Wuppertals OB Jung droht dem Land mit „zivilem Ungehorsam“

Wuppertal und 18 weitere NRW-Kommunen haben am 19.2. das "Essener Signal" verabschiedet. Sie verlangen einen Entschuldungsfonds des Landes. Finanzminister Linssen reagierte kühl auf die Forderungen. Aktualisierter Beitrag

NRW-Finanzminister Linssen lehnte es ab, dass das Land die Schulden einzelner Kommunen übernimmt. Linssen sagte sinngemäß, eine solche Entschuldung wäre eine Ungleichbehandlung gegenüber jenen Städten und Gemeinden, die in der Vergangenheit besser gewirtschaftet und sich weniger stark oder gar nicht verschuldet hätten.

Oberbürgermeister Peter Jung droht dem Land mit "zivilem Ungehorsam".Oberbürgermeister Peter Jung droht dem Land mit "zivilem Ungehorsam".

Wuppertals Oberbürgermeister Peter Jung sagte in der WDR-Lokalzeit „Bergisches Land“, falls das Land sich nicht kompromissbereit zeige, werde man über Aktionen „bis hin zum zivilen Ungehorsam“ nachdenken. Was genau er damit meint, wollte er nicht näher ausführen.

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Lesen Sie das „Essener Signal“ im Wortlaut:

Aktionsbuendnis_Raus_aus_den_Schulden

Aktionsbündnis „Raus aus den Schulden“
der Städte des Ruhrgebietes und des Bergischen Landes

Essener Signal: „Raus aus den Schulden“

Seit Jahren ist in einzelnen Städten und Gemeinden eine finanzielle Abwärtsspirale in Gang. Mittlerweile werden von ihr immer mehr Kommunen erfasst. Die sich derzeit neu auftuenden Haushaltslöcher sind dabei nicht auf kommunales Fehlverhalten, sondern auf konjunkturelle Einflüsse, Versagen des Bankensektors, steuerpolitische Eingriffe des Bundes, finanzielle Belastungen durch Land und Bund und letztlich eine generelle Unterfinanzierung der Kommunen zurückzuführen. Sie übersteigen das Maß an kurzfristigen Einsparmöglichkeiten in den Kommunen. Damit droht ein Flächenbrand kommunaler Notlagen mit hohem sozialen Sprengstoff.

Die Abwärtsspirale hat in den im Aktionsbündnis zusammengeschlossenen Städten mit ihren 4,5 Millionen Einwohnern zu Kassenkreditschulden in Höhe von 10,4 Milliarden Euro geführt. Das entspricht bei 5,9 % der Einwohner aller deutschen Städte und Gemeinden (ohne Stadtstaaten) 32,9 % der bundesweiten kommunalen Kassenkredite.

Durch diese Belastung wird die Lebensqualität der Bürger in diesen struktur- und finanzschwachen Kommunen massiv gemindert. Beispielsweise

  • müssen Kindergartenbeiträge steigen, während andernorts die beitragsfreie Betreuung propagiert wird,
  • können Investitionsfördermittel für wichtige Infrastrukturprojekte nicht mehr beantragt werden, weil kein Geld für die notwendigen Eigenanteile vorhanden ist,
  • ist eine solide Personalentwicklungspolitik und Nachwuchsausbildung in den Stadtverwaltungen nicht mehr möglich, weil qualifiziertes Personal in Kommunen mit größeren Aufstiegsperspektiven abwandert.

Die betroffenen Kommunen erfahren dadurch eine massive Benachteiligung im Standortwettbewerb. Der Strukturwandel wird nicht nur ausgebremst, die Pflicht zur Zahlung des Solidarbeitrages an Ostdeutschland entzieht den Städten und Gemeinden sogar noch Mittel bzw. treibt die Schuldenspirale zusätzlich an. Das alles verschärft die Probleme.

Die kleinteiligen Mittel und Instrumente der Kommunalaufsicht greifen hier nicht mehr, denn sie ändern nichts an der strukturellen Unterfinanzierung. Deren Lösung wäre aber die Voraussetzung für eine erfolgreiche Haushaltskonsolidierung. In dieser Situation ist schnelles und konzertiertes Handeln notwendig, um die Abwärtsspirale zu stoppen und ein völliges Wegbrechen der kommunalen Selbstverwaltung zu verhindern. Jedes weitere Warten bedeutet, dass die zu bewältigenden Probleme nur noch größer und Lösungen noch teurer werden.

