17.02.2023Gedenkbuch Wuppertal
In Erinnerung an den „Barmer Blutsonntag“
19.2.2023
10:00 Uhr Johannes Rau Platz/Ecke Werth in Wuppertal-Barmen
Vor 90 Jahren – In Erinnerung an den „Barmer Blutsonntag“
Es sprechen:
Helge Lindh, MdB
Stephan Stracke, Verein zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal e.V.
NN, Vertreter:in der Jusos Wuppertal
Salvador Oberhaus, Vertreter des Fördervereins Konsumgenossenschaft „Vorwärts“ Münzstraße e.V.
NN, Projektgruppe der Gesamtschule Barmen
Vor 90 Jahren, am 19. Februar 1933 vormittags, griff die Wuppertaler SA mitten auf dem Werth und dem Rathausvorplatz eine Demonstration der „Eisernen Front“, in der Sozialdemokrat:innen, die Wehrorganisation der SPD der „Reichsbanner“ und die freigewerkschaftlichen „Hammerschaften“ organisiert waren, mit Knüppeln, Feuerwerkskörpern und scharfen Waffen an.
Zehn Schwerverletzte waren auf Seiten der Linken zu beklagen, darunter der erst 11 jährige Werner Kuhnhenn, und mindestens 12 Leichtverletzte.
Die Ereignisse des „Barmer Blutsonntags“ waren für die Wuppertaler Sozialdemokratie ein einschneidendes Ereignis. Die ehemals sozialdemokratisch geführte Preußische Schutzpolizei schützte nicht mehr die Versammlungen der SPD. Sie ließ es zu, dass die SA u.a. mit Schusswaffen eine genehmigte Demonstration angriff. Die Täter aus der SA wurden nicht verfolgt und blieben straffrei. Die Demonstration am 19. Februar 1933 sollte die letzte legale Demonstration der Arbeiter:innenbewegung in Wuppertal bis zur Befreiung vom Nationalsozialismus sein. Fünf Tage später teilte das Polizeipräsidium der Leitung der „Eisernen Front“ mit, dass „öffentliche Aufzüge und Versammlungen unter freiem Himmel, die von der Eisernen Front beabsichtigt würden, bis auf weiteres keine Aussicht auf Genehmigung hätten. Die Vorkommnisse am vorigen Sonntag in der Wertherstraße in Barmen haben zu diesem Entscheid beigetragen, weil die Polizei auf dem Standpunkt steht, dass die Leitung der Eisernen Front ihre Leute nicht in der Hand haben.“
Veranstalter:innen: Verein zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal, Arbeit und Leben Berg-Mark, Jusos Wuppertal, Fördervereins Konsumgenossenschaft „Vorwärts“ Münzstraße
Am 19. Februar 1933 griff die SA mit Schusswaffen, Rauchbomben, Knüppeln und Peitschen in Barmen eine polizeilich genehmigte Demonstration der „Eisernen Front“ an, die in Wuppertal vor allem aus der sozialdemokratischen Wehrorganisation „Reichsbanner“ und der SPD mit all ihren Organisationen bestand.1 Nach dem als „Barmer Blutsonntag“ in die Geschichte der Wuppertaler SPD eingegangenen Tag, zählten die Sanitäter vom Reichsbanner und Arbeiter-Samariter-Bund zehn Schwerverletzte, darunter Werner Kuhnhenn, ein 11-jähriges Kind und mindestens 12 Leichtverletzte. Darunter waren 6 Personen mit erlittenen Schutzverletzungen und drei mit Schädelverletzungen. Nach dem Bericht des sozialdemokratischen Volksblatt war auch ein Nationalsozialist verwundet worden.2 „Einige der Opfer sollten ihr Leben lang an den Folgen der SA-Gewalt leiden“, wie David Mintert herausfand.3 So hatte ein Schuss den Oberschenkelknochen von Will Batz getroffen und derart zersplittert, dass Batz, Vorstandsmitglied des Wuppertaler Reichsbanners, bis zu seinem Tod 1974 unter Schmerzen und Gehbeschwerden litt.4
Ernst Hütt, Arbeiter bei Bemberg und Angehöriger der dortigen Reichsbanner-Schutzformation traf es noch härter: Ihn traf eine Kugel direkt in den Kopf, eine operative Entfernung war nicht möglich. Sein rechter Arm blieb teilweise gelähmt.5
