22.06.2016Gedenkbuch Wuppertal
Für eine „Martin Gauger – Brücke“ am Wuppertaler Landgericht
„Ich kann mich an einem Krieg nicht beteiligen, der
alles zerstört, was mir teuer ist!“ (Martin Gauger)
Am 15. Juli 1941, heute vor fast 75 Jahren, wurde der Wuppertaler Jurist und Kriegsdienstverweigerer Martin Gauger in der Euthanasieanstalt Pirna vergast.
„Martin Gauger war der einzige Jurist in Deutschland, der nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten den Treueid auf Adolf Hitler (1889-1945) verweigerte. Der überzeugte Pazifist unternahm nach Erhalt seines Musterungsbescheids 1940 einen Suizidversuch und floh danach in die Niederlande. Bei einem Rückkehrversuch wurde er verhaftet und nach 1941 in das KZ Buchenwald überstellt. Von dort wurde er mit einem „Invalidentransport“ in die NS-Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein gebracht und vergast.“
(Klaus Schmidt: Martin Gauger (1905-1941), Jurist, Kriegsdienstverweigerer, NS-Opfer)
Wir möchten an diesen mutigen Menschen erinnern und regen daher an, die die (bisher namenlose) Wupper-Brücke am Landgericht nach Martin Gauger zu benennen. Die Brücke führt vom Hofkamp Richtung Hartmannufer.
Wir bitten um breite Unterstützung für die Umbenennung und um eine zeitnahe Umsetzung.
Bereits für den 15. Juli 2016 veranstalten wir um 15:00 Uhr eine kleine Gedenkfeier an dem Grab von Martin Gauger auf dem Alten Lutherischen Friedhof an der Hochstraße.
Andreas Mucke, Oberbürgermeister
Prof. Heinz Sünker
Dieter Nelles
Jochen Denker, Pfarrer
Verein zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal e.V.
Zur Biographie:
Martin Gauger, geboren am 4.8.1905 in Elberfeld, wuchs in einer pietistisch geprägten Pfarrer-Familie auf, die zunächst deutsch-national orientiert war. Sein Vater, Pfarrer Joseph Gauger, war Direktor der Schriftenmission der Evangelischen Gesellschaft in Deutschland und gab u.a. die Zeitschrift „Licht und Schatten“ heraus.
Von 1924 bis 1930 studierte Martin Gauger Wirtschafts- und Rechtswissenschaft. Nach dem Referendariat wurde er im Januar 1934 Assessor der Staatsanwaltschaft am Landgericht in Wuppertal und Mönchengladbach.
Nach dem Tod Hindenburgs und der bevorstehenden Zusammenlegung der Ämter von Reichspräsident und Reichskanzler warnte Martin Gaugers Vater in seiner Zeitschrift davor und plädierte für die Erhaltung getrennter Ämter. Durch Postkontrolle fing die Gestapo das Manuskript ab, verhaftete Joseph Gauger am 14. August 1934 und verbot die Zeitschrift befristet.
Das Vorgehen der Gestapo gegen den Vater war nach Ansicht von Historikern für Martin Gauger der letzte Anlass, den für alle Beamten gesetzlich vorgeschriebenen Treueid auf Hitler am 20. August 1934 zu verweigern. Am 25. August 1934 teilte er dem Landgerichtspräsidenten in Wuppertal mit, dass er aus Gewissensgründen sich nicht in der Lage gesehen habe, den Eid zu leisten. Er bat um seine Entlassung aus dem preußischen Justizdienst, die am 7. September 1934 erfolgte.
Martin Gauger musste sich neu orientieren. Nach vielen gescheiterten Bewerbungen konnte er zunächst mit dem innerkirchlich brisanten Thema „Bekenntnis und Kirchenregiment in ihrer Beziehung zueinander“ promovieren. Nur wenige Monate später beschlagnahmte eine Prüfungskommission die Dissertation als „schädliches und unerwünschtes Schrifttum“. Trotzdem konnte Gauger eine Stelle bei der Ersten Vorläufigen Kirchenleitung der Deutschen Evangelischen Kirche antreten. Ab Juni 1935 leitete er die Rechtsabteilung weitgehend selbstständig. Nach der Spaltung der Bekennenden Kirche wurde Gauger Justiziar beim Lutherrat.
