Corona und die Politik für Kleinunternehmen
Der Konjunktureinbruch ist massiver als die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008, die wir einem völlig deregulierten Bankensektor zu verdanken haben. Weil die Erholung danach zwar nicht wirklich kräftig aber sehr langanhaltend verlief, ist das fast vergessen worden. Der Konjunktureinbruch wurde durch die Schutzmaßnahmen zweifellos verstärkt, auch wenn sie notwendig waren, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Die Bundes- und Landesregierung bediente sich in im keynesianischen Werkzeugkasten, um den Einbruch abzufangen (Steuerstundungen, Staatsbeteiligungen, Zuschüsse, Kurzarbeitergeld, Aussetzen der Schuldenbremse).
Für ein solches Konjunkturprogramm müssen wir uns verabschieden von den Mythen der „soliden Fiskalpolitik“ der schwäbischen Hausfrau. Der Staat kann sich nahezu unbegrenzt verschulden – im Gegensatz zum Kleinunternehmen oder Privathaushalt. Seine Schulden verschwinden zum Teil über die langen Jahre mit den Realpreissteigerungen. Und zum anderen ist dieses Land ein Paradies für Einkommens- und Vermögens-Millionäre, deren Lebensstandard in keiner Weise beeinträchtigt wird, wenn sie eine Sonderabgabe in den Lastenausgleich einzahlen. Das Argument, es sei kein Geld da, hat endgültig ausgedient.
Das FDP-geführte Landeswirtschaftsministerium bot eine Soforthilfe an, was gut ist. Es ist allerdings nicht nachvollziehbar, welches organisatorische Chaos, welche Ungereimtheiten und Schlampigkeiten dabei zu Tage traten. Dass nun nach der Auszahlung der Soforthilfe erst reguliert wird, was die Kleinstunternehmer davon hätte bezahlen dürfen, ist unlauter. Die jetzt anlaufende Überbrückungshilfe, die nur von SteuerberaterInnen im Namen des Klienten beantragt werden darf, ist ein Bürokratiemonster.
Es wäre hilfreich, sowohl bei der Rückforderung der Soforthilfe als auch bei der Überbrückungshilfe zwischen den ‚Kleinen‘ und großen Ketten / Konzernen zu unterscheiden. Die strategische Bedeutung großer Wirtschaftsunternehmen in einer global vernetzten Ökonomie will niemand ernsthaft in Zweifel ziehen. Aber es ist in anderen Ländern in den Konjunkturprogrammen nicht vorgesehen, dass Unternehmen wie BMW, die gerade dabei sind Dividenden in Millionenhöhe auszuschütten, Staatshilfen abgreifen können, ohne dass die Anteilseigner zu einem Beitrag herangezogen werden. Das muss die Bundesregierung durch einen Lastenausgleich ändern. Für den Einzelhandel, den event- und Kulturbetrieb, Gastronomie sind die Folgen des lockdown aus drei Gründen sehr problematisch.
Einerseits werden in dieser Krise bestimmte Tendenzen massiv verstärkt (online-Handel, Privatisierung des Getränke- und Nahrungs-Konsums, Streaming, Kartenzahlung) Das sind volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Innovations-Tendenzen, die die lokalen Anbieter allerdings schon vorher schädigten. Das wird der Markt auch nach dem Konjunktureinbruch weiter regulieren.
Die Kurzarbeit von fast einem Drittel der abhängig Beschäftigten setzt die zahlungsfähige Nachfrage drastisch herab. Die Arbeitslosenzahlen steigen (bei der Jugend um mehr als 35% im Jahresvergleich). Diese Nachfrageausfälle zeigen: Selbständige sind eben nicht nur selbstständig sondern wirtschaften als Teil der Gesellschaft. Wenn in der gewerblichen Wirtschaft weniger Geld verdient wird, kann es weniger für Dienstleistungen ausgegeben werden.
Und noch in einem dritten Punkt wurde offenbar, dass Selbständige, Kleinstunternehmer, Künstler usw. ihren gesellschaftlichen Wert nicht selbst bestimmen: Entfällt ihr Geschäft als Existenzgrundlage, gelten sie dieser Gesellschaft als berechtigt, das sozio-kulturelle Existenzminimum zu beanspruchen, also Hartz IV (offiziell SGB II). Weil es aber dieses sogenannte Existenzminimum gibt, steht die offizielle Politik auf dem Standpunkt, es sei ja für alle gesorgt: Der entlassene Mitarbeiter geht zum Jobcenter und wird vermittelt (wohin bei steigenden Arbeitslosenzahlen?); der Selbständige geht nach drei Monaten staatlichem „Unternehmerlohn“ zum selben Jobcenter für seinen Lebensunterhalt. Wenn die Soforthilfe ausgeschöpft ist, schließt er sein Geschäft endgültig ab. Ihre bisher erbrachte Lebensleistung wird im Jobcenter wie bei jedem Arbeitnehmer seit der Schröder/Fischer-Agenda 2005 entwertet, bürokratisch kleingearbeitet und sozial missachtet. Das ist parlamentarisch abgesegnet und noch gesellschaftliche Mehrheitsmeinung: Wer keine Leistung erbringt, hat nichts Besseres verdient?
Es ist eine Konjunkturkrise. Wenn z. B. ein Drittel der Dehoga-Betriebe in Wuppertal den Nachfrageausfall nicht überstehen werden, sind die Folgen für die Verödung unserer Innenstadt bemerkenswert. Sind leerstehende Ladenlokale, Kneipen, Büros attraktiv für das Stadtbild? Die lokalen Möglichkeiten der Stadt für direkte Hilfen sind begrenzt: Steuerstundungen, Gebührenverzicht für die Außengastronomie (von der auch Ketten profitieren, die kaum Steuern bezahlt haben), Ausweitung der Bewirtungsbereiche, direkte Zuschüsse im Kulturbereich. Da hat die LINKE im Rat zugestimmt. Aber was machen eigentlich die vermietenden Unternehmen, die an nicht mehr vorhandenen Umsätzen partizipieren wollen?
Daher gilt es Druck zu machen: Auf die Landesregierung, ihre Stützungsprogramme für die kleinen Selbständigen aufzustocken und zu verlängern. Zweitens sollte die Landesregierung vor allem bei fortdauernder Krise auf ihre bürokratischen Repressalien und die Rückzahlungen zu verzichten.
Auch wenn es zu keiner neuen Zuspitzung der Gesundheitsgefahr kommt, ist nicht gesagt, ob ein Aufschwung kommt, der schnell die Schäden kompensiert („V“) oder ob die Volkswirtschaft nur in einem sehr flachen Winkel spät wieder zu Kräften kommt („L“). Einige Themen des Strukturwandels sind wie gesagt auch nicht corona-bedingt. Die Landesregierung muss also drittens Pläne vorlegen für Gastronomen, KünstlerInnen, die Event- und Veranstaltungsbranche, wie diese Sektoren überleben sollen. Dieser Plan muss einschließen, dass diese Menschen nicht in die Hartz IV – Maschinerie kommen und ihnen alles genommen wird. Die Bedeutung dieser Branchen ist heute fast mit der Kohle- und Stahlindustrie in den siebziger Jahren zu vergleichen.
Quelle: OB-Kandidat Bernhard Sander (Linke)
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