Bürgerpflicht sich Neonazis entgegen zu stellen

Bundestags- und Landtagsabgeordnete der SPD wenden sich an Innenminister Reul

In einem gemeinsamen Schreiben haben sich heute der Bundestagsabgeordnete Helge Lindh sowie die Landtagsabgeordneten Dietmar Bell, Andreas Bialas und Josef Neumann an NRW-Innenminister Herbert Reul gewandt.

Der Brief steht im Zusammenhang mit den Vorfällen rund um die Demonstration von Rechtsradikalen am 19.06.2018 in Wuppertal. Die Abgeordneten kritisieren einen Bericht des Ministers, den er in der Sitzung des Innenausschusses am 5.07, der sich mit den Geschehnissen befasste, vorgetragen hat, und in dem den Abgeordneten vorgeworfen wird, gegen das Versammlungsgesetz verstoßen zu haben. Die Abgeordneten werten dies als Versuch, sie zu diskreditieren, um ihre Kritik am Vorgehen der Wuppertaler Polizei gegen Thomas Lenz zu relativieren.

Hier das Schreiben an Minister Reul im Wortlaut:

Berlin und Düsseldorf, den 09.07.2018

Ihr Bericht 17/945 vom 29.06.2018

 

Sehr geehrter Herr Minister,

in Ihrem Bericht 17/945 vom 29.06.2018, der sich mit den Vorgängen rund um die Demonstration von Rechtsradikalen am 19.06.2018 in Wuppertal befasst, findet sich u.a. folgende bemerkenswerte Passage:

„Bis 12:45 Uhr hatten sich darüber hinaus bis zu 450 Teilnehmer des bürgerlichen bzw. linken Spektrums am Berliner Platz (Ausgangspunkt Versammlung rechts) gesammelt. Diese Personenansammlung wurde zuvor beim PP Wuppertal als zuständiger Versammlungsbehörde nicht als Versammlung angemeldet. Die Personengruppe wurde als Versammlung eingestuft. Auf polizeiliche Ansprache gab sich ein Versammlungsleiter zu erkennen. In dieser Gruppe befanden sich auch die MdL Andreas Bialas, Dietmar Bell, Josef Neumann sowie der MdB Helge Lindh (alle SPD). Die Versammlung wurde gegen 14:30 Uhr beendet. Ein Strafverfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz (Nichtanmeldung) wurde durch das PP Wuppertal eingeleitet und zur rechtlichen Prüfung an die Staatsanwaltschaft Wuppertal übersandt.“

Hierzu möchten wir folgendes feststellen:

1. Die besondere Heraushebung unserer Funktionen, Namen und Parteizugehörigkeit in unmittelbaren Zusammenhang mit der Mitteilung, dass das PP Wuppertal ein Strafverfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz eingeleitet hat, dient offensichtlich einzig dem Zweck, uns zu diskreditieren und unsere Kritik am Vorgehen der Wuppertaler Polizeibehörde im Zusammenhang mit der Inobhutnahme von Herrn Lenz in ein Bild mit möglichen eigenen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz zu stellen.

2. Wir empfinden es als unsere Bürgerpflicht, sich Neonazis wie Sigfried Borchardt u.a., die prominent im Verfassungsschutzbericht benannt sind, entgegen zu stellen. Dies haben wir am 19.06.2018 mit 450 anderen Wuppertalerinnen und Wuppertalern getan. Dies geschieht in Wuppertal in einer breit aufgestellten zivilgesellschaftlichen Tradition, der sich u.a. der ehemalige Oberbürgermeister Peter Jung und der jetzige Oberbürgermeister Andreas Mucke immer verpflichtet gefühlt haben. Darauf sind wir stolz.

3. Die Sachverhaltsschilderung ist bewusst falsch formuliert. Sie schreiben: „Auf polizeiliche Ansprache gab sich ein Versammlungsleiter zu erkennen.“ In Wahrheit erfolgte durch die eingesetzte Polizei die Aufforderung an die von ihr als Versammlung eingestufte Demonstration, es möge sich ein Teilnehmer als Versammlungsleiter melden. Dieser Aufforderung kam dann der ver.di Geschäftsführer aus Köln, Daniel Kolle, in seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender der Wuppertaler Initiative für Demokratie und Toleranz auf Bitten vieler Anwesender nach. Mit dieser Initiative hat das Innenministerium und die Landeszentrale für politische Bildung in den letzten Jahren viele Projekte gegen Extremismus durchgeführt.

4. Der Vollständigkeit halber hätten Sie auch erwähnen können, dass die ehemalige stellvertretende Landtagspräsidentin Gunhild Böth, die Mitglied des Polizeibeirates Wuppertal ist, eine Gefährderansprache auf dem Berliner Platz erhielt. Übrigens aus unserer Sicht ein bemerkenswerter Vorgang.

5. Der rechtlichen Bewertung durch die Staatsanwaltschaft sehen wir gelassen entgegen. Für die veränderte Wahrnehmung polizeilichen Handelns bei Demonstranten, die sich der Verteidigung der Demokratie verpflichtet fühlen und sich Rechtsradikalen friedlich entgegen stellen, tragen aber Sie und das PP Wuppertal die Verantwortung. Es war die erste Lage dieser Art in unserer Stadt, nach Amtsantritt von Ihnen und nach Amtsantritt des neuen Polizeipräsidenten. Über Jahrzehnte gab es ein gemeinsames Grundverständnis der politisch Verantwortlichen in unserer Stadt, das auch bei politischen Demonstrationen von Extremisten trug. Dies war und ist ein hohes Gut, das wir Sie bitten, nicht gering zu schätzen.

Sie selbst als Teil der Landesregierung haben sich noch vor wenigen Wochen in der Drucksache 17/2258 wie folgt geäußert:
„Aus Sicht der Landesregierung und mit Blick auf das Grundgesetz, die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen sowie auf bestehende Gesetze ist nicht nachvollziebar, warum die Ablehnung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit oder Intoleranz sowie die Befürwortung von Toleranz, Weltoffenheit oder Vielfalt als „politisch linke Ideologeme“ bezeichnet werden. Sie gehören vielmehr zum Grundkonsens demokratischen Handelns.“
Dem haben wir nichts hinzuzufügen.

Mit freundlichem Gruß

Dietmar Bell, Andreas Bialas, Helge Lindh, Josef Neumann

 

 

 

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