ASS und kein Ende – neue Runde – neue Sicht?

Eine Einordnung zu dem Berufungsverfahren der Stadt Wuppertal gegen ASS

Eine Einschätzung von Marcus Kiesel

Am vergangenen Freitag (22. März 2019) verhandelte der 12. Zivilsenat des OLG Hamm die Berufung der Stadt Wuppertal gegen das Autoleasingunternehmen ASS aus Bochum. Neben den drei Berufsrichtern waren zugegen die Anwälte der Parteien, die Stadt Wuppertal zusätzlich vertreten von Herrn Seibert aus dem Personalamt und nicht wie in erster Instanz von Herrn Radtke vom Rechtsamt. Der Autor dieser Zeilen war als freier Journalist bereits zwei mal Beobachter beim LG-Bochum, nun beim OLG leider alleiniger Vertreter der „vierten Gewalt“. Die gestrigen Berichte in Wuppertaler Rundschau und WZ ( https://www.wuppertaler-rundschau.de/lokales/ass-prozess-oberlandesgericht-stuetzt-sicht-der-stadtverwaltung_aid-37710001   & https://www.wz.de/nrw/wuppertal/wende-im-prozess-um-ass_aid-37730863 ) beruhen leider nicht auf eigenen Wahrnehmungen der Autoren. Ein Grund mehr diesen Fall der nun im 4. Jahr die Stadt Wuppertal beschäftigt und über den ein Rechtsdezernent stürzte genauer zu betrachten und das zu schildern, was in der fast zweistündigen Verhandlung tatsächlich passierte.
Zuvor jedoch, zum Verständnis der Dinge, ein Abriss der Vorgeschichte soweit aus öffentlichen Informationen, Urteil erster Instanz und Berufungsbegründung ersichtlich.
Ich beschränke mich auf den unstreitigen Sachverhalt, d.h. den Sachverhalt dem die jeweils andere Seite nicht widersprochen hat. Bei Zivilgerichten gilt der sog. Beibringungsgrundsatz, d.h. anders als z.B. bei Strafverfahren wo der sog. Amtsermittlungsgrundsatz gilt und von Amts wegen den wahren Sachverhalt ermitteln, vertrauen die Richter dem Parteivorbringen soweit die Gegenseite nicht bestreitet.
Also zur Vorgeschichte: Zwischen 2004 und Februar 2016 meldete ASS mit Sitz in Bochum unter Verstoß gegen die StVZO über 80.000 Leasingfahrzeuge nicht in Bochum sondern beim Strassenverkehrsamt in Wuppertal an. Auf den in Wuppertal zugelassenen Fahrzeugen sollte ASS laut eines bis Ende 2005 befristeten „Werbevertrages“ mit der Stadt Werbeaufkleber (30 mal 5 cm) aufbringen und pro Aufkleber 8,70 plus Umsatzsteuer erhalten. Ab 2006 setzte ohne schriftlichen Vertrag die neu gegründete WMG diese Praxis fort, d.h. ASS rechnete die Aufkleber gegenüber WMG ab, WMG zahlte an ASS und rechnete seinerseits gegenüber der Kämmerei der Stadt ab. ASS hat so über 800.000 Euro erhalten. Unstreitig sind aber seitens Stadt/WMG nur rd. 15.000 Aufkleber geliefert und seitens ASS (wenn überhaupt) wenige auf die über 80.000 zugelassenen Fahrzeuge aufgebracht worden. Die Praxis flog Anfang 2016 auf, Zulassungen und Werbevertrag wurden auf Betreiben von Rechtsamt und neuem Rechtsdezernenten gegen Widerstand beendet. Im Dezember 2016 trat die WMG Ansprüche gegen ASS an die Stadt ab. Daraus resultierend und aus möglichen eigenen Rechten klagte die Stadt (Rechtsamt/Rechtsdezernent) im Januar 2017 vor dem LG Bochum auf Rückzahlung der unverjährten Beträge aus 2013, 2014 und 2015 über rd. 240.000,-.
Das LG Bochum lehnte Zahlungsansprüche der Stadt/WMG ab. Es wertete nach Anhörung von sieben Zeugen die Geschäftsbeziehung, genau genommen den Vertrag zwischen der Stadt Wuppertal und später WMG einerseits und ASS andererseits als sittenwidriges Scheingeschäft, als Umgehungsgeschäft zur verbotenen Reduzierung des Zulassungsgebühren, weswegen Stadt und WMG keine Ansprüche herleiten können https://ris.wuppertal.de/getfile.php?id=222526&type=do Die Stadt hielt an ihren Ansprüchen fest und legte Berufung gegen das Urteil ein https://ris.wuppertal.de/getfile.php?id=227509&type=do welche nun am 22. März vor dem OLG Hamm verhandelt wurde.
Nun zum Termin in Hamm: Das OLG stellte erneut fest, dass insgesamt nur 15.000 Aufkleber gedruckt wurden. Für 11 Jahre hätte es bei durchschnittlich 8.000 Zulassungen pro Jahr aber in etwa 88.000 Aufkleber bedurft um diesen Vertragsbestandteil zu erfüllen. Nachdem seinerzeit in Bochum bereits zig varianten zu der Frage „Wer hat wann welche Aufkleber wo bestellt und an wen wurden sie geliefert?“ gab, kam durch den Beklagten-Anwalt nun eine weitere hinzu: „An die Autohäuser.“ Nun dann . . .
Das OLG vertrat nun die Auffassung, dass ab 2006 bis 2016 ein wirksamer Werbevertrag zwischen WMG und ASS bestanden haben könnte, weil am Anfang genug Werbeaufkleber an ASS geliefert worden waren um auf die bis 2006 angemeldeten Fahrzeuge aufgebracht zu werden. Das sei, so der Senatsvorsitzende Thome, Hinweis für den notwendigen Rechtsbindungswillen der Parteien bei Vertragsabschluss, so dass es sich um kein Scheingeschäft handelte, sondern um einen von einer Leistung abhängigen Werbevertrag, einen Werkvertrag nach § 631 BGB. Das Gericht geht nach dem was die Parteien vorgetragen haben im guten Glauben davon aus, dass die Auslieferung und Anbringung der Aufkleber, schlicht „vergessen“ worden sei könnte. Unter dieser Prämisse sah das OLG auch einen möglichen Verstoß gegen die StVZO durch die rechtswidrige Zulassung in Wuppertal und die mittelbare Gebührenreduzierung nicht als Hindernis für einen wirksamen Werbevertrag, denn, so das Gericht rein formal, die StVZO ist kein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB. Mögliche Verstöße betreffen nur das Innenverhältnis bei Stadt und WMG und hätten keine Auswirkung auf das Außenverhältnis zu ASS. Wenn nun ein wirksamer Werkvertrag zwischen WMG und ASS besteht, könnte WMG die Zahlungen für die letzten drei Jahre zurückverlangen, da ja ASS unstreitig keine Aufkleber aufgebracht hat, also den Vertrag nicht erfüllt hat. Das sei allerdings nur dann möglich, so der Vorsitzende, wenn WMG nach Mahnung und Fristsetzung wirksam vom Werkvertrag zurückgetreten sei oder, das blieb im vagen, noch zurücktreten könne. Diese komplizierten juristischen Ausführungen überraschten erkennbar die Anwälte der Parteien und der Vorsitzende ließ die Sitzung unterbrechen um den Parteien Zeit zum Nachdenken zu geben, auch über einen möglichen Vergleich. Nach Wiedereröffnung der Verhandlung sagte der Vorsitzende zuerst, dass das Gericht seine Frage nach einem Vergleich ausdrücklich zurücknehme. Das habe die Beratung des Senats gerade ergeben. Der Rechtsanwalt der klagenden Stadt wies auf das dem Senat allerdings bekannte Verfahren der Staatsanwaltschaft Wuppertal hin. (Seit Mai 2017 ermittelt die StA Wuppertal im Zusammenhang mit dem ASS-Geschäft gegen den Geschäftsführer der WMG und drei Mitarbeitern der Kämmerei, u.a. wegen Untreu und Betrug). Im weiteren Verlauf erörterten die Parteien ob ein Rücktritt vom nichterfüllten Werkvertrag auch durch schlüssiges Verhalten von WMG/Stadt erfolgt sein könnte. Erwähnt wurde hier die Weigerung die letzte Rechnung aus März 2016 an ASS zu bezahlen oder die Klageandrohung und spätere Klagerhebung. Der Beklagtenanwalt erhob vorsorglich den Einwand der Verjährung. Wenn ein Rücktrittsrecht bestanden haben sollte oder besteht, sei dessen Ausübung durch WMG/Stadt verjährt. Der Vorsitzende beendete die Sitzung und gewährte den Parteien Schriftsatzfrist, d.h. Gelegenheit zu den behandelten Fragen vorzutragen.
Ich bin gespannt was nun kommt. Der nächste Termin in Hamm ist am 24. Mai 2019, ich werde wieder dabei sein, ich hoffe nicht wieder als einziger Journalist. Ich bin gespannt wie argumentiert wird, insbesondere wie die WMG dem Gericht plausibel darlegt, warum seit vielen Jahren keine Aufkleber mehr geliefert wurden und trotzdem die Rechnungen anstandslos und ungeprüft bezahlt und der Stadt weiterbelastet wurden. Sollte der Rücktritt von WMG/Stadt trotzdem wirksam erfolgt sein, gewinnt die Stadt die Berufung und erhält wenigstens einen Teil des Schadens zurück, zuzüglich der Zinsen. Die erheblichen Kosten der zwei Instanzen hätte die ASS zu tragen. Ist der Rücktritt nicht erfolgt, bleibt es bei dem Ergebnis des LG Bochum. Kein Geld zurück, aber möglicherweise mit einer anderen Begründung.