Sofortmaßnahmen wie die Beteiligung des Bundes an den tatsächlichen Kosten der Unterkunft sind zur Sicherung der Handlungsfähigkeit notwendig. Ein grundsätzliches Umsteuern ist in der gegenwärtigen Krisensituation jedoch kaum möglich. Dafür müssen aber jetzt unverzüglich Konzepte und Maßnahmen vorbereitet werden, um mit der  wirtschaftlichen Entspannung sofort mit der Behebung der strukturellen Defizite beginnen zu können.

Die Städte des Ruhrgebietes und des Bergischen Landes wollen mit dem Aktionsbündnis „Raus aus den Schulden“ konkrete Schritte zur Lösung der Probleme gehen. Mit dem „Essener Signal“ setzt das Aktionsbündnis ein weiteres Zeichen auf diesem Weg. Es ist

  • Hilferuf zur Entschuldung: Gemeinsam mit den Kommunen sollen Landtag und Landesregierung einen Entschuldungsfonds einrichten. Dieser soll in einem Zeitraum von 10 Jahren zu einem weitgehenden Abbau der Kassenkredite führen. Der Entschuldungsfonds besteht aus einer Zins- und einer Tilgungshilfe. Ein wirksamer Entschuldungsfonds benötigt einen Landesbeitrag von mindestens 800 Millionen Euro pro Jahr als Grundstock.
  • Eigenverpflichtung zur Fortführung der Konsolidierungsmaßnahmen: Eine Hilfe zur Entschuldung der Städte und Gemeinden kann nicht ohne Gegenleistung gewährt werden. Die Kommunen selbst werden alle Potenziale, die zur Kostensenkung beitragen können, prüfen und wenn verantwortbar nutzen. Hierbei darf es keine Tabus hinsichtlich aller Aufgaben, der Organisationsstrukturen oder lokaler Empfindlichkeiten bei der Entwicklung interkommunaler Kooperationen geben.
  • Forderung eines Abbaus der strukturellen Unterfinanzierung im Gemeindefinanzsystem: Insbesondere im Sozialbereich erdrücken die steigenden Ausgaben die kommunalen Haushalte. Hier gilt es, kurzfristig Entlastung zu schaffen. Angesichts dauerhaft knapper Finanzmittel sind Land, Bund und die Europäische Union aber auch aufgefordert, generell die pflichtigen Aufgaben- und Standardvorgaben für kommunales Handeln
    aussetzen, denn kommunales Handeln erfordert kommunale Handlungsmöglichkeiten. Nur dann kann wirkungsvoll gespart werden. Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen müssen dauerhaft in Einklang gebracht werden.

Raus aus den Schulden heißt, eine Kraftanstrengung zur Wiedererlangung der kommunalen Selbstverwaltung zu unternehmen. Findet diese nicht statt, werden die Bürger in den Städten des Aktionsbündnisses „Raus aus den Schulden“ immer mehr auf vieles verzichten müssen, was andernorts „normal“ ist. Der Weg in eine kommunale Zwei-Klassen-Gesellschaft ist bereits in vollem Gang.

Die Landesregierung ist aufgefordert, das „Essener Signal“ aufzugreifen. Die Kommunen erwarten bis März ein verbindliches politisches Signal zu einem Entschuldungsprogramm.

Die Städte und Gemeinden verkennen nicht, dass auch das Land Nordrhein-Westfalen – wie auch der Bund – finanziell stark unter Konsolidierungszwang stehen. Umso wichtiger ist es, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Die bisherige Strategie des Abwälzens auf andere, sei es auf die Kommunen als schwächstem Glied in der staatlichen Kette oder auf Kinder und Enkel, lässt sich nicht mehr weiterführen. Konsolidierung kann angesichts begrenzter Finanzmittel nur über eine Aufgabenreduktion gehen. Das größte Sparpotenzial liegt aber in einem schnellen Abbau der Schulden und damit der Zinslasten.

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Kommentare

  1. Sie sollten unseren Oberbürgermeister nicht als potentiellen Gesetzesbrecher darstellen. Er hat lediglich damit gedroht, über zivilen Ungehorsam NACHZUDENKEN. Nachdenken ist ja wohl völlig legal.

    Der frühere Wuppertaler Kämmerer Dr. Elmar Schulze hat die Notwendigkeit, den überschuldeten Kommunen zu helfen, sehr schön auf den Punkt gebracht: „Führende Bankmanager haben zum Teil unter Aufsicht staatlicher Vertreter in den Gremien, durch unverantwortliche Geldgeschäfte – „Zocken“ – Milliarden in den Sand gesetzt. Ihnen wurde mit hohen Mrd.-Beträgen geholfen mit der Begründung, diese Banken seien für das Funktionieren des Wirtschaftslebens unverzichtbar. Für das ordnungsgemäße Funktionieren des Staates selbst sind handlungsfähige Kommunen erst recht unverzichtbare Grundlage. Aus logischen Gründen ist der Staat in der Verantwortung, notleidenden Kommunen wieder zur Handlungsfähigkeit zu verhelfen.“
    Quelle: http://www.wz-newsline.de/?redid=742123

    1. Redaktion_1 sagt:

      > über zivilen Ungehorsam NACHZUDENKEN. Nachdenken ist ja wohl völlig legal.

      Damit zu DROHEN ist auch legal.

      1. Es ist ein Unterschied ob eine Zivilperson oder ein Amtsträger mit zivilem Ungehorsam droht. § 240 StGB legt im Falle des Mißbrauchs der Stellung eines Amtsträgers besondere Maßstäbe an.

        Vor einem Aufruf zu zivilem Ungehorsam, der in der Regel den zivilgesellschaftlichen Akteuren vorbehalten sein sollte, müssen im Normalfall die institutionellen Möglichkeiten, gegen getroffene Entscheidungen vorzugehen, etwa durch Befolgung des Rechtsweges, ausgeschöpft sein. Meines Wissens hat Oberbürgermeister Jung bis heute keine Klage gegen die systematische Unterfinanzierung der Kommune durch Land und Bund eingereicht.

        Gerade in unserer Stadt, die in der jüngeren Vergangenheit über Jahre hinweg vor allem dadurch aufgefallen ist, dass immer wieder neue Fälle von Amtsmißbrauch aufgedeckt wurden, sollten sich die Amtsträger doch besser an Recht und Gesetz halten und ihre Arbeit bestmöglich ausführen. So wäre es doch z.B. eine schöne Aufgabe, die Wuppertaler Landtags- und Bundestagsabgeordneten zu einer konsequenten Unterstützung der Wuppertaler Forderungen anzuhalten. Der Vorsitzende der Wuppertaler CDU-Stadtratsfraktion Bernhard Simon hat in seinem hervorragenden Artikel „Wege aus der Schuldenfalle“ http://tinyurl.com/ygaopbu gefordert, es dürfe „zwischen die CDU-Fraktionen vor Ort, die Kreisparteien und den jeweiligen Landtagsabgeordneten kein Blatt Papier passen, wenn es darum geht, Wege aus der Vergeblichkeits- und Schuldenfalle zu weisen.“ Tatsächlich ist es aber so, dass man weder von den CDU-Bundestagsabgeordneten Peter Hintze und Jürgen Hardt (der nebenbei auch noch CDU-Kreisparteivorsitzender ist) noch von den CDU-Landtagsabgeordneten im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens zum „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“, das die Stadt Wuppertal pro Jahr 6-8 Mio Euro kosten wird, auch nur ein kritisches Wort vernommen hat. Es scheint so, als gäbe es innerhalb der CDU eine dicke Mauer zwischen der kommunalen Ebene einerseits sowie der Kreispartei, Landes- und Bundesebene andererseits.

        Der Oberbürgermeister, der Stadtdirektor und die Wuppertaler CDU haben innerhalb der dafür vorgesehenen Verfahren und Strukturen noch viel zu tun, bevor sie an ihre Grenzen stoßen. Sollte ein Oberbürgermeister tatsächlich zum zivilen Ungehorsam aufrufen, ohne die Möglichkeiten, die ihm sein Amt bietet, vollständig ausgereizt zu haben, würde er sich nur allzuleicht dem Vorwurf der Unfähigkeit oder gar des Populismus aussetzen.

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