Nachdem 1938 auch der Lutherrat von NS-Funktionären als illegal bezeichnet worden war, begann für Gauger eine neue Phase. Er lehnte Kompromisse, die er bisher aus Loyalität gegenüber den lutherischen Bischöfen mitgetragen hatte, ab und suchte vielfältige Beziehungen zum Widerstand. Gauger lernte z.B. den sozialdemokratischen Juristen und Widerstandskämpfer Ernst Fraenkel kennen. Mit ihm diskutierte er intensiv straf- und verfassungsrechtliche Fragen, etwa die Strafverteidigung politisch Verfolgter, vor allem aber den NS-Staat als Doppelstaat, der die Norm des Gesetzes durch Willkürmaßnahmen der Gestapo unterlaufe. Gauger soll Fraenkel auch geholfen haben, an falsche Papiere zu gelangen.
Durch den Berliner Gefängnispfarrer Harald Poelchau, einen Freund der Familie Gauger, hatte er inzwischen Hermann Stöhr (1898-1940), den Stettiner evangelischen Kriegsdienstverweigerer kennengelernt. Als sein eigener Entschluss, den Kriegsdienst zu verweigern, im Lutherrat bekannt wurde, löste Bischof Meiser das Dienstverhältnis. Als er dann im April 1940 den Gestellungsbefehl erhielt, schrieb er: „Ich habe einige Zeit angenommen, ich könnte diesen Krieg ertragen, wenn ich nicht mit der Waffe dienen müsste, aber das ist doch ganz eng und falsch gedacht und eigentlich auch feig.“ Und er fügte hinzu: „Ich kann diesen Krieg nicht fördern, ich kann nicht helfen, dass das Meer von Blut und Tränen noch andere Länder überflutet.“
Um seiner Mutter die Last eines Kriegsgerichtsverfahrens zu ersparen, versucht sich Gauger das Leben zu nehmen. Im Abschiedsbrief an seinen Bruder Siegfried Gauger, schrieb er am 25. April 1940: „Ich soll dem Krieg dienen, den ich doch aus tiefster Seele ablehne. Ich halte ihn für keinen Verteidigungskrieg, sondern für einen Angriffskrieg. Ich weiß, dass Du mir in meinem Entschluß und in seiner Begründung nicht folgst; aber Du verstehst, dass es sich um eine Gewissensentscheidung handelt […] Aber was soll ich tun? Kann ich mich an einem Krieg beteiligen, der alles zerstört, was mir teuer ist? Ich kann es nicht, ich kann mich an der Zerstörung nicht beteiligen. […] Aber – es muß sein, und wenn einmal der Nebel sich zerteilt hat, in dem wir leben, dann wird man sich fragen, warum nur einige, warum nicht alle sich so verhalten haben.“
Doch der Suizid in der Nacht vom 25. zum 26. April misslang. Aber Martin Gauger gab nicht auf. Er setzte nun alles auf eine Flucht in die Niederlande. Mit Hilfe seines Bruders Joachim reiste er am 30. April 1940 nach Wuppertal- Elberfeld. In der Nacht vom 6. zum 7. Mai durchschwamm Martin Gauger den Rhein. Am 9. Mai kam er auf holländisches Territorium und wurde von der niederländischen Militärpolizei verhaftet. Am nächsten Morgen, dem 10. Mai 1940 überfiel die deutsche Wehrmacht die Niederlande. An die Fortsetzung der Flucht nach England war nun nicht mehr zu denken. Er änderte seinen Plan und versuchte, wieder nach Deutschland und von dort in die Schweiz zu entkommen. In der Nacht zum 19. Mai wurde er von der deutschen Militärstreife bei Kleve festgenommen. Bei einem Fluchtversuch wurde ihm in die Beine geschossen. Am 22. Mai 1940 wurde er ins Gefängnislazarett in Düsseldorf-Derendorf verlegt.
Als seine Mutter, der Vater war bereits 1939 gestorben, am 18. Juni erfuhr, dass ihr Sohn Martin noch lebt und im Gefängnis in Düsseldorf sei, ließ sie nicht locker, bis sie eine Besuchserlaubnis bekam. Gleichzeitig bemühte sie sich um einen Anwalt. Die Familie hoffte, Martin der Willkür der Gestapo zu entziehen, indem er von einem Gericht verurteilt wird.