Erstaunlich aus heutiger Sicht ist, dass trotz des massiven SA-Angriffs die Demonstration nicht abgebrochen wurde, sondern weiter durch Wichlinghausen und Heckinghausen zog und zum damaligen Hindenburg-Platz (heute Geschwister-Scholl-Platz) zurückkehrte. Dort endete die Veranstaltung um 18:00 Uhr, 7 Stunden nach den Schüssen. Es war die letzte Demonstration der Wuppertaler Sozialdemokratie. Die Politische Polizei verbot „bis auf weiteres“ alle „geplanten Umzüge und Versammlungen der Eisernen Front und aller ihr angeschlossenen Organisation“, obwohl die Angreifer eindeutig Nationalsozialisten waren.6
Was genau am 19.2.1933 um 11:00 Uhr auf dem Rathausvorplatz in Barmen und auf der Werther Straße passierte, lässt sich aus der sozialdemokratischen Presse und aus dem Nachkriegs-Ermittlungsverfahren gegen SA-Führer Hermann Nölle7 wie folgt rekonstruieren:
Im Vorfeld der Demonstration hatte die Wuppertaler SA-Führung versucht beim alten Polizeipräsidenten Dr. Georg Suermondt ein Verbot der Kundgebungen der Eisernen Front durchzusetzen, mit der Begründung, es sei „zu befürchten […], dass es zu Zusammenstößen mit den vom sonntäglichen Kirchgang zurückkehrenden SA-Leuten“ kommen könnte.8 Das sozialdemokratische Blatt kommentierte: „Da der Polizeipräsident den Nazis nicht den Gefallen tat, das Demonstrationsrecht der Eisernen Front wegen einer solchen oberfaulen Begründung aufzuheben, versuchten es die Nazis, durch Terror dennoch ihr Ziel zu erreichen.“9
Am Tag der Demonstration selbst hatte sich SA in Uniform bereits vor dem angekündigten Demonstrationsbeginn um 11:00 Uhr an verschiedenen Punkten postiert. Auf dem Markt-Platz am Alten Rathaus, also hinter dem (neuen) Rathaus waren 150-200 uniformierte SA-Leute angetreten. 50 weitere SA-Leute durften sich mit polizeilicher Genehmigung des Einsatzleiters Artur Boje, auf dem Rathausvorplatz selbst aufhalten. Andere SA-Männer waren auf der Werther Straße verteilt. Die Polizei war mit berittener Polizei und allen drei Zügen der Wuppertaler Bereitschaft von Lichtscheid (3. Schupo-Bereitschaft Lichtenplatz) vertreten. Der größte Teil der Schutzpolizisten waren noch in Reserve auf den LKW verblieben.
Die sozialdemokratische Presse schilderte den Angriff wie folgt: „Als diese [Reichsbanner] Gruppe in Stärke von ungefähr 200 Mann in der Höhe Lindenstraße ankam, drangen die Nazis auf den vorderen Teil des Rathauses auf den anmarschierenden Zug ein und schossen in diesen hinein. Anstatt die schießenden SA-Leute zu verhaften, wie es die Pflicht der Polizei gewesen wäre, hielten sie mit dem Revolver in der Hand die auf dem Platz versammelten Teilnehmer der Kundgebung davon ab, ihren überfallenen Kameraden zu Hilfe zu kommen. Der Schutz der Polizei an diesem Vormittag galt, dass war Meinung aller ausschließlich den provozierenden und mit Waffen versehenen SA-Leuten. Die Anhänger der Eisernen Front waren schutzlos der Willkür der SA-Leute und der Polizei preisgegeben.“10
Nach Davids Minterts Darstellung war der SA-Sturm 2/171 unter der Führung von Hermann Nölle beim Angriff auf die Demonstration federführend.11 Nölles SA-Sturm hatte sein Sturmlokal in direkter Nachbarschaft in der Emil Rittershaus Straße am Beckmannshof. Nölle postierte noch vor dem Beginn des Aufmarsches um 11:00 Uhr seine SA-Leute an drei Stellen: Am rechten Pavillon auf dem Rathausvorplatz, bei Sticher Werther Str 7/9 und auf dem Werth zwischen Foto Jansen (Nr. 8) und dem Schuhgeschäft Hirsch (Nr. 14). „Als die Musikabteilungen bereits auf dem Platz waren, begann der Angriff des Nölle-Sturms auf Höhe des Jungbanners. Knall- und Rauchkörper wurden geworfen und leiteten den Versuch ein, den Zug zu sprengen und den Werth hinunter aufzurollen. Nölle selbst drehte sich mit ausgestreckten Armen, eine Pistole P 08 in der Hand, in den Zug. Andere SA-Männer waren mit Gummiknüppel und Stöcken bewaffnet. Nach der ersten Überraschung reagierten die Reichsbanner-Männer mit heftiger Gegenwehr. Nölle und einige andere SA-Männer eröffneten daraufhin das Feuer und schossen in die Menge.“12
Das Solinger Volksblatt beschrieb die Ereignisse noch eindrücklicher: „Gegen 11 Uhr kam ein Zug der Eisernen Front die Wertherstraße entlang zum Rathausplatz. Auf dem Bürgersteig bewegte sich in der Richtung des Zuges eine Anzahl Nationalsozialisten. Vor dem Einbiegen des Zuges von der Wertherstraße zum Rathausplatz stellte sich dem Führer des Zuges ein Nationalsozialist entgegen. Es entstand ein Handgemenge. Die Nationalsozialisten griffen den Zug der Eisernen Front an, und zwar sowohl die Wertherstraße auf wie auch abwärts. Im Augenblick gingen die Angreifer mit Schießwaffen, Gummiknüppel, Stöcken und Peitschen bewaffnet gegen die Mitglieder der Eisernen Front und die Passanten vor. Es fielen eine große Anzahl von Schüssen, auch stark Rauch entwickelnde Körper wurden geworfen. An dem Geschäftshause von Tietz lag kurz darauf, anscheinend von einem Schuss getroffen, ein Mann der Eisernen Front regungslos. Herantretende Nationalsozialisten riefen: Schlagt ihn tot! Es wurde auch ein verwundeter Mann – anscheinend Nationalsozialist – an das Schuhgeschäft Heß gebracht. Bisher war man gewöhnt, dass die Schutzpolizei bei Unruhen am Rathausplatz sofort in entsprechender Zahl eingriff. Dieses Mal war hiervon nichts zu sehen. Im Ganzen waren auf dem Teile der Wertherstraße höchstens drei Schutzpolizeibeamte und dann einige Berittene zu sehen. Einer der Beamten kümmerte sich um den Verletzten bei Heß, aber keiner griff gegen die schießenden Personen ein. Um den bei Tietz liegenden Mann kümmerte sich kein Beamter. Später trugen einige Privatpersonen den Mann weg. Nach Beendigung dieses traurigen Straßenkampfes sammelten sich die Nationalsozialisten. Ein Schutzpolizeibeamter sprach mit ihnen, ohne sich um den vorher erfolgten Waffengebrauch zu kümmern und ließ sie geschlossen abziehen. Für die Unbeteiligten war es offensichtlich, dass es sich um einen planmäßigen Überfall handelte.“13
Die Polizei machte in ihrem Polizeibericht „Schmährufe“ aus der Reichsbanner-Demonstration als „eigentliche Ursache für den Zusammenstoß aus.14 Die Nazipresse druckte Überschriften wie „Roter Mob tobte in Wuppertal!“ und „Unerhörte Provokationen des marxistischen Gesindels“. „Der Disziplin der SA und dem energischen und tatkräftigen Eingreifen der SA-Führer“ sei „es zu verdanken, dass es nicht zu größeren blutigen Zusammenstößen kam.“15 Die SPD-Zeitung kommentiere sarkastisch: „Zehn Schwerverletzte und zwölf bis fünfzehn Leichtverletzte sind dem Nazi-Blättle also offenbar nicht blutig genug!“16
Die deutschnationale BMZ berichtete von 11 Personen beider Seiten, die durch Schüsse oder durch Schläge verletzt worden seien. „9 von ihnen mussten dem Krankenhause zugeführt werden. Nach Erkundigungen bei den Städtischen Krankenanstalten Barmen sind die Verletzungen der Eingelieferten zum größeren Teil schwerer Natur. Ein Reichsbannermann, der einen Kopfschuss erhielt, schwebt in Lebensgefahr. […] Unter den Eingelieferten befinden sich auch mehrere SA-Leute.“17
Auch nach dem Ende der Demonstration gingen die Übergriffe der Nationalsozialisten ungeniert weiter. Reichsbanner-Männer wurden an der Werther Straße Ecke Kleiner Werth von Willi Veller, Otto Frowein und einem anderen SA-Mann überfallen. Veller schoss mit einem Revolver auf die Reichsbanner-Leute. Ein Augenzeuge berichtete der Zeitung: „Ich als Unparteiischer und in Zivil gekleidet wurde von dem Oberführer bedroht und getreten. Nach diesem Vorfall rückte die Polizei an. Ich bat den Polizeimajor, er möchte dem Herrn Veller die Waffe aus der Hand nehmen – dieser drehte sich um und ließ mich stehen. Nachdem wandte ich mich an die Polizei der 1a. Ich sagte, ob sie dem Mann die Waffe nicht abnehmen könnten. Sie erwiderten, wenn das der Herr Major nicht könnte, sie könnten es auch nicht!“18
Die Ereignisse des „Barmer Blutsonntags“ waren für die Wuppertaler Sozialdemokratie ein einschneidendes Ereignis. Die ehemals sozialdemokratisch geführte Preußische Schutzpolizei schützte nicht mehr die Versammlungen der SPD. Sie ließ zu, dass die SA u.a. mit Schusswaffen eine genehmigte Demonstration angriff. Die Wehrorganisation der SPD wurde wehrlos. Die Täter aus der SA wurden nicht verfolgt und blieben straffrei. Die SPD-Zeitung resümierte: „Braucht man sich dann zu wundern, wenn in immer weiteren Kreisen der Eindruck entsteht, auch die Polizei stehe bereits unter faschistischem Druck und sei nicht mehr imstande, objektiv zu arbeiten und die öffentliche Ruhe, Sicherheit und Ordnung in einer für alle Bürger gerechten Art aufrecht zu erhalten?“19
Die Demonstration am 19. Februar 1933 sollte die letzte legale Demonstration der Arbeiterbewegung in Wuppertal bis zur Befreiung vom Nationalsozialismus sein. Fünf Tage später teilte das Polizeipräsidium der Leitung der Eisernen Front mit, dass „öffentliche Aufzüge und Versammlungen unter freiem Himmel, die von der Eisernen Front beabsichtigt würden, bis auf weiteres keine Aussicht auf Genehmigung hätten. Die Vorkommnisse am vorigen Sonntag in der Wertherstraße in Barmen haben zu diesem Entscheid beigetragen, weil die Polizei auf dem Standpunkt steht, dass die Leitung der Eisernen Front ihre Leute nicht in der Hand haben. Bekanntlich war die ursprüngliche Veranlassung der Zusammenstöße in der Wertherstraße die Tatsache, dass aus einem Teilzuge der Eisernen Front gegen Mitglieder der NSDAP Schmährufe gerichtet wurden.“20
1Vgl. David Magnus Mintert: „Sturmtrupp der Deutschen Republik“, Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold im Wuppertal (= Verfolgung und Widerstand in Wuppertal; Bd. 6), Grafenau 2002, S. 104-108. Vgl. BMZ vom 20.2.1933; BMZ vom 21.2.1933; FP vom 20.2.1933.
2Vgl. „Das Blutbad in Barmen“, in: Volksblatt Solingen vom 21.2.1933. Die BMZ spricht von mehreren Nationalsozialisten, die ins Barmer Krankenhaus eingeliefert wurden. Vgl. BMZ vom 20.2.1933.
3Mintert, Reichsbanner, S. 107
4Vgl. Wiedergutmachungsakte von Willi Batz, StAW, AfW Nr. 10985.
5Vgl. Wiedergutmachungsakte von Ernst Hütt, StAW, AfW Nr. 11489.
6Mintert, Reichsbanner, S. 108.
7Vgl. LAV NRW R, Gerichte Rep. 191 Nr. 99 u. Nr. 100.
8Freie Presse vom 20.2.1933.
9Ebd.
10„Das Blutbad in Barmen“, in: Volksblatt Solingen vom 21.2.1933. Mintert verweist darauf, dass es nach Berichten von Polizisten auf den Schupo-Lastwagen „fast zu einer Meuterei gegen die Einsatzleitung“ gekommen sei. Vgl. Mintert, Reichsbanner, S. 107.
11Nölle war, wie sich in den Nachkriegsermittlungen herausstellte, mit dem Einsatzleiter der Polizei, Arthur Boje, befreundet.
12Mintert, Reichsbanner, S. 106.
13„Das Blutbad in Barmen“, in: Volksblatt Solingen vom 21.2.1933.
14Ebd.
15Zitiert nach: Ebd.
16Ebd.
17„Zusammenstoß bei der Demonstration der Eisernen Front in Wuppertal“, in: BMZ vom 20.2.1933.
18Ebd.
19Ebd.
20„Kundgebungen der Eisernen Front nicht genehmigt“, in: BMZ vom 25.2.1933.
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