21.01.2011Bergische Blaetter
Editorial Bergische Blätter 02.2011
Beim Thema „Aufstocker“ spalten sich die Geister: Die einen sprechen von Skandal, die anderen von Chance. Ein Skandal sei es deshalb, weil hier zum Teil Vollzeitstellen mit so geringen Löhnen bezahlt würden, dass keine Familie davon leben kann. Für den Arbeitgeber tritt dann die Solidargemeinschaft mit ihren Steuern ein, damit Miete und Essen bezahlt werden können, sagt Wuppertals Sozialdezernent Stefan Kühn.
Aber das Thema biete auch eine Chance für Menschen, die lange arbeitslos waren und nun den Weg in den ersten Arbeitsmarkt geschafft haben. Langfristig mithilfe von Qualifikationen oder Weiterbildungen die zusätzliche Leistung einmal nicht mehr zu benötigen, gelinge dann deutlich besser, als zum Beispiel bei einem Ein-Euro-Job, erklärt Wuppertals Arbeitsagentur-Chef Martin Klebe.
Daneben gibt es noch die dritte Variante, bei der die Arbeitnehmer nicht in Vollzeit arbeiten, weil sie zum Beispiel alleinerziehend sind, der Lohn einer Teilzeitstelle aber ebenfalls unter dem Existenzminimum liegt, was dann wiederum vom Staat ausgeglichen wird.
Im Kern sind sich Klebe und Kühn einig, nämlich dass eine Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt besser ist, als alleine von der Grundsicherung zu leben – wenn man dann im Zweifel auch mehr Geld zur Verfügung hätte.
Gemeinsam kämpfen Arbeitsagentur und Jobcenter (ehemals Arge) deshalb darum, rechtliche Wege gegen Vollzeitstellen mit einem Lohn unterhalb des Existenzminimums zu finden. Und in der Tat gibt es sittenwidrige Löhne, wenn sie 30 Prozent unterhalb der ortsüblichen Tariflöhne liegen. Das wissen zum Beispiel auch Textildiscounter, die ihre T-Shirts für weniger als drei Euro verkaufen – und loten ihrerseits die Löhne genau aus.
Liegen die Tarife bei rund sieben Euro pro Stunde, können 70 Prozent davon schon recht niedrig ausfallen. Mit 4,90 Euro und einer 35-Stunden-Wochen liegt man mit 686 Euro dann schon unter dem Existenzminimum von 700 Euro, das in etwa einem Ein-Personen-Haushalt laut Sozialgesetzbuch II zugestanden wird. Und der nicht arbeitende Hartz-IV-Empfänger hätte dann noch sogenannte geldwerte Vorteile, zum Beispiel muss er keine Rundfunkgebühr zahlen. Da stellt sich dann doch die Frage nach dem Wert von Arbeit – und die Anschlussfrage, ob man nicht vielleicht doch über einen Mindestlohn oder andere Regelungen nachdenken sollte.
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