Wie auch immer. Bereits jetzt stellt sich die Frage, welche mich schon lange antreibt:
Wie ist es möglich von 2006 bis Februar 2016, jährlich rd. 80.000 € zu bezahlen und gegenüber der Stadt abzurechnen und dabei zu „vergessen“ die Gegenleistung, also die Werbeaufkleber zu produzieren, zu liefern und deren Anbringung zumindest in Stichproben zu überprüfen
Die Stadt sieht sich lt. der gestrigen Artikel in der Wuppertaler Rundschau und WZ in Ihrer Auffassung bestätigt. In welcher Auffassung eigentlich? War es nicht diese Stadt Wuppertal, welche die noch von Paschalis eingereichte Klage seinerzeit zurückziehen wollte, ja, sogar das ganze Bekanntwerden der „Sache ASS“ verhindern wollte?
Wie erklärt sich, dass offensichtlich das Rechtsamt, welches sachkundig und in die Sache eingearbeitet war nun nicht mehr zuständig ist, sondern das Personalamt, was die Anwesenheit von Herrn Seibert erklärte? Nun muss man wissen, dass das Personalamt dem Stadtdirektor und Kämmerer Dr. Slawig untersteht, demjenigen, welcher noch 2010 trotz geäußerter Bedenken den Deal als „juristisch ok und wirtschaftlich sinnvoll“ einstufte.
„Scheingeschäft und Sittenwirdrigkeit“ sind juristische Bewertungen, keine moralischen. Insofern stellt sich mir die Frage, wieso Herr Dr. Slawig dieses Geschäft 2010 so einstufte und nunmehr versucht Schaden abzuwenden, den er doch viel früher hätte abwenden können, so er sein Amt richtig verstehen und Schaden vom Volke Wuppertals abwenden wollte.
Daher meine Frage nach der politischen Verantwortung.
Juristisch, da bin ich sicher, wird das Ding durchgekaut sein. Nicht umsonst lässt die Stadt sich bereits vor der Urteilsverkündung feiern (Wird es eigentlich zur Angewohnheit, juristisch unausgesprochene Urteile von vornherein zu ignorieren?)
Strafrecht ist bei diesem Verfahren übrigens völlig irrelevant. Das OLG urteilt auf Basis der eingebrachten Schriftsätze. A sagt etwas und wenn B nicht widerspricht, dann ist es so. Ob es also strafrechtliche Relevanz hat, ermittelt die Staatsanwaltschaft Wuppertal. Und es scheint Hinweise zu geben, dass diese beabsichtigt, die Ermittlungsverfahren einzustellen.
Was bleibt?
Eine Stadt, die sich bestätigt fühlt, weil sie für die Jahre 2013, 2014 und 2015 ggf. 240.000,– € zurückbekommen könnte.
Eine Stadt, die wenn der Kämmerer keine Fehleinschätzung im Jahr 2010 vorgenommen hätte, ca. 500.000,– € hätte sparen können.
Eine Stadt, welche wenn man sich auf den bis 2005 begrenzten Vertrag gehalten hätte, etwas mehr als 800.000,– € hätte sparen können.
Peanuts? Mitnichten!


Und ja, für mich zählt nicht, was an juristischen Spitzfindigkeiten zu welchem Ergebnis in einem Zivilverfahren zu Tage kommt, welches sogar sichtbar die anwesenden Anwälte überforderte.
Für mich stellt sich die Frage: Wer übernimmt die politische Verantwortung für den der Stadt Wuppertal und seinen Bürger*innen entstandenen Schaden?

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Kommentare

  1. chr[] sagt:

    Vielen Dank für diesen Bericht.

    Dran bleiben!

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