Doch dazu kam es nicht. Auf Drängen der Düsseldorfer Gestapo wurde Gauger am 9. Juni 1941 ins KZ Buchenwald verlegt. Weil das für Gauger höchste Gefahr bedeutete, bat die Mutter die Bischöfe Meiser und Wurm, sich für ein Gerichtsverfahren einzusetzen. Doch sie lehnten ab.
In Buchenwald wurde Gauger einer Strafkompanie zugeteilt, die unter härtesten Bedingungen in einem Steinbruch arbeiten musste. Im KZ Buchenwald gelang es Alfred Leikam, einen jungen Christen aus Württemberg, trotz schärfster Isolation einige Male mit Martin Gauger zu sprechen, bevor er am 14. Juli 1941 mit 90 Häftlingen in die Euthanasie-Anstalt auf dem Sonnenstein bei Pirna gebracht und dort in einer Gaskammer ermordet wurde. Leikam berichtete später über Gaugers Zweifel: „Es wurde ihm schwer, seinen Glauben an die Gerechtigkeit Gottes hochzuhalten… Er vermochte es nicht zu verstehen, dass bis weit in die Kreise der bekennenden Christenheit hinein der Nationalsozialismus immer noch Anerkennung fand, obwohl in der Kriegsführung, in der Handhabung der KZ-Lager und in dem gesamten Rechtsgebahren Niedertracht und Gemeinheit ganz offen zutage traten.“
Die Biographie wurde zusammengestellt aus:
Klaus Schmidt: Martin Gauger (1905-1941), Jurist, Kriegsdienstverweigerer, NS-Opfer http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/persoenlichkeiten/G/Seiten/MartinGauger.aspx
Ansprache des Gauger-Experten Dr. Hartmut Ludwig
http://www.bayern-evangelisch.de/downloads/ELKB-Gauger-Gedenkakt-Ansprache-Hartmut-Ludwig.pdf
Martin Gauger: http://de.evangelischer-widerstand.de/html/view.php?type=biografie&id=10
Literatur
Böhm, Boris, „Die Entscheidung konnte mir niemand abnehmen“. Dokumente zu Widerstand und Verfolgung des evangelischen Kirchenjuristen Martin Gauger. Reihe Lebenszeugnisse – Leidenswege; Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft, Dresden 1997.
Forck, Bernhard Heinrich, und folget ihrem Glauben nach. Gedenkbuch für die Blutzeugen der Bekennenden Kirche, hg. im Auftrag des Bruderrates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Stuttgart 1949, S. 49-57,
Leber, Annedore, Das Gewissen steht auf. 64 Lebensbilder aus dem deutschen Widerstand / Ges. von Annedore Leber. hg. in Zusammenarbeit mit Willy Brandt u. Karl Dietrich Bracher, Berlin/Frankfurt a.M. [1954], 9. Auflage, 1960, S. 108-110.
Ludwig, Hartmut, Gradlinig und unbeugsam. Ein Staatsanwalt und Kirchenjurist verweigerte sich dem NS-Regime, in: Nachrichten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern Nr.10, Oktober 2007, S. 322–325.
Ludwig, Hartmut, Kriegsdienstverweigerer und „Staatsfeind“. Der konsequente Weg des Kirchen-Juristen und Widerstandskämpfers Martin Gauger, in: Norden, Günther van/Schmidt, Klaus (Hg.), Sie schwammen gegen den Strom. Widersetzlichkeit und Verfolgung rheinischer Protestanten im „Dritten Reich“, 2. Auflage, Köln 2006, S. 123-126.
Ludwig, Hartmut, „Wir sind Staatsfeinde“, in: Lutherische Monatshefte 1995, Nr. 9, S. 26-29.
Mensing, Björn/Rathke, Heinrich, Mitmenschlichkeit, Zivilcourage, Mitmenschlichkeit. Evangelische Opfer von Nationalsozialismus und Stalinismus, Leipzig 2003, S. 66-68.
Schnöring, Kurt, Martin Gauger, in: Wuppertaler Biographien, 14. Folge ,1984, S. 17-20.
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