunter gewirtschaftet wird. Schwebebahn, Döppersberg, Von-der-Heydt-Platz, Dörpfeld Gymnasium, historisches Zentrum, Wuppertaler Bühnen: alles wurde teurer als angenommen. Warum baut die Stadt viel teurer als private Investoren? Hört das auch einmal auf?
Ich möchte wissen, warum eine banale Spielplatzsanierung fast 700.000 Euro kostet. Und warum ich auf den Straßen immer nur dieselben Bauunternehmer im Dienste der WSW sehe.
Ich möchte wissen, warum ein historisch einmaliger Bau, die ehemalige Pädagogische Schule auf der Hardt, unbedingt abgerissen werden soll. Ich will wissen, warum bei akutem Platzmangel in den Wuppertaler Schulen ein Bestandsgebäude mit Fernwärmeanschluss und Photovoltaikanlage auf dem Dach, in dem bis vor eineinhalb Jahren noch ein Gymnasium residierte, nun Abfall sein soll. Aus der Beschlussvorlage für den Rat der Stadt kann ich das nämlich nicht ableiten, die ist nur drei Seiten lang und „schätzt“ Kosten zwischen 2,3 und 30 Mio Euro. Und sie „vermutet“ Asbest.
Aus den Open Data, die die Stadtverwaltung bereitstellt, ergibt sich aus meiner Sicht nur Folgendes: Vertuschung, Parteilichkeit und Willkür. In der Schwebebahnstadt schwebt die Bahn nicht nur nicht mehr, es gibt auch keine Transparenz. Und es sind auch nicht alle Bürger gleich. Manche wissen mehr als andere und nutzen das zu ihrem Vorteil aus. Das darf so nicht sein.
Ein Lichtblick zum Schluss: Zwei Kandidaten haben das verstanden und fordern eine echte Transparenz des Verwaltungshandelns ein, mit unterschiedlicher Vehemenz. Es lohnt sich also, den Stream von zwei Stunden Dauer anzusehen, denn selten traten die Unterschiede der Kandidaten so klar zutage. Diese zwei Stunden helfen bei der Entscheidung, wo am 13.09.2020 das Kreuz hin soll. Und daher: Vielen Dank an opendatal und Utopiastadt, die sich die Arbeit gemacht haben, uns dieses Dokument zur Verfügung zu stellen. Auf einer offenen Plattform. Recherchefähig. So soll das sein.
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Guter Einstiegsartikel! Gerne mehr davon 🙂