Kapriolen Wuppertaler Verkehrspolitik

Tempo 30 auf der grünen Wiese: Derzeit spielt nicht nur das Wetter immer mehr verrückt – in Wuppertaler Verwaltung und Politik gibt es dazu offenbar Parallelen.

Tempo 30 auf der grünen Wiese, auf freier Strecke. Nach StVO verboten, nach Landrecht erlaubt.

Die Wuppertaler sind schon ein sonderbares Völkchen: Crocodile Dundee [1] kommt nach Vohwinkel und kloppt sich auf dem „gemeinsamen Geh- und Radweg“ mit dem Buschmesser den überwuchterten Weg frei. Bis dahin haben wir per Fotomontage ein dem Landrecht entsprechendes Zusatzschild „eingeschränktes Licht­raumprofil durch Büsche und Gestrüpp“ dem verpflichtend zu nutzenden Weg hinzugefügt. Und im Hintergrund steht auf – Verzeihung: neben der grünen Wiese ein Kindergarten-Tempo-30-Schild.

Lassen wir „Croc“ mal seinen Job machen, denn in Sachen Radwege-„Infrastuktur“ ist im Kaff an der Wupper eh Hopfen und Malz verloren. Der „gemeinsame Geh-, Rad- und Buschweg“ endet kurz vor der Düsseldorfer Straße, wo derselbe Weg plötzlich nur noch ein reiner Gehweg ist.

Kindergarten-Tempo-30

Zurück beim Tempo 30 stellen wir uns die Frage, ob dieses Zeichen 274-30 aus der Straßenverkehrs-Ordnung in einer Singstunde durch die Kinder des Gartens aufgehängt wurde – so wie es auch auf dem Zusatzschild steht. Man kann sich diese Schilder auf dem freien Markt kaufen und mit Rubbelbuchstaben selber beschriften, so wie das „200m“-Schild aussieht.

Offiziell kann dieses Tempolimit eigentlich nicht angeordnet worden sein. Gehen wir einmal davon aus, daß die Straßenverkehrs-Ordnung behördlich beachtet wird, niemand bestochen wurde oder was im Tee hatte, dann gilt die Erlaubnis zur Einrichtung von „streckenbezogenen Tempolimits von 30 km/h“ vor Schulen, Kindergärten und Altenheime ausschließlich für innerörtliche Straßen. [3]

Diese Voraussetzung liegt beim Tempo 30 an der Bahnstraße 229 (Kindergarten) nicht vor. „Innerörtlich“ bedeutet auch „geschlossene Ortschaft“ [4], die durch eine Ortstafel [5] deutlich für die Verkehrsteilnehmer wahrnehmbar ist. Damit verbunden ist beispielsweise für Kraftfahrzeuge ein Tempolimit von 50 km/h, ohne daß dieses nach jeder Kreuzung neu angeordnet werden müßte.

Von Vohwinkel aus steht die Orts-Ende-Tafel nördlich der Zufahrt zur Bahnstraße 152 („Velbert 12 km“). Bis nach Wülfrath befinden wir uns auf „freier Strecke“. Alleine auf den 900 Metern bis zur Ortslage Wieden sind drei Tempolimits mit 50 km/h angeordnet, die innerorts sinnfrei wären. Auch das dann folgende Kindergarten-Tempo-30 liegt „auf freier Strecke“.

Daß es um die Liste der „Tempo 30 vor Kindergärten und Schulen“ einigen Zoff gab, erfahren wir in [2]. Der Verkehrsausschuß hat das Thema an den Rat der Stadt verwiesen, der das Tempo 30 an der Bahnstraße 229 in der Sitzung vom 11.05.20 durchgewunken hat. [6] Bei einer fachlich unterstützten Beratung wäre ja aufgefallen, daß Wieden nicht innerorts liegt und damit nicht für die Liste in Betracht kommt.

Pfuscherei im Ratsinformationssystem

Tagesordnung im elektronischen Ratsinformationssystem zur BV VOH-Sitzung 29.01.20. In TOP 12 wurde irgendwas beschlossen, dessen Vorlage nicht mehr abrufbar ist.

Die für die Bahnstraße 229 zuständige Bezirksvertretung Vohwinkel hatte sich bereits im Januar ’20 gegen Tempo 30 ausgesprochen. [7] Nur leider, leider ist die Vorlage, über was eigentlich abgestimmt wurde, nicht verfügbar, vgl. Screenshot oben. Es läßt sich nur vermuten, daß da nachträglich im Ratsinformationssystem herumgepfuscht und dabei die ursprüngliche VO/0034/20 gelöscht wurde. Abgesehen wieso das Löschen überhaupt möglich ist: Für die Nachvollziehbarkeit der getroffenen Entscheidungen ist das natürlich ein Bärendienst, bis hin zur Nichtigkeit solcher nicht mehr nachvollziehbarer „Entscheidungen“.

Die VO/0039/20 in der Tagesordnung davor befaßt sich groß und breit mit dem Thema „Maßnahmen zur Verbesserung der Umsetzung der Rechte der Bezirksvertretungen“ [8], worunter auch Schulen fallen. Vielleicht sollte man den Bezirksvertretungen einmal die Hoheit über die Entscheidung von 200 Meter „Tempo 30 vor Schulen und Kitas ja/nein“ lassen und nicht über den Umweg „Haupstraße“ den Stadtrat für zuständig erklären. Denn in den Bezirksvertretungen scheint der Sachverstand für die Situation vor Ort eher gegebenen zu sein. [2]

Anmerkungen, Quellen und Verweise

[1] Wer ihn nicht kennt: Crocodile Dundee, in der deutschen Version mit dem Untertitel „Ein Krokodil zum Küssen“, Film von 1986,
https://de.wikipedia.org/wiki/Crocodile_Dundee_%E2%80%93_Ein_Krokodil_zum_K%C3%BCssen

[2] https://www.njuuz.de/home/politik/vermaechtnisse-eines-verkehrsdezernenten/

[3] § 45 (9) lit. 6 StVO: Absatz 9 erlaubt Verkehrszeichen dort, wo sie „der Umstände nach zwingend erforderlich sind“ (Satz 1). Beschränkungen und Verbote, wozu auch Tempolimits gehören, dürfen nur bei „besonderer Gefahrenlage“ angeordnet werden, z.B. bei etlichen (Beinahe-) Unfällen (Satz 3). Letzteres gilt aber nicht für (und dann kommen die Auflistungen), unter anderem (Nummer 6):
„innerörtlichen streckenbezogenen Geschwindigkeitsbeschränkungen von 30 km/h (Zeichen 274) nach Absatz 1 Satz 1 auf Straßen des überörtlichen Verkehrs (Bundes-, Landes- und Kreisstraßen) oder auf weiteren Vorfahrtstraßen (Zeichen 306) im unmittelbaren Bereich von an diesen Straßen gelegenen Kindergärten, Kindertagesstätten, allgemeinbildenden Schulen, Förderschulen, Alten- und Pflegeheimen oder Krankenhäusern.

[4] Geschlossene Ortschaft, Wikipedia,
https://de.wikipedia.org/wiki/Geschlossene_Ortschaft

[5] Ortstafel, Wikipedia,
https://de.wikipedia.org/wiki/Ortstafel_(Deutschland)

[6] Sitzung des Rates der Stadt Wuppertal am 11. Mai 2020, TOP 11.4, Einrichtung von Tempo 30-Strecken vor schützenswerten Einrichtungen, VO/0034/20/1-Neuf.
https://ris.wuppertal.de/vo0053.asp?__kvonr=23727

[7] Sitzung der BV Vohwinkel, 29. Januar 2020,
laut Protokoll TOP 12: VO/0034/20, Beschluß: Die Bezirksvertretung lehnt die Drucksache ab.
https://ris.wuppertal.de/si0057.asp?__ksinr=18312

[8] Maßnahmen zur Verbesserung der Umsetzung der Rechte der Bezirksvertretungen, VO/0039/24, (TOP 11 der Sitzung BV Vohwinkel,

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Kommentare

  1. N. Bernhardt sagt:

    Das ist das typische „Pipi Langstrumpf“-Prinzip. Radfahrer benutzen die Fahrbahn, obwohl der blaue Radlolli eigentlich die Benutzung des „gemein(gefährlich)en Geh- und Radwegs“ vorschreibt. Und Autofahrer überholen über die durchgezogene Linie, um ausreichend Abstand zu den Radlern zu halten. Denn Zeichen 295 StVO verbietet nur das Überfahren, nicht per se das Überholen langsamerer Verkehrsteilnehmer.

    Im Falle eines Unfalls teilen sich die direkt Beteiligten die Haftungsquote und den Schaden. Die Behörde ist fein raus: zwar entspricht der Radweg nicht so ganz den Richtlinien (durchgehend 2 m außerorts habe ich selten gesehen) und der Zustand läßt zu wünschen übrig, aber leider, leider kann die Behörde aufgrund von Personalmangel die eigentlich alle zwei Jahre anstehenden „Verkehrsschauen“ nicht durchführen. Wenn sie das überhaupt macht.

    Mich interessiert, weshalb man außerorts auf der Düsseldorfer-, Bahn- und Wiedener Straße erst das Tempolimit (von 100) auf 50 reduziert und den Radverkehr trotzdem an den Rand verscheucht. T50 reduziert eigentlich die Unfallgefahr, von Autofahrern „übersehen“ zu werden.

    Zwischen Pahlkestraße und Wieden/Schleife steht die alte Tramtrasse für einen separaten Radweg zur Verfügung. Erst als abschnittsweise als Parkstreifen benutzt, ist die Trasse über die Jahrzehnte zugewuchert.

    1. Susanne Zweig sagt:

      Auf der Düsseldorfer Str. zwischen Pahlkestr. und Wieden gibt es schon einen Radweg. Vor dem Haus 271 beträgt seine Breite (nach Abzug eines baulich klar begrenzten Überlebensstreifens für Hausbewohner) satte 40 Zentimeter. Für beide Richtungen. Ich empfehle die Fahrbahn.

  2. Reinhold Weber sagt:

    Was bedeuten würde, dass die Autos hinter den Radfahrer*innen herzockeln müssten; der durchgezogene Streifen verbietet nämlich ein Überholen.
    Vielleicht steigen ja dann immer mehr genervte Autofahrer*innen aufs Fahrrad. Diese Lösung wäre für alle Wuppertaler gut, die noch nachdenken können.

    1. Susanne Zweig sagt:

      Der Konjunktiv ist berechtigt.
      Hinter einem Radfahrer zockelt da niemand. Die meisten Radfahrer benutzen den fotografierten Dschungelradweg als Geisterradler (verboten), die anderen werden auf der Fahrbahn unter Missachtung der durchgezogenen Linie (verboten) oder innerhalb der Spur mit 50 cm Seitenabstand (verboten) überholt. Suchen Sie sich was aus.
      Die Gelehrten mögen sich streiten, ob es besser ist, Fahrbahn zu fahren, um gesehen zu werden, oder besser, geschützte Radwege zu benutzen, die alle Naselang enden. Aber das Stückwerk an der L74 (Bahnstraße), wo die Verkehrsführung alle 200 Meter wechselt, macht regelkonformes Radfahren über längere Strecken nicht populärer.

  3. Susanne Zweig sagt:

    „Denn in den Bezirksvertretungen scheint der Sachverstand für die Situation vor Ort eher gegebenen zu sein.“
    Naja, sehr schmeichelhaft. Aber bei 5 Ja- und 5 Nein-Stimmen dürfte wohl Rot/Grün einfach pro Kita und Schwarz/Gelb einfach pro Auto abgestimmt haben. Wozu Ortskenntnis bemühen, wenn man ein Parteibuch hat? Dass der Streckenabschnitt überhaupt nicht innerorts liegt, muss schon in erster Linie die Verkehrsbehörde wissen, die die Beschlussvorlage erstellt.
    Der fotografierte Radweg Richtung Wieden ist übrigens der bessere. In Gegenrichtung ist der Gehweg nur dann für Radfahrer freigegeben, wenn sie ab Hausnr. 221 absteigen… Kein Witz, leider. Ich empfehle für beide Richtungen die Fahrbahn.

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