Heckinghauser Straße: ein krummer Tempo-30/50-Flickenteppich

Bei identischer Bewertung dreier Abschnitte der Heckinghauser Straße fällt der mittlere aus den Lärmschutzmaßnahmen plötzlich heraus.

Ein Karte mit farblich eingezeichneten Lärmimmissionen in der Heckinghauser Straße. Lila bedeutet: durchgehender Pegel von mehr als 70 dB(A) und damit Verpflichtung der Stadt Wuppertal zur Umsetzung lärmmindernder Maßnahmen.

Aktuelle Stellenangebote:

Bildschirmkopie des Lärmkatasters für die Heckinghauser Straße: dunkel- bis fast schwarzviolett bedeutet eine durchgehende Lärmbelastung von über 70 dB(A) und damit Zwang zu lärmreduzierenden Maßnahmen. Quelle: Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen.

Bei Lesen der Vorlage VO/1330/24 gehen einem direkt die Fußkrampen hoch: Seitenlang lamentiert das federführende(?) Amt Umweltschutz über vorgebliche, teils unerhebliche „Rechtsgrundlagen“ zum Thema Lärmschutz und Tempolimit. Nur zur entscheidenden Frage steht kein Wort: Warum besteht auf der Heckinghauser Straße überhaupt ein Flickenteppich von Tempo 30 und 50? Dessen Beseitigung ist die Idee der Anregung des Bürgervereins Heckinghausen, die mit der Vorlage gleich beseitegewischt werden soll.

Die Rechtsgrundlage für Lärmschutz findet sich auf der Website der Stadt Wuppertal [1], wo wir aufgeklärt werden: Lärmschutz ist eine staatliche Pflichtaufgabe und in §§ 47 a bis f Bundes-Immissionsschutzgesetz geregelt. [2] Dies zwingt die Stadt Wuppertal konkret alle fünf Jahre zur Aufstellung eines Lärmaktionsplanes und infolgedessen zu entsprechenden wirksamen Maßnahmen zur Lärmreduktion.

Der Rat der Stadt hat ja gerade erst diese Aufgabe in der Runde Ⅳ der Lärmaktionsplanung mit einem „Prüfungsauftrag“ torpediert. [11] In diesem Artikel geht es konkret aber um die Umsetzung der Maßnahmen auf der Heckinghauser Straße in Runde Ⅲ.

Lärmschutzmaßnahmen in der Heckinghauser Straße sind anzuordnen.

Wie in der Eingangsgrafik ersichtlich, beträgt der Lärmpegel L(DEN) in der gesamten Heckinghauser Straße durchgängig über 70 dB(A), teilweise über 75 dB(A). Oberhalb 70 dB(A) sind zwingend Maßnahmen zur Lärmreduktion anzuordnen. Diese sind in Runde Ⅲ des Lärmaktionsplans anno 2020 auch vorgesehen (VO/0420/20) [3] und von Ost nach West in die Abschnitte Bockmühle bis Waldeckstraße, bis Untere Lichtenplatzer Straße und bis Am Clef eingeteilt.

Für alle drei Abschnitte wird Tempo 30 (Seite 92) plus „Straßenraumgestaltung“ (Seite 94) empfohlen. Darunter versteht man zum Beispiel Querungshilfen für Fußgänger und die Anlage eines Radfahrstreifens und Reduktion auf einen Fahrstreifen pro Richtung.

Die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO)

Straßenverkehrsbehörden können die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen beschränken, verbieten oder den Verkehr umleiten, § 45 (1) Satz 2 Nummer 3 StVO. Eine besondere Gefahrenlage ist dafür nicht erforderlich. [4] Absatz 9 Satz 1 und 2 geben der Straßenverkehrsbehörde lediglich vor, wo die Verkehrszeichen innerhalb des streckenbezogenen Tempolimits aufzustellen sind (hier: hinter jeder Kreuzung oder Einmündung).

Darum stehen die Fußkrampen hochkant

Der Rat der Stadt hat in seiner Sitzung vom 10. Mai 2021 Runde Ⅲ des Lärmaktionsplans [5] in leicht geänderter Fassung [6] beschlossen. Anlage 2 von [5] sieht dabei unverändert für alle drei Abschnitte der Heckinghauser die Anordnung von Tempo 30 vor. Allen dreien wird eine Überschreitung der Immissionspegel von L(DEN) (24h) > 70 dB(A) und L(Night) (22-6 Uhr) > 60 dB(A) bescheinigt. Damit ist die Grenze überschritten, ab der Lärmschutzmaßnahmen anzuordnen sind. [1]

Eine sachliche Begründung, warum aufgrund von angeblich „zwingenden zusätzlichen Berechnung nach RLS-90“ – die im übrigen durch RLS-19 ersetzt wurden [8] – der Abschnitt Waldeckstraße bis Untere Lichtenplatzer Straße plötzlich von Tempo 30 ausgenommen wird, bleibt die Verwaltung schuldig. [7] Es wird lapidar mitgeteilt, der Abschnitt werde „aufgrund von Überplanungen nicht weiter berücksichtigt.“

Mit „Überplanung“ ist eher nicht eine neue Grünfläche oder Schwimmbad für den Ableitungsteiler gemeint, sondern das inzwischen begrabene Stadtentwicklungsprojekt mit Umgestaltung der Heckinghauser Straße [9] nach Abgang des leitenden Dezernenten, zum Ärger der BV. [10]

Eine „Über“-Planung für irgendwann entbindet die Stadt nicht von ihren Pflichten zum Lärmschutz

Eine angedachte „Überplanung“ oder „Neugestaltung“ einer Straße darf nicht dazu führen, daß staatliche Pflichtaufgaben wie der Lärmschutz „ins Nirvana“ verschoben werden, nur weil jemand irgendwann irgendwas angeblich oder tatsächlich plant. Die Pflichten zum Lärmschutz bestehen ungeachtet dessen unverändert fort und ist insbesondere bei Tempolimits kostengünstig sowohl umzusetzen, als auch wieder aufzuheben.

Angesichts dieser gesetzlichen Pflichten, des Ratsbeschlusses [5] sowie der nach amtlichen Unterlagen [3][5] identischen Beurteilung der drei Abschnitte auf der Heckinghauser Straße hätte es den idiotischen „Flickentempoteppich“ von 30/50/30 nie geben dürfen. Aber wo kein Kläger…

Quellen, Verweise und Hinweise

[1] Stadt Wuppertal, Ressort Umweltschutz: Lärmaktionsplan
https://www.wuppertal.de/microsite/Umweltschutz/Luft_Laerm/III.07-Laermaktionsplan.php
Seit Runde Ⅳ gilt: „Im Vergleich zu den vorangegangenen Runden werden niedrigere Auslösewerte von 65 [ex: 70] dB(A) für den 24-Stunden-Tag (LDEN) und 55 [ex: 60] dB(A) für den Nachtzeitraum von 22 bis 6 Uhr (LNight) angesetzt. Hintergrund dieser Auslösewerte ist die medizinisch gesicherte Erkenntnis, dass dauerhafte Lärmbelastungen oberhalb dieser Schwellenwerte zu signifikanten Steigerungen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen können. Der Hauptverursacher von Lärm in Wuppertal war und ist der Straßenverkehr.“

[2] Wikipedia: Straßenverkehrslärm, Gesetzliche Vorschriften: Lärmvorsorge. Vorschriften für den Verkehrsplaner:
https://de.wikipedia.org/wiki/Stra%C3%9Fenverkehrsl%C3%A4rm#Vorschriften_f%C3%BCr_den_Verkehrsplaner

[3] Fortschreibung des Lärmaktionsplanes für den Ballungsraum Wuppertal – Lärmkartierung und Lärmaktionsplanung der Runde Ⅲ. Bericht der LK Argus GmbH im Auftrag der Stadt Wuppertal.
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=24024
Dem Abschnitt Waldeckstraße bis Untere Lichtenplatzer Straße wird eine „akustisch ungünstige Fahrbahnoberfläche“ bescheinigt, Seite 44. Die gesamte Straße ist ein- und beidseitig für eine Radverkehrsanlage (RVA, Seite 53) sowie Anordnung vom Tempo 30 geeignet. Lediglich „die Verkehrsverlagerung in die Widukindstraße ist nicht auszuschließen“, Seite 60. Letztlich wird für alle Abschnitte Tempo 30 (Seite 92) plus „Straßenraumgestaltung“ (Seite 94) empfohlen.

[4] Straßenverkehrs-Ordnung, § 45:
(1) ¹Die Straßenverkehrsbehörden können die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. ²Das gleiche Recht haben sie […]
3. zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen, […]

(9) ¹Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist. ²Dabei dürfen Gefahrzeichen nur dort angeordnet werden, wo es für die Sicherheit des Verkehrs erforderlich ist, weil auch ein aufmerksamer Verkehrsteilnehmer die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig erkennen kann und auch nicht mit ihr rechnen muss. ³Insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt. […] ⁵Satz 3 gilt ferner nicht für Beschränkungen oder Verbote des fließenden Verkehrs nach Absatz 1 Satz 1 oder 2 Nummer 3 […]

[5] VO/0094/21: Fortschreibung des Lärmaktionsplanes für den Ballungsraum Wuppertal – Lärmkartierung und Lärmaktionsplanung der Runde 3
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=24774

[6] VO/0274/21/1-Neuf.: Fortschreibung des Lärmaktionsplanes für den Ballungsraum Wuppertal – Änderungsantrag zu VO/0094/21
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=25312

[7] vgl. VO/1780/23/1-A, Antwort der Verwaltung, Seite 2,
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=29721
VO/0343/23: Heckinghauser Straße – Tempo 30 aus Lärmschutzgründen,
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=30031
Eventuell geplante vorgesehen „Überplanung“ ist kein Ausnahmetatbestand von den Pflichten aus dem BImSchG. Genauso wenig wie die Feststellung eines Hauseigentümers, er brauche keine Grundsteuer mehr zu zahlen, da er ohnehin beabsichtigt, sein Haus – irgendwann – zu verkaufen.

[8] Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen (RLS-19) – gültig seit März 2021. Siehe unter [2].

[9] Stadt Wuppertal, Pressemeldung – 26.05.2021: #Wandel_durch_Beteiligung Mitmachen erwünscht: Bürgerbeteiligung für Heckinghausen
https://www.wuppertal.de/presse/meldungen/meldungen-2021/mai21/beteiligung-heckinghsn.php

[10] Resolution zum zügigen Umbau der Heckinghauser Straße – Gemeinsamer Antrag der Fraktionen von SPD, CDU und Bündnis90/DIE GRÜNEN, sowie der FDP, Freie Wähler/WfW und DIE LINKE.
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=22235

[11] siehe dazu auch:

Tempo 30 behindert den Busverkehr‼‼1elf‼

CDU/SPD/FDP: Mehr Schnelligkeit statt Sicherheit im Straßenverkehr

Anmelden

Aktuelle Stellenangebote:

Kommentare

Neuen Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert