15.04.2024Gedenkbuch Wuppertal
Der Marsch der 3.000 – Von Roermond ins Wuppertaler Lager Giebel
Durchgangslager Giebel
(aus Vergessene Orte. Eine Trassentour auf den Spuren der NS-Zeit in Wuppertal (2. Auflage)
Ab 1940 wurden die Baracken am Giebel als (städtisches) Kriegsgefangenlager für 1.200 Personen genutzt und mit französischen und sowjetischen Kriegsgefangenen belegt. Anfang 1942 wurde es auf Wunsch des Arbeitsamtes geräumt, „weil es mit Russen belegt werden“ sollte. Im Frühjahr 1942 ordnete das zuständige Landesarbeitsamt Köln die Nutzung als regionales Durchgangslager an. Der Giebel wurde dadurch eines von 50 reichsweiten Durchgangslagern, über die ZwangsarbeiterInnen und politische Gefangene in die jeweiligen Gaue verteilt wurden.
Die ArbeiterInnen mussten sich einer „Desinfektion“ und (ärztlichen) Begutachtung unterziehen und wurden auch zur Enttrümmerung bombardierter Stadtteile eingesetzt. Oft wurden sie nach einigen Tagen wie auf einem Sklavenmarkt an örtliche Unternehmer und Bauern „verkauft“ oder in die Städte des Arbeitsamtsbezirks Düsseldorf, aber auch bis nach Köln und Bonn „verteilt“. Ein Großteil der Niederländer, die erst Ende 1944 bei den großen Razzien in Rotterdam, Limburg und Roermond ergriffen und nach Wuppertal deportiert wurden, kamen zum „Arbeitseinsatz“ weit weg von der niederländischen Grenze im Raum Salzgitter und Lehrte zum Einsatz. Das sollte wohl Fluchten erschweren.
Wie die Berichte von ehemaligen ZwangsarbeiterInnen belegen, waren die Lebensverhältnisse am Giebel menschenverachtend. Verantwortlich für die Lagerführung war das Gauarbeitsamt in Düsseldorf und das Arbeitsamt in Wuppertal. Die Bewachung wurde von der Wachschutz-Firma Hagen übernommen. In dem als Durchgangslager gedachten Lager starben mindestens 109 Menschen, 40 davon waren Kinder. Bereits bei der Ankunft wurden die Deportierten drangsaliert, mit Hunden bedroht und z.T. geschlagen. Aber nicht nur deutsche Wachleute und ausländische Hilfskräfte terrorisierten die ZwangsarbeiterInnen. Auch der Lagerführer vergriff sich an Zwangsarbeiterinnen und vergewaltigte mehrere russische Frauen.
Er wurde im Januar 1943 von der Gestapo festgenommen und musste drei Monate ins KZ Sachsenhausen. Die betroffenen Frauen wurden „aus dem Lager entfernt“ und fanden „im Polizeipräsidium Wuppertal als Reinigungskräfte Verwendung,“ heißt es in der Gestapoakte lapidar.
„Als wir in Deutschland ankamen, wurden wir im Lager Giebel in Wuppertal untergebracht. Zuerst wurden in das Lager so viele Ostarbeiter getrieben, dass es keinen Platz mehr zum Liegen gab,“ berichtet Evgenija Ivanovna M.
ZwangsarbeiterInnen berichten „Wir konnten nur sitzen, einer neben dem anderen, dann wurden wir in Baracken untergebracht, die aus Holz waren, wir schliefen zu zwei Personen auf blanken Pritschen in drei Stöcken, der Raum wurde nicht geheizt, und wir wuschen uns in einem Bach, (…) an den Füßen trugen wir Holzschuhe und unsere Kleidung hatte auf der Schulter oder am Ärmel die Aufschrift ‚OST‘“.
„Das Lager war dreireihig mit Stacheldraht umzäunt, durch den Strom floss, da standen Polizisten, die uns ständig schlugen, aber unter uns Ostarbeitern waren Mutige, die aus dem Lager flohen. Aber sie wurden alle gefangen und in ein Konzentrationslager gesteckt. Wir haben nichts mehr von ihnen gehört und sie bis heute nicht wiedergesehen. Als wir im Lager Giebel waren,arbeiteten wir bei der Trümmerräumung in Wuppertal, Elberfeld, Vohwinkel, Remscheid, Barmen, Oberbarmen usw. Nach Bombardierungen räumten wir Ruinen, reparierten Straßen und Straßenbahnen. Während der Bombardierungen wurden wir nicht in den Bunker gelassen, die Bewohner selbst schlugen uns, trieben uns hinaus und brüllten uns an ‚Jude‘“. (E. Ivanovna M.,)
„Unter Bewachung wurden wir nach Deutschland gebracht, nach Wuppertal, da war ein großes Verteilungslager, sehr große Baracken, Pritschen in vier Etagen, Essen bekamen wir einmal täglich. Zu diesem großen Lager kamen Fabrikanten und Bauern. Die Bauern hatten die Auswahl wie beim Vieh auf dem Markt. Und den Fabrikanten wurden sie in Reihen aufgestellt und abgezählt, wie viele Personen der Fabrikant forderte.“ (Marija F. Dozenko)
„Das war wirklich ein Drecksloch, und nach ein paar Tagen waren wir völlig verlaust“, so der ehemalige Zwangsarbeiter Wiel Tulmans in seinem Tagebuch. Der Niederländer Tulmans wurde als 14 jähriger, zusammen mit etwa 3.000 Leidensgenossen, von der Wehrmacht bei so genannten Kirchenrazzien im Oktober 1944 in Limburg gekidnappt und nach Wuppertal deportiert.
„Quälend langsam krochen die Stunden dahin. Als die Türen endlich aufgeschlossen wurden, war der Morgen schon ein gehöriges Stück vorgerückt. Doch das Gefühl von Erleichterung hielt noch keine Minute an.“
Lagerregime
„Lagerleben und Tagesroutine ließen solche Empfindungen nicht zu. Unter wüstem Gebrüll und Geschimpfe der Bewacher – überwiegend ukrainische Freiwillige – mussten alle antreten. Dem Drecksvolk war offensichtlich alles daran gelegen, bei den deutschen Vorgesetzten einen Stein im Brett zu haben. Grauenhafte Szenen spielten sich ab. Feixend sahen sie zu, wie ein Hund einen polnischen oder russischen Gefangenen fürchterlich zurichtete.
Den beiden limburgischen Gruppen (…) hielt der ‚Lagerführer‘ eine kurze Rede. Er stellte ihnen eine Behandlung als freie Niederländer in Aussicht, mit Rechten und Verpflegung wie die Deutschen. Wer inzwischen den Wert solcher Zusagen aus dem Mund von Nazis schätzen gelernt hatte, wusste, dass dieser Schurke das Gegenteil meinte.“
Waschgelegenheiten kannte das Lager nicht, wohl eine Latrine: „Solch eine Schweinerei habe ich nie gesehen, und einen derartigen Gestank habe ich noch nie im Leben gerochen. Wenn du reinkamst, fielst du so was von um von der Luft, die da hing. Die fürchterliche Latrine bestand aus einer langen Rinne, ungefähr anderthalb Meter breit und einen halben Meter tief. Darin lag der Kot von mindestens zwei Jahren. Jeder Tritt, den du machtest, war in Kot und Urin. Über zwei Meter Länge waren Pfähle in den Boden geschlagen und in Höhe von einem halben Meter war ein runder Balken draufgeschlagen, zu schmutzig, um darauf zu stehen, geschweige denn zu sitzen. Auf jeder Seite war Platz für zehn Mann. Auf Kommando mussten wir die Hosen herunterlassen für die eventuelle Notdurft. Bei den meisten ging es von selbst wegen der Angst.“ (Cammaert: Sporen)
Von Roermond ins Durchgangslager Giebel
Es ist nur wenig bekannt, dass die Wehrmacht Ende 1944 Zehntausende von Niederländern kidnappte und vorzugsweise über das Durchgangslager am Giebel in Wuppertal-Elberfeld nach Deutschland zur Zwangsarbeit verschleppte.
In Roermond hatten Fallschirmjäger vor Weihnachten 1944 zunächst erfolglos die männliche Bevölkerung mit Plakaten aufgerufen, sich für die Zwangsarbeit registrieren zu lassen. Viele versteckten sich daraufhin bei Verwandten oder tauchten unter. Als ein Versteck von 13 Untergetauchten an die Deutschen verraten wurde, statuierte die Wehrmacht ein Exempel zu Weihnachten. Ein Standgericht verurteilte die Männer zum Tode und ließ sie an den folgenden Tagen exekutieren. Gleichzeitig wurden unter der Androhung der Todesstrafe alle Roermonder zwischen 16 und 60 Jahren aufgerufen, sich am 30.12.1944 vor der Ortskommandantur zu sammeln.
Als „Marsch der 3.000“ („De tocht van de 3.000“) ist die Nacht zum 31.12.1944 in die Erinnerung der Roermonder Bevölkerung eingegangen. Etwa 3.000 Jungen und Männer wurden gezwungen, in dieser Nacht unter Bewachung nach Dülken zu marschieren. Als künftige Zwangsarbeiter mussten sie in der unüberdachten Radrennbahn bei Bodenfrost und Schnee ausharren, bis sie am nächsten Tag mit dem Zug ins Lager am Giebel nach Wuppertal gebracht wurden.
Die Lebensverhältnisse am Giebel waren menschenverachtend, wie zahlreiche Berichte von ehemaligen Zwangsarbeiter:nnen belegen. In dem als Durchgangslager gedachten Lager starben mindestens 109 Menschen, davon waren allein 40 Kinder. Bereits bei der Ankunft wurden die Deportierten drangsaliert, mit Hunden bedroht und z.T. geschlagen.
Dann gerieten die verschleppten Niederländer am 31.12.1944 in den Vohwinkeler Bombenangriff. Sie wurden direkt am folgenden Tag zu Aufräumarbeiten am Rangierbahnhof eingesetzt und sie erlebten sogleich die Erschießung eines polnischen Zwangsarbeiters, der sich Nahrung aus einem Trümmergrundstück „angeeignet“ hatte. Nach nur wenigen Tagen am Giebel wurden die Roermonder schließlich in andere Städte zur Zwangsarbeit verteilt. Die meisten hatten nur ein Ziel: So schnell wie möglich stiften zu gehen und einen oft gefährlichen Weg zurück in die nahe Heimat zu finden.
In der Regel wurden die Arbeiter:innen am Giebel nach einigen Tagen wie auf einem Sklavenmarkt an örtliche Unternehmer, Geschäftsleute und Bauern „verkauft“ oder in andere Städte des Gauarbeitsamtsbezirks Düsseldorf, aber auch bis nach Köln und Bonn „verteilt“. Ein Großteil der Niederländer, die erst Ende 1944 von der Wehrmacht bei den großen Razzien in Rotterdam, Limburg und Roermond ergriffen und nach Wuppertal deportiert worden waren, kamen zum „Arbeitseinsatz“ weit weg von der niederländischen Grenze im Raum Salzgitter und Lehrte zum Einsatz, wohl um Fluchten zu erschweren